Österreich hatte im Dezember 2020 eine weitreichende Gesetzgebung zur Moderation von Online-Inhalten, Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G) genannt, verabschiedet. Dies mit dem spezifischen Ziel, große, auch in anderen EU‑Mitgliedstaaten ansässige Online-Plattformen zu regulieren. Angesichts von Beginn an bestehender Zweifel an einer Vereinbarkeit des KoPl-G mit dem EU‑Recht, beantragten mehrere Diensteanbieter, darunter Google (in Vertretung durch Baker McKenzie), bei der österreichischen Regulierungsbehörde (KommAustria) Feststellungsbescheide über die Anwendbarkeit des Gesetzes. Im Zuge der Bekämpfung der abschlägigen Entscheidung der KommAustria legte der österreichische Verwaltungsgerichtshof die Sache zuletzt dem EuGH zur Vorabentscheidung vor und entschied zugunsten der Diensteanbieter.

Die Vorlagefrage(n) an den EuGH

Nach der E-Commerce-Richtlinie wird die Freiheit, Online-Dienste von einem Mitgliedstaat aus in allen anderen Mitgliedstaaten anzubieten, durch das Herkunftslandprinzip geschützt. Das Herkunftslandprinzip darf von einem Mitgliedstaat nicht eingeschränkt werden – es sei denn, es werden ganz bestimmte Anforderungen erfüllt.

Zu diesen ganz bestimmten Anforderungen zählt unter anderem auch jene, dass sich die "Maßnahme", mit der in das Herkunftslandprinzip eingegriffen wird, gegen "einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft" richten muss (Artikel 3 Absatz 4 der E-Commerce-Richtlinie).

Gericht Hammer, EU-Flagge im Hintergrund
Das Urteil schiebt der Fragmentierung des europäischen digitalen Binnenmarkts einen Riegel vor.
IMAGO/U. J. Alexander

In Anbetracht der Tatsache, dass das österreichische KoPl-G weitgehend auf große Online-Plattformen anwendbar ist, die die Kommunikation von Nutzer zu Nutzer ermöglichen, hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof dem EuGH die Frage vorgelegt, ob generell-abstrakte Maßnahmen (also Gesetze wie etwa das KoPl-G), die auf eine Kategorie von allgemein beschriebenen Diensten der Informationsgesellschaft abzielen, unter den Begriff "Maßnahmen" fallen, die gegen einen "bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft" im Sinne der E-Commerce-Richtlinie ergriffen werden.

EuGH hält am Herkunftslandprinzip fest

Der EuGH entschied, dass Maßnahmen, die sich gegen einen "bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft" richten, keine generell-abstrakten Maßnahmen umfassen, die sich auf eine allgemein umschriebene Kategorie bestimmter Dienste der Informationsgesellschaft beziehen und unterschiedslos für jeden Anbieter dieser Kategorie von Diensten gelten.

Damit hat der Gerichtshof zum ersten Mal festgestellt, dass generell-abstrakte Rechtsvorschriften, die für eine ganze Kategorie von Diensteanbietern gelten, in keinem Fall eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip rechtfertigen können. Der EuGH stützte sein Urteil insbesondere auf die folgenden Erwägungen:

Wichtiger Schritt gegen die Gefahr einer Fragmentierung

Mit seinem Urteil hat der EuGH einen wichtigen Schritt getan, um die Integrität des europäischen digitalen Binnenmarkts vor dem zunehmenden Trend einer Fragmentierung der für Online-Dienste in den EU-Mitgliedstaaten vorgesehenen Regulierungsvorschriften zu schützen. Eine solche Fragmentierung würde die konstruktiven Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zunichtemachen, die zuletzt im Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) gipfelten.

Bemerkenswerte Beispiele für diese aufkommende Bedrohung einer Fragmentierung sind (i) die ungarischen gesetzgeberischen Bemühungen, die Zugänglichkeit von LGBTQ+-Inhalten einzuschränken, (ii) das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), (iii) die Satzung zur Regulierung von Medienintermediären gemäß § 96 des deutschen Medienstaatsvertrags, (iv) das dänische Gesetz zur Regulierung sozialer Medien, (v) das französische Gesetz zur Bekämpfung von Hassinhalten im Internet (Loi Avia), (vi) das irische Gesetz zur Online-Sicherheit und Medienregulierung und zahlreiche weitere Vorschriften.

Die unmittelbare Wirkung des Herkunftslandprinzips

Die besondere Bedeutung dieses Urteils des EuGH liegt darin, dass die einschlägigen Bestimmungen der E‑Commerce-Richtlinie unmittelbare Wirkung haben und aufgrund des Grundsatzes des Anwendungsvorrangs des EU‑Rechts automatisch alle entgegenstehenden nationalen Rechtsvorschriften unanwendbar machen. Diese unmittelbare Wirkung des in der E-Commerce-Richtlinie vorgesehenen Herkunftslandprinzips bestätigte der EuGH bereits in der Vergangenheit (C-390/18).

