Der Merkava ist wohl einer der ungewöhnlichsten Kampfpanzer und wurde genau auf die Bedürfnisse der israelischen Streitkräfte zugeschnitten.
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"Der Merkava ist der beste Panzer der Welt!" Liest man aktuell die Berichte über den Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas, wird gerne ein Waffensystem herausgestrichen: der Merkava, zu deutsch "Streitwagen". Doch ist der israelische Kampfpanzer wirklich der beste seiner Art? Wahrscheinlich nicht, aber er ist mit Sicherheit der beste Panzer für die Israelis.

Das Dilemma der Konstrukteure

Panzerkonstrukteure hatten nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich eine Kernaufgabe: Ihre Panzer mussten mit den Bedingungen in Europa zurechtkommen. Das war zu Zeiten des Kalten Kriegs, und die Bedrohung durch Panzer wie den T-55 war groß. Wenn es zum Krieg zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt gekommen wäre, wäre dieser zum Großteil auf europäischem Boden ausgetragen worden. Deshalb sind der deutsche Leopard und der US-Abrams auch, wie sie sind: Sie dürfen nicht zu schwer sein und im Matsch Osteuropas stecken bleiben. Ihre Panzerung soll stark genug sein, um den meisten feindlichen Bedrohungen standzuhalten, und gleichzeitig sollen sie aber schnell genug für rasche Vorstöße sein. Am Ende steht also immer ein Kompromiss, schließlich muss man Panzerung, Mobilität und Feuerkraft irgendwie ausgleichen.

Als der Warschauer Pakt zerfiel, wurden auch die Bedrohungslagen andere. Nato-Panzer mussten auf einmal überall auf der Welt eingesetzt werden können. Nicht immer ging das ohne Probleme: Abrams-Panzer fielen während der Operation Desert Storm reihenweise aus, weil der irakische Sand die Luftfilter verstopfte. Leopard-Panzer werden aktuell aufwendig mit Klimaanlagen nachgerüstet, um der Besatzung einigermaßen erträgliche Bedingungen zu bieten.

Zugeschnitten auf die IDF

Diese Probleme haben die Isrealis mit ihrem Merkava nicht. Ihr Panzer musste nicht watfähig sein, weil er nie Flüsse überqueren musste. Ihr Panzer konnte schwer und stark gepanzert sein, weil er nicht durch matschiges Terrain musste. Dafür sollte er umso stärker gepanzert, gegen Minen und Sprengfallen überdurchschnittlich gut geschützt sein und auch im urbanen Gelände effektiv operieren können – eine Aufgabe, mit der sich Kampfpanzer traditionell sehr schwertun.

Diese Lektionen mussten die Israel Defense Forces (IDF) freilich erst selbst lernen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kaufte der noch junge Staat alte Sherman-Panzer (M4) der U.S. Army von den Schrottplätzen Europas, als in Ägypten mit dem T-55 schon die nächste Generation von Kampfpanzern anrollte. Zwar wurden die israelischen Sherman mit französischen Kanonen aufgerüstet, aber nach dem Sechstagekrieg war klar: Lange würde man sich damit nicht mehr gegen die Topmodelle aus sowjetischer Produktion wehren können. Aber: Frankreich brach als Waffenlieferant aufgrund eines Embargos weg. Die gemeinsame Entwicklung des Chieftain mit Großbritannien scheiterte am Druck der arabischen Welt.

Also beauftragten die IDF General Isreal "Talik" Tal im Jahr 1970 mit der Entwicklung eines eigenen Kampfpanzers. Die Aufgabenstellung schien unmöglich: Die neue Eigenentwicklung sollte vollständig vor Ort in Israel produziert werden, billig sein, der Besatzung den höchstmöglichen Schutz bieten und zukünftigen sowjetischen Modellen überlegen sein. Nur neun Jahre später, im April 1979, wurde der erste Merkava an die IDF übergeben. Tal hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal das ihm zur Verfügung gestellte Budget ausgeschöpft.

Die "Tankbulance" im Heck

Schnell erregte der Merkava das Interesse der westlichen Welt. So wurde die vierköpfige Crew bewusst weit hinten im Fahrzeug platziert. Motor und Antriebsstrang wurden in die Front des Fahrzeuges verlegt und dienen der Besatzung als zusätzlicher Schutz. Das ermöglicht gleichzeitig eine ungewöhnliche Nutzung des Hecks: Normalerweise wird hier die Munition in feuerfesten Behältern aufbewahrt. Spart man aber Geschoße ein, können sogar Soldaten im Merkava transportiert werden. Im Heck befindet sich auch die "Tankbulance", eine Art Erste-Hilfe-Posten mit Tragen und medizinischer Ausrüstung. Außerdem gibt es im Heck einen Notausstieg für die Crew.

