Die Admiral Kusnezow ist gut an ihrer schwarzen Rauchfahne zu erkennen.

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Wenn die Admiral Kusnezow ausrückt, dann tut sie das nie allein. Atomkreuzer, Raketenzerstörer und Jagd-U-Boote begleiten den einzigen Flugzeugträger der russischen Marine. Mit im Flottenverband ist allerdings auch immer mindestens ein Schleppschiff. Denn die Frage ist nicht, ob der Antrieb der Kusnezow ausfällt, sondern wann. Dann nimmt die Besatzung der Nikolai Tschiker, eines vergleichsweise winzigen Boots, die Kusnezow in Schlepp.

So geschehen im Jahr 2012, als der Flugzeugträger im Golf von Biskaya liegen blieb. Das Schiff musste den ganzen rund 4.500 Kilometer langen Heimweg nach Hause ins Reparaturdock in Seberomorsk in der Barentssee gezogen werden. Dabei hätte die Tour der Kusnezow den europäischen Nato-Mitgliedern Respekt einflößen sollen – übrig blieben die Havarie vor der Küste Spaniens und Spott über die Panne. Es sollte nicht die einzige bleiben.

Der Träger, der keiner ist

Dabei ist die Kusnezow nicht einmal ein richtiger Flugzeugträger, sondern trägt die offizielle Bezeichnung "schwerer Flugdeckkreuzer". Technisch gesehen ist die Kusnezow also eigentlich ein Großkampfschiff, kein Träger. Der Grund: Die Türkei lässt keine Träger mit mehr als 15.000 Tonnen durch die von ihr kontrollierten Meerengen. Die Admiral Kusnezow wäre also auf ewig im Schwarzen Meer gefangen gewesen. Deshalb griff die Sowjetunion ganz tief in die Trickkiste und klassifizierte den Träger einfach als Kreuzer. Schwupps, schon war das internationale Meerengenabkommen für das Flaggschiff nicht mehr gültig.

Weniger Flugzeuge, mehr Raketen

Technisch gesehen ist die Kusnezow tatsächlich ein Hybrid aus Kreuzer und Träger. Die Zahl der Flugzeuge ist mit 18 Su-33, 6 Mig-29K sowie sechs Helikoptern relativ klein. Dafür ist die Bewaffnung für einen Flugzeugträger ungewöhnlich stark und entspricht eher jener eines Kreuzers. Die Kusnezow verfügt über sechs 30-mm-Gatling-Kanonen zur Flugabwehr, acht Nahbereichsverteidigungssysteme vom Typ Kashtan, die ebenfalls aus Gatling-Kanonen sowie Luftabwehrraketen bestehen.

Darüber hinaus verfügt die Kusnezow über zwölf Seezielflugkörper vom Typ P-700 Granit, die größten je gebauten Waffen dieser Art. Diese Marschflugkörper wurden in den 70er-Jahren in der Sowjetunion entwickelt und können auch gegen Bodenziele eingesetzt werden. Hauptaufgabe der P-700 war es aber, die immer größer werdenden Träger der USA zu versenken. Außerdem verfügt der Träger über 24 Achtfachwerfer für Kinschal-Luftabwehrraketen sowie ein Raketensystem zur Bekämpfung von U-Booten.

Das gestohlene Schiff

Schon die Konstruktion stand unter keinem guten Stern. Gebaut wurde die Kusnezow von der Schwarzmeerwerft der Sowjetunion, also in der heutigen Ukraine. Offziell begann der Bau 1982, aber die tatsächlichen Arbeiten begannen erst 1983, damals noch unter dem Namen Riga. Später hieß das Schiff schließlich Leonid Breschnew, kurz danach Tbilisi und schließlich Admiral Flota Sovetskogo Soyuza N.G. Kusnezow, oder kurz: Admiral Kusnezow.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion lag das immer noch nicht fertig gebaute Flaggschiff im Jahr 1991 plötzlich in einer Werft der unabhängig gewordenen Ukraine. Diese erklärte die Kusnezow kurzerhand zu ihrem Eigentum. Doch die Russen kamen dem zuvor und befahlen dem Kapitän, sich der russischen Nordflotte anzuschließen, und so fuhr der noch unvollständige Flugzeugträger davon. In der Ukraine spricht man bis heute von einem Diebstahl.

Vom Schwesterschiff der Kusnezow, der Varyag, war zu diesem Zeitpunkt nur der Rumpf fertiggestellt. Diesen verkaufte die Ukraine später nach China, wo sie fertiggebaut wurde. Heute kennt man die Varyag als die Liaoning, Chinas ersten Flugzeugträger.

