Eine Trainingsfahrt einer Panzerkommandantin.
Der Nagmachon ist wahrscheinlich der ungewöhnlichste Panzer seiner Art. Im Bild: die Trainingsfahrt einer Panzerkommandantin.
Zev Marmorstein, IDF

Zugegeben: Der Nagmachon sieht aus, als hätte man versucht, einen Belagerungsturm aus dem Sandalenepos "Gladiator" auf die Wanne eines alten britischen Panzers zu schrauben. Kommen dann auch noch die Schutzgitter um den seltsamen Turmaufbau hinzu, könnte man meinen, die Designer der Israelische Armee (IDF, Israeli Defence Force) hätten zu viel "Mad Max" geschaut und sich von den dortigen Fahrzeugdesigns inspirieren lassen.

Das alles sind natürlich nur Vermutungen, denn die wahre Geschichte hinter dem Nagmachon und wie er eingesetzt wird, ist auch ohne filmische Vorbilder schon spektakulär genug. Wegen seines weltweit einzigartigen Aussehens ist der Nagmachon bis heute Stoff zahlreicher Legenden.

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Aus der Not geboren

Dabei beginnt die Geschichte des ungewöhnlichsten Panzerfahrzeuges der Welt aus der Not heraus. Im Sechstagekrieg im Jahr 1967 wurde den Israelis recht schnell klar, dass ihre Panzerflotte bald schon an die Grenzen stoßen würde. Man hatte nach dem Zweiten Weltkrieg M4-Sherman-Panzer aus den USA zum Schrottpreis gekauft und mit 75-Millimeter-Kanonen des damals neuentwickelten AMX-13 ausgestattet. Eine Notlösung.

Die Israelis setzten damals aber ebenfalls den britischen Centurion ein. Dieser galt als der einer der besten Nachkriegspanzer des Westens. Und: Israels Feinde Jordanien und Ägypten setzten den Centurion ihrerseits selbst ein. Zahlreiche Beutepanzer gingen so an die IDF.

Doch die Ära des Centurion währte nicht ewig, in den 70ern begann die Entwicklung des Kampfpanzers Merkava. Manche Centurion-Panzer wurden aufwendig kampfwertgesteigert, mit zusätzlicher Panzerung versehen, neue Feuerleitanlagen wurden eingebaut. Dennoch begann die Ausmusterung der britischen Panzer Ende der 80er-Jahre. Aber könnte man die alten Panzer nicht noch irgendwie verwerten?

Wohin mit den alten Panzern?

Im Libanonkrieg 1982 hatten die Israelis hohe Verluste unter ihren Truppentransportern durch Beschuss von Panzerfäusten und Lenkwaffen zu verzeichnen. Der damals eingesetzte M113 aus US-Fertigung zeigte bereits Alterserscheinungen, und dessen dünne Aluminiumpanzerung war für moderne Waffen zu leicht zu durchdringen. Ein neuer, idealerweise schwer gepanzerter Truppentransporter (Armored Personnel Carrier, APC) musste her.

Da erinnerte man sich bei der IDF an den Centurion: Was wenn man den Turm entfernt und in dem so frei gewordenen Platz Sitze für Soldaten montiert? Fertig war der Nagmasho't. Doch das Konzept erwies sich als problematisch: Die Soldaten mussten über die Oberseite des Panzers absitzen, weil eine Hecktür fehlte. Außerdem war das Fahrzeug oben offen, was sich im urbanen Gelände ebenfalls als nachteilig herausstellte. Die Nagmasho't waren einfach zu leicht zu bekämpfen.

Zwar wurden spätere Modelle mit gepanzerten Schilden zum Schutz der Besatzung ausgestattet, aber eine optimale Lösung war auch das nicht.

Noch ein Umbau

Also nahm man den Nagmasho't und modelte ihn noch einmal um. In die Wannen des Centurion wurden Hecktüren eingebaut, damit die Soldatinnen und Soldaten im Schutz des gepanzerten Fahrzeuges absitzen konnten. Doch da war immer noch das riesige Loch in der Oberseite der Wanne, wo sich einst der Turm des ehemaligen Kampfpanzers befunden hatte.

Die Idee der Israelis: Man baute einen noch gewaltigeren Turm ein. Dieser war rundum geschlossen und bot der Crew endlich Schutz vor Feindfeuer. Zusätzlich wurde noch die Panzerung verstärkt, vor allem am Wannenboden, um gegen Minen und Sprengfallen besser geschützt zu sein.

Die prominente Hundehütte

Die Israelis nennen den ungewöhnlichen Aufbau "Hundehütte". Viele dürfte er aber an einen mittelalterlichen Belagerungsturm erinnern, weshalb auch zahlreiche abenteuerliche Erzählungen über den Einsatzzweck des Nagmachon existieren.

Eine sehr häufig in einschlägigen Foren anzutreffende Behauptung lautet: Der Nagmachon wird dazu verwendet, um im Gazastreifen durch das Erdgeschoß von Häusern zu brechen. Israelische Soldaten würden daraufhin über den Turm hinausklettern und so direkt den ersten Stock angreifen, um so den Feind zu "überraschen". Diese Theorie klingt zwar spektakulär, lässt sich aber durch nichts belegen. Ganz davon abgesehen, dass sich die Besatzung sowie die Passagiere bei einem solchen Einsatz immensen Risiken aussetzen.

