Penisform, Kekse
Die Penis-Keksformen sind ein Polterabendhit.
Heribert Corn

Jetzt sind sie wieder unterwegs, die Weihnachtskeksbrigaden, und die Menschenkinder tauchen ein in die alljährliche Nostalgie samt Zimt, Jingle Bells und Punschhütte. Doch wer seinen Liebsten am Heiligen Abend mehr Keksformen als "Stern", "Stern mit Schweif" oder "Baum" bieten möchte, der muss sich sputen oder ist vielleicht überhaupt schon zu spät dran. Denn die Wichtel, die bestellte Formen noch zurechtbiegen könnten, sind jetzt alle längst eingeteilt, und der Weihnachtsmann nimmt um diese Zeit keine Versandaufträge mehr entgegen. Darum melden sich ihre Kunden idealerweise bereits ab Juni, erklärt Isabella Urban, Inhaberin der Kex­fabrik – jedenfalls, wenn sie in der Küche Größeres vorhaben oder daran denken, größere Mengen ihrer Ausstecher zu verschenken.

Das Sisi-Kekserl

"Endlich finde ich ein Geschäft mit Backformen!" Die Glücksgefühle, die ihr dieser Satz bereitet, möchte Urban nicht missen. Daher freut sie sich über persönliche Begegnungen und Fachgespräche („Der Keks? Das Keks?“) in ihrem Geschäft nahe dem Wiener Handelskai. Genauso wie über schriftliche Lobpreisungen via Onlineshop, den sie "Gott sei Dank schon vor der Pandemie" eröffnet hatte. Während dieser zog nämlich die Sache mit den Keksen noch einmal richtig an, da suchten die Leute zu Hause händeringend nach Beschäftigung, und Keksformen wurden dabei auch als Stempel für das hausgemachte Sauerteigbrot zweckentfremdet.

Das niedergelassene Geschäft hat sie schon 2005 eröffnet, da war das Mozartjahr, und sie hatte eine Keksform in Gestalt des Wolferl "erfunden". Und weil der im Keksformenregal dann gar so allein herumhing, hat sie ihm noch den Stephansdom und das Riesenrad als Ausstecher mit dazugehängt.

In der Folge kamen immer mehr Leute zu ihr und meinten: Und was ist mit Tutench­amun? Mit der Venus von Milo? Mit dem, der und jener? All die Vorschläge und Ideen hat sie zu weiteren Keksausstechern geformt, und insbesondere der Grazer Uhrturm entpuppte sich als weiterer Bestseller, anders als Abraham Lincoln, von dem sie einmal dachte, der habe ein interessantes Gesicht – was auch stimmt! Nur als Keks wollte ihn dann trotzdem keiner haben. Die Kaiserin Sisi hingegen, die heuer dem berühmten Bild von Franz Xaver Winterhalter nachempfunden die Herzen aller Keksformenenthusiasten höherschlagen ließ, schon.

Ganze Märchen als Kekse

Grundsätzlich versucht Isabella Urban alle Wünsche, die an sie herangetragen werden, zu erfüllen: die Umrisse des Vereinswappens, das Profil des Opas oder vor allem die edle Gestalt des Hundsis. Bei dem müsse man aber aufpassen, dass der Schwanz bei der Keksform nicht zu dünn gerate, weil er sonst beim Ausstechen abbreche. "Der Lustigste, der mal da war", erzählt sie, war einer, der "Schneewittchen und die sieben Zwerge haben wollt, und der für jeden der identischen sieben Zwerge eine eigene Form bestellte."

Pflanzen, Symbole, Musik, Sehenswürdigkeiten, Tierwelt von exotisch bis Bauernhof, Mensch und Liebe, Fahrzeuge, Buchstaben, Halloween (Geister, Grabsteine, Zombies, Hexen), Ostern, Neujahr, Trinken oder Essen – es gibt kaum mehr Keksformen, die es nicht gibt, wobei manche auch zweckentfremdet würden: Mit den Umrissen unseres schönen Landes als Keksform werde auch einmal Faschiertes ausgestochen, und – jetzt wird es ein bisschen unweihnachtlich – die Penisformen in drei Größen seien sehr beliebt bei Polterabenden. Damit werde aber oft Extrawurst ausgestochen statt Mürbteig, denn es gilt: "Keksformen sind nicht nur zum Keksebacken da!" Man kann die Formen auch in den Kuchen reintun, was beim Aufschneiden lustige Effekte ergibt, oder Käse ausstechen und damit Brötchen belegen. Immer wieder kämen auch Keramiker und Künstler zu ihr mit Spezialaufträgen, und welcher Kindergarten hat sie nicht zum Plastilinausstechen?