USA wollten Matrosen vor dem Verdursten retten

Doch zurück zum Pannenkreuzer Kusnezow: Der Stolz der Sowjet-Marine wurde 1995 fertiggestellt und brach am 23. Dezember 1995 zur ersten offiziellen Fahrt auf, pünktlich, um den 300. Geburtstag der russischen Marine zu feiern. Die Kusnezow fuhr bis vor die Küste Israels. Mit an Bord waren 13 Su-33-Jäger sowie zwei Übungsflugzeuge vom Typ SU-25UTG, mit denen man sehr zum Missfallen der Israelis Flugmanöver durchführte. Der Einsatz währte aber nicht lange: Die Entsalzungsanlagen an Bord der Kusnezow fielen aus. Die Besatzung hatte kein Trinkwasser mehr – eine Zeitlang sah es sogar so aus, als müsste die U.S. Navy die russischen Matrosen vor dem Verdursten retten.

Der erste Absturz

Die Kusnezow wurde für Reparaturen zurückbeordert und blieb bis Ende 1998 im Reparaturdock. Bis 2003 wurde es schließlich still um sie, bis sie zur Bergung des untergegangenen Atom-U-Boots Kursk eingesetzt wurde. 2005 fuhr der Träger in den Atlantik, wo erneut Übungen mit den Jagdflugzeugen durchgeführt wurden. Eine Su-33 stürzte dabei ins Meer, weil das Halteseil beim Landemanöver riss. Der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz retten.

DrMitsos

Dabei ist der Landeanflug auf die Kusnezow ohne technische Defekte schon schwierig genug: Die Träger der US Navy verfügen über ein etwa 332 Meter langes Flugdeck – und das gilt gemeinhin schon als knapp bemessen. Die Landebahn der Kusnezow ist deutlich kürzer und nur 284 Meter lang, was umso mehr Geschick vom Piloten erfordert, damit er sein Flugzeug sicher landen kann. Dazu kommt natürlich Seegang, der das Schiff zusätzlich hin- und herbewegt.

Die "kleinere Menge Öl" war eine Umweltkatastrophe

Eine neuerliche Überholung der Kusnezow war also fällig, und der Stolz der russischen Marine verbrachte wieder Jahre im Dock. 2009 rückte der Träger erneut aus. Beim Auftanken vor der irischen Küste geriet nach Angaben der russischen Marine "eine kleinere Menge Öl" ins Wasser. Die irischen Behörden schätzten, dass diese "kleinere Menge" etwa 600.000 Liter groß gewesen sein muss. Der Ölteppich breitete sich auf einer Fläche von etwa fünf mal fünf Kilometern aus. Außerdem kam es zu einem Feuer unter Deck. Ein Matrose starb.

US-Flotte rechnete mit dem Untergang

Ende 2011 brach die Kusnezow wieder einmal ins Mittelmeer auf. Sie sollte am syrischen Kriegsschauplatz aushelfen. In der US-Marine war man besorgt. Nicht weil das Flaggschiff der russischen Marine so bedrohlich war. Die amerikanischen Admiräle befürchteten, dass der Flugzeugträger aufgrund seines technischen Zustands im Mittelmeer sinken würde. Die Sorge war Berichten zufolge so groß, dass die sechste Flotte der U.S. Navy sogar damit beauftragt wurde, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Die Mission: Bei der Evakuierung der Seeleute helfen, falls der Flugzeugträger untergehen sollte.

Immer wieder brechen auf der Kusnezow Feuer aus.
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Ganz unbegründet war die Sorge nicht, denn kurz nach dem Jahreswechsel kam es zur eingangs beschriebenen Szene: Der Antrieb des Trägers fiel aus, die Kusnezow musste nach Hause geschleppt werden. Das hielt die russische Propaganda nicht davon ab, die Kuznezow als vollen Erfolg und technisches Wunder zu vermarkten. Die Marine kündigte sogar den Bau von sechs weiteren Flugzeugträgern an. Bis heute ist es dazu nicht gekommen. Tatsächlich landete die Kusnezow einmal mehr im Dock und wurde wieder einmal repariert.

Das Problem mit dem Antrieb

Große westliche Kriegsschiffe werden heute üblicherweise von Gasturbinen oder nuklear angetrieben. Die Kusnezow verfügt noch über veraltete Dampfkessel und Dampfturbinen. Verfeuert wird sogenannte Masut, ein zähflüssiges Öl, das so gut wie ausschließlich in Russland, Kasachstan, Abserbaidschan und Turkmenistan hergestellt und verwendet wird.

Dieses Öl gilt als besonders umweltschädlich, was auch die große schwarze Rauchfahne nahelegt, die von der Kusnezow ausgeht. Normalerweise müsste Masut vorerhitzt werden, um es zu verflüssigen. Doch dieses System scheint auf dem russischen Pannenkreuzer regelmäßig auszufallen.

Abstürze Nummer zwei und drei

2016 geriet die Kusnezow bei einem Einsatz im syrischen Bürgerkrieg wieder in die Schlagzeilen: Eine MiG-29K stürzte ab, weil der Maschine der Sprit ausging. Der Pilot konnte nicht landen, weil die Crew an Deck es nicht schaffte, rechtzeitig ein Fangseil zu reparieren. Der Pilot konnte mit dem Schleudersitz aussteigen und wurde anschließend aus dem Mittelmeer gerettet.