Das Heck des Merkava bietet Platz für Soldaten.
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Der Turm ist extrem schmal und soll in gedeckter Stellung (Hull-down-Position) nur ein minimales Angriffsziel bieten. Gleichzeitig soll die abgeschrägte Panzerung die Aufprallenergie von auftreffenden Geschoßen möglichst minimieren. Der Merkava ist auch an seiner Unterseite vergleichsweise stark gepanzert. Der Wannenboden ist V-förmig gestaltet, damit die Energie von Explosionen, etwa durch Sprengfallen, zur Seite abgeleitet wird. Die Sitze der Besatzung haben keinen Kontakt mit dem Wannenboden, ein enorm wichtiges Sicherheitsfeature, das in vielen Armeen erst sehr viel später eingeführt wurde. Auch die Oberseite des Merkava ist ungewöhnlich stark gepanzert. Das soll Einsätze im urbanen Szenario wie etwa im Gazastreifen ermöglichen. Die Oberseiten gelten üblicherweise als die verwundbarsten Panzerteile, was die Effektivität von Kampfpanzern im Häuserkampf deutlich einschränkt.

Die starke Panzerung macht den Merkava IV mit 65 Tonnen auch zum schwersten Panzer der Welt, aber das Gewicht spielte für die IDF in der Entwicklung nur eine untergeordnete Rolle.

Dennoch war der Merkava nicht in allen Belangen technisch führend: Die ersten Varianten (Mark I, Mark II) setzten noch auf Panzerstahl, als die Konkurrenz in Gestalt des T-64 oder T-72 schon längst mit Verbundpanzerung unterwegs war. Beim ersten Kampfeinsatz des Merkava erwies sich dies aber nicht als Nachteil. 1982 waren im Libanon 200 Merkava im Einsatz. Nur 13 Prozent der feindlichen Treffer, die die Panzerung des Merkava durchschlugen, drangen auch in den Kampfraum ein. Bei vergleichbaren Panzern war dieser Wert etwa doppelt so hoch, wie der Direktor des Deutschen Panzermuseum Munster, Ralf Raths, in einem Video erklärt. In diesem Konflikt erwiesen sich die Merkava als den T-72 der syrischen Streitkräfte überlegen.

Geschichte(n) aus Stahl, Folge 10: Die Eiserne Wand - der Merkava
DasPanzermuseum

Ungewöhnliche Bewaffnung

Bewaffnet ist der Merkava ab der Version III mit einer im Westen üblichen 120-mm-Kanone, die Munition nach Nato-Standard verschießen kann. Das Feuerleitsystem Knight Mk 3 erlaubt präzises Schießen auch während der Fahrt. Durch ein vollstabilisiertes Sichtsystem mit Wärmebildgerät ist der Merkava Mk IV voll Hunter/Killer-fähig. Das bedeutet, der Kommandant übernimmt die Aufklärung und Zuweisung des Ziels, das der Richtschütze dann bekämpft. Das erlaubt dem Kommandanten, schon das nächste Ziel zu markieren, während der Schütze noch das vorige bekämpft. Vereinfacht gesagt kann die Besatzung dank dieser modernen Optiken im Gefecht in zwei Richtungen gleichzeitig schauen.

Ein Merkava Mk IV im Norden Israels, nahe der Grenze zum Libanon.
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Zusätzlich verfügt der Merkava über zwei 7,62-mm-Maschinengewehre, je eines an der Luke des Kommandanten und an der des Ladeschützen. Achsparallel zur Kanone ist ein 12,7 Maschinengewehr angebracht. Darüber hinaus verfügt der Merkava über ein für Panzer ungewöhnliches Waffensystem: Das Fahrzeug ist mit einem 60-mm-Mörser ausgestattet, der die Bekämpfung von eingegrabenen Feinden ermöglichen soll.

Angetrieben wird der 2003 eingeführte Merkava Mk IV von einem MTU-(Rolls-Royce-)Dieselmotor mit 1.500 PS. Das Design erwies sich als erfolgreich und dient trotz seines hohen Gewichts als Basis für andere Militärfahrzeuge. So baut der Mannschaftstransporter Namer auf dem Merkava auf. Namer bedeutet so viel Leopard, hat aber nichts mit dem gleichnamigen Kampfpanzer deutscher Produktion zu tun.

Hardkill-System

Der Merkava Mk IV Meil Ru'ach (Windbrecher) verfügt darüber hinaus über ein Hardkill-System vom Typ Trophy. Dabei handelt es sich um eine Radaranlage am Fahrzeug. Diese hat einen Rundumblick und erkennt anfliegende Geschoße. Binnen Millisekunden werden Winkel, Geschwindigkeit und Einschlagpunkt berechnet, woraufhin das Abwehrsystem eine Splitterladung abfeuert, die das anfliegende Geschoß zerstört. Gleichzeitig berechnet das System den Ausgangspunkt des Angriffs und ermöglicht der Panzerbesatzung so, gegen die feindlichen Kräfte vorzugehen. Auch Leopard-2-Kampfpanzer können mit diesem System ausgestattet werden.

Links und rechts am Turm ist das Trophy-Hardkill-System zu erkennen.
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Der VR-Panzer

Mit der Variante IV ist die Weiterentwicklung des Merkava aber noch nicht abgeschlossen. Aktuell wird das Modell Mark IV "Barak" (Blitz) eingeführt. Dieses verfügt über eine 360-Grad-Tag-Nacht-Kamera für bessere Rundumsicht. Der Kommandant des Blitzes trägt einen Helm, der jenen von Kampfjetpiloten ähnelt. Er ist nicht nur mit einem Head-up-Display ausgestattet, der Helm soll auch über Augmented-Reality-Fähigkeiten verfügen. Mit dieser Technologie sollen auch VR-Trainings möglich sein. (Peter Zellinger, 28.10.2023)