Ein Turm voller Überraschungen

Nicht, dass der wahre Einsatzzweck des Nagmachon nicht schon gefährlich genug wäre. Das Fahrzeug wird unter anderem für Aufgaben der Pioniertruppen eingesetzt. Der Nagmachon kann mit verschiedenen Frontvorrichtungen ausgestattet werden, wie etwa mit dem schweren Minenrollensystem Nochri, Minenpflügen oder Planierschilden. Das gibt dem Nagmachon auch eine begrenzte Fähigkeit, Wege durch Minenfelder und mit Sprengfallen versehene Gebiete zu durchbrechen, um so das Vorrücken anderer Fahrzeuge zu ermöglichen.

In der Rolle eines Infanterietransporters wird der Nagmachon zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt. Diese Fahrzeuge wurden auch zur Begleitung von gepanzerten Planierraupen des Typs Caterpillar D9 und für Patrouillenfahrten in feindlichen Gebieten und im urbanen Gelände eingesetzt.

Außerdem wurde Käfigpanzerung über dem charakteristischen Turmaufbau angebracht. Sie soll Schutz gegen Panzerfäuste und Lenkwaffen bieten. Darüber hinaus wurden die Fahrzeuge mit Shalgon-Störsendern ausgestattet. Diese sollen Funksignale blockieren, die zur Zündung von Sprengfallen am Straßenrand verwendet werden. Zur Selbstverteidigung gibt es zwei Werfer für Rauchgranaten. Der schwere gepanzerte Mannschaftstransporter hat eine Besatzung von zwei Personen und kann zehn Soldaten befördern.

Schwerer Panzer, leichte Bewaffnung

Die Bewaffnung selbst wirkt ungewöhnlich leicht, beschränkt sie sich doch auf zwei 7,62-mm-Allzweck-Maschinengewehre vom Typ FN MAG. Diese werden von dem Turm des Fahrzeugs aus ferngesteuert. Die Schützen können sie also bedienen, ohne dem feindlichen Feuer ausgesetzt zu sein. Der Nagmachon hat den gleichen Motor wie sein Vorgänger und der alte Centurion. Er wird von einem Continental-Diesel AVDS-1790-2A mit einer Leistung von 750 PS angetrieben, was nach heutigen Standards unterdimensioniert ist.

Der größte Nachteil des Nagmachon ist daher seine mangelnde Mobilität aufgrund seines hohen Gewichts und seines relativ schwachen Motors. Aber ähnlich wie beim Merkava lag das Hauptaugenmerk der Konstrukteure auf dem Schutz und nicht auf der Mobilität. Deshalb ist der Nagmachon für einen gepanzerten Truppentransporter extrem schwer: Mit 52 Tonnen wiegt das Fahrzeug mehr als viermal so viel wie ein M113.

Ein "M" steht für alles

Doch was bedeutet eigentlich der Name Nagmachon? Dazu ein kleiner Exkurs in die oft eigenartige Welt der militärische Nomenklatur. Die Bezeichnungen für alle möglichen Geräte von der Trinkflasche bis zum Flugzeug sind meist zweigeteilt: Sie folgen einer oft ziemlich willkürlichen Nummernfolge mit einem vorangestellten Buchstaben, im Westen oft M für Modell. Das freut zwar den Logistikoffizier, aber der Rest der Truppe tut sich üblicherweise schwer, sich den Unterschied zwischen einem M98 (einem Feldspaten) und einem M89 (einem Präzisionsgewehr) zu merken. Die Nummer gibt übrigens oft das Jahr der Einführung an, aber eben nicht immer, was zusätzlich zur Verwirrung beiträgt.

Deshalb bekommen vor allem Fahrzeuge eine mehr oder weniger eingängige Zusatzbezeichnung wie "Puma", "Leopard" oder "Sherman". Das hilft auch der Truppe bei der Unterscheidung der Fahrzeuge. Wenn eine Selbstfahrlafette aussieht wie die Kanzel eines Pfarrers, dann bietet sich eben der Name "Priest" an. Das kann sich jeder grüne Rekrut merken.

Hebräische Namensverwirrung

Die Israelis sind da keine Ausnahme: Der Kampfpanzer heißt Merkava, also Streitwagen. Der daraus abgeleitete Schützenpanzer heißt Namer, also Leopard. Das war nicht immer so, denn für die älteren Modelle von Schützenpanzern fand man einen viel originelleren Weg der Benennung: Man verwendete Akronyme, was vor allem für Außenstehende recht schnell zur Verwirrung führt.

So existiert das Wort "Nagmachon" im Hebräischen eigentlich nicht, ist es doch ein Akronym aus "Noseh Guysot Meshoryan", was wiederum "gepanzerter Truppentransporter" bedeutet. Wer bis hierhin aufgepasst hat, wird schnell merken, dass die letzte Silbe "on" da nicht dazupasst. Diese steht nämlich für "Gashon", was so viel wie "Bauch" bedeutet. Das wiederum soll darauf hinweisen, dass der Nagmachon an der Unterseite (also dem Bauch des Fahrzeuges) stärker gepanzert wurde. Zusätzlich gibt es noch die Endungen "-sh'ot" für Peitsche und "-pop" für ein Aufklärungsfahrzeug. (Peter Zellinger, 30.11.2023)