Drei Wochen später kam es zu einem ganz ähnlichen Vorfall: Eine Su-33 stürzte ins Meer, weil der Verankerung des Flugzeuges versagt hatte. Der Pilot wurde gerettet. Aus Sicherheitsgründen wurden daraufhin sämtliche Flugzeuge an Land verlegt und der Träger war plötzlich ohne Flugmaterial. Der damalige britische Verteidigungsminister Michael Fallon nannte die Kusnezow daraufhin das "Schiff der Schande". Admiral Wladimir Koroljow, Kommandeur der russischen Marine, sah das ganz anders: Er nannte den Einsatz "einen der größten in der Seefahrtgeschichte Russlands". 2017 landete die Kusnezow wieder im Reparaturdock. Sieben Ausfahrten hatte der Kreuzer bislang absolviert, nur eine davon blieb ohne grobe technische Ausfälle.

Der Unfall mit dem tonnenschweren Kran

Seitdem wird die Kusnezow modernisiert, doch im Zuge der Arbeiten kam es immer wieder zu Pannen und regelrechten Katastrophen. Im Oktober 2018 lag die Kusnezow im größten schwimmenden Dock der Welt in der Kola-Bucht in der Barentssee. Beim Ausdocken fiel plötzlich der Strom aus, wodurch das Schwimmdock unkontrolliert sank. Ein 70 Tonnen schwerer Kran stürzte auf die Kusnezow und schlug ein vier mal fünf Meter großes Loch ins Deck. Ein Arbeiter wurde bei dem Unfall getötet.

Die Kusnezow wird einmal mehr überholt und soll 2024 wieder in See stechen. Doch niemand will auf ihr dienen.
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Daraufhin gab es Zweifel innerhalb der russischen Marine, ob die Kusnezow überhaupt noch zu retten sei und ob sich der finanzielle Aufwand den Pleitenkreuzer weiterzubetreiben überhaupt noch lohnt. Doch die Kuznezow entkam der Verschrottung und wurde in den Hafen von Murmansk verlegt. Dort brach 2019 ein Feuer an Bord aus, das sich auf 600 Quadratmeter ausdehnte. Vier Arbeiter starben. Ausgelöst wurde der Brand vermutlich durch Schweißarbeiten.

Im Dezember 2022 kam es erneut zu einem Brand, bei dem es aber zu keinen wesentlichen Schäden gekommen sein soll. 2024 soll das Schiff wieder in See stechen. Aktuell sucht die russische Marine nach Matrosen, die auf der Kusnezow dienen wollen. Jedoch gestaltet sich die Suche aus naheliegenden Gründen schwierig.

Dienst auf der Kusnezow gilt als Strafe

Das Flaggschiff der russischen Marine gilt unter Matrosen aufgrund der nicht enden wollenden Pannenserie mittlerweile als verflucht, weshalb Dienst auf der Kusnezow auch als Strafe empfunden wird. 1.500 Seeleute werden aktuell gesucht, darunter auch Offiziere, Matrosen, Navigatoren und Signalspezialisten. Ob die Kusnezow tatsächlich 2024 wieder in See sticht, ist fraglich.

Ein Blick ins Innere des russischen Flaggschiffs.
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"Selbst wenn 1.500 geeignete Seeleute gefunden werden, würde ihre Ausbildung und Einarbeitung mit dem Träger Monate dauern, da die Kusnezow das größte Überwasserschiff Russlands ist. Selbst die alte Besatzung hätte Schwierigkeiten, die neu installierte Ausrüstung richtig zu bedienen", sagt etwa der Marineexperte Matus Smuty gegenüber "The Warzone". Eine unzureichend ausgebildete Besatzung würde zu noch mehr schweren Unfällen führen, so die Warnung.

Berichte über untragbare Zustände

Dazu kommen immer mehr Berichte über untragbare Zustände, in denen die Schiffsbesatzung arbeiten muss. Weil die Heizungssysteme nicht funktionieren, ist es an Bord ständig kalt. Schlimmer noch: Die Wasserleitungen müssen immer wieder abgestellt werden, aus Angst, sie könnten einfrieren und dadurch brechen. Das führt dazu, dass für 1.500 Seeleute nur 25 Toiletten an Bord zur Verfügung stehen. Laut Berichten von russischen Seeleuten sind Wartezeiten von sechs Stunden keine Seltenheit, um die Toilette benutzen zu können.

Die Kombüse, also die Schiffsküche, kann immer nur 150 Leute gleichzeitig verköstigen, was wiederum zu enormen Wartezeiten führt. In der russischen Marine kursiert daher der Spruch: "Benimm dich, oder du landest auf der Kusnezow". (Peter Zellinger, 28.4.2023)