Kekse, Advent
2005 hat Isabella Urban ihre Kexfabrik eröffnet. Sie ist nahe des Handelskais im zweiten Bezirk untergebracht.
Heribert Corn

Es kann durchaus sein, dass Urban nachts aufwacht und ihr eine neue Keksform einfällt. Längst sind es über 900 Ausstecher, von de­nen sie entweder selbst ein Einzelstück anfertigt (und um 100 Euro verkauft) oder die sie in Größenordnungen von 500 bis 2000 Stück bei einer Firma im oberösterreichischen Wels produzieren lässt (Verkaufspreis: ca. fünf Euro pro Stück). "Das ist ein relativ aufwendiges Verfahren mit Modeln, um die man dann das Weißblechband herumlaufen lässt und in die gewünschte Form drückt, bevor es gepunktet, also fixiert, wird, was noch immer meist händisch passiert." Seltener werde Edelstahl verwendet, weil der zwar rostfrei sei, aber eben auch schwerer zu formen.

Wer macht die Besten?

"Über 50 Prozent der Haushalte", weiß Ur­ban, würden zu Weihnachten immer noch Kekse backen, und zwar vorwiegend aus Mürbteig, der ausgestochene Lebkuchen geht so ne­benher. Hauptverbreitungsgebiet sei grob gesagt "der deutschsprachige Raum" und in Österreich vor allem die Bundesländer Steiermark und Oberösterreich. In Tschechien und anderen ehemaligen Kronländern würden gewiss auch Kekse ausgestochen, aber in Ländern wie Japan beispielsweise, wo sie eine einzige Onlinekundin habe, kenne man schlicht keinen Mürbteig. Bei uns hingegen: "Keksebacken ist ein sozialer Event!" Freundinnengruppen holen bei ihr Formen ab, oder Väter kommen mit ihren Kindern und fahren dann gemeinsam zur Oma zum Keksebacken.

Kekse
Der Webshop der Kexfabrik (shop.kexfabrik.at) wurde in der Pandemie zum Erfolg. Rund 900 Ausstechformen sind lagernd.
Heribert Corn

Die Oma, weiß sie, werde von beinahe ­allen als Keksexpertin verklärt, in vielen Küchenladen der Omas finden sich deren alte Ausstecher, wobei sich in manchen Haushalten sogar noch die Keksschablonen aus Backpapier finden würden: Die hat die eine oder andere Superoma früher ausgeschnitten, auf den Teig draufgelegt und dann jedes einzelne Kekserl mit dem Messer ausgestochen. Da war ein Zimtstern noch etwas wert! Und wer unerlaubterweise einen aus der versteckten Keksdose stibitzt hat, der wusste um die Konsequenzen: "Kein Weihnachtsgeschenk!" Irgendwann aber konnte auch die stechfreudigste Oma nicht mehr, und die Kinder und Enkel kommen heute mit diesen Backpapiervorlagen zu ihr und möchten daraus eine Keksform gemacht haben.

"Die besten Kekse sind die, die zu Weihnachten weg sind, danach mag sie eh keiner mehr sehen", spricht sie zum Schluss noch den Sättigungsaspekt der ganzen Keksebacke­reien an. Und da mittlerweile auch welche Kekse backen, die zwar Omas Ausstecher, aber nicht ihr Talent geerbt haben, kann die Weihnachtszeit auch dem Umschiffen angebotener Keksteller gleichen, wobei meist nicht einmal ein "Danke, ich hab schon zehn Kilo zugenommen!" als Ausrede akzeptiert wird. Denn mit dem Keksebacken verbindet sich vor allem auch eines: der unbedingte