Die Schlussfolgerung des EuGH, dass die Bestimmungsmitgliedstaaten grundsätzlich nicht befugt sind, generell-abstrakte Maßnahmen (die in den koordinierten Bereich fallen) zu erlassen, bedeutet also, dass solche Maßnahmen, die dennoch erlassen werden, automatisch für die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Diensteanbieter unanwendbar sind. Dies gilt sogar für Maßnahmen, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist der E‑Commerce‑Richtlinie im Jahr 2002 erlassen wurden (vgl. C-390/18).

Der breite Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips

Das Herkunftslandprinzip gilt für alle rechtlichen Anforderungen nach dem Recht der Mitgliedstaaten, die Diensteanbieter in Bezug auf (i) die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft oder (ii) die Ausübung dieser Tätigkeit erfüllen müssen (Artikel 2 Buchstabe i der E-Commerce-Richtlinie).

Dieser beinahe allumfassende Geltungsbereich erstreckt sich beispielsweise auf Anforderungen an die Qualifikationen der Diensteanbieter, an die vor der Erbringung der Dienste einzuholenden Genehmigungen oder vorzunehmenden Meldungen, an das Verhalten der Diensteanbieter, an Qualität oder Inhalt des Dienstes oder an die verpflichtende Offenlegung von Nutzerdaten.

Die wichtigsten Ausnahmen sind (i) Steuern, Datenschutz, Kartellrecht und Glücksspiele/Wetten (die gemäß Artikel 1 Absatz 5 der E-Commerce-Richtlinie vollständig ausgenommen sind; siehe kürzlich C-674/20) sowie (ii) Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge und die Zulässigkeit nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation (Anhang der E‑Commerce-Richtlinie).

Die Vorteile für in der EU ansässige Diensteanbieter

Die E-Commerce-Richtlinie und ihr Herkunftslandprinzip gelten nur für in der EU ansässige Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft. Der Begriff "Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft" ist weit gefasst und umfasst alle Dienstleistungen, die in der Regel gegen Entgelt, im Fernabsatz, auf elektronischem Wege und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbracht werden. Dies umfasst nicht nur Online-Plattformen, Online-Suchmaschinen und andere Vermittlungsdienste im Sinne des Digital Services Act, sondern etwa auch Content‑Provider.

Diese Anbieter profitieren jedoch nur dann vom Herkunftslandprinzip, wenn das Herkunftsland ein EU‑Mitgliedstaat ist. Diensteanbieter mit Sitz außerhalb der EU müssen daher die Vor- und Nachteile der Gründung einer Tochtergesellschaft in der EU neu abwägen und diese Tochtergesellschaft als Diensteanbieter für in der EU ansässige Nutzer fungieren lassen.

Das Ende des österreichischen KoPl-G

Mit seinem Urteil hat der EuGH Klarheit geschaffen, dass das KoPl-G somit von vornherein nicht auf in anderen Mitgliedstaaten als Österreich niedergelassene Diensteanbieter anwendbar ist. Es ist daher zu erwarten, dass der österreichische Verwaltungsgerichtshof zu dem Schluss kommen wird, dass das KoPl-G nicht auf die in dem dort anhängigen Verfahren als Rechtsmittelwerber involvierten, in Irland niedergelassenen Diensteanbieter anwendbar ist und auch nie war. Jegliche Beiträge zum Haushalt der österreichischen Regulierungsbehörde, die von den Diensteanbietern in Übereinstimmung mit dem KoPl-G gezahlt wurden, sind diesfalls möglicherweise im Rahmen des Grundsatzes der Staatshaftung rückforderbar.

Zusammenfassung und Ausblick

Der EuGH hat erstmals festgestellt, dass das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie es den Mitgliedstaaten weitgehend verbietet, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Diensteanbieter zu regulieren. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts macht das Herkunftslandprinzip, wie es nun vom höchsten europäischen Gericht ausgelegt wird, entgegenstehende nationale generell-abstrakte Rechtsvorschriften (also insbesondere Gesetze) automatisch unanwendbar.

Während dieses Urteil hoffentlich den Appetit der Mitgliedstaaten auf Alleingänge in der Regulierung von Online‑Diensteanbietern und damit die Fragmentierung des europäischen digitalen Binnenmarktes eindämmen wird, könnte es auch zu neuen Rechtsstreitigkeiten über die Grenzen des immer wichtiger werdenden Herkunftslandprinzips führen. (Lukas Feiler, Maximilian Raschhofer, Alexander Hofmann, Michaela Petsche, Silvia Grohmann, 13.12.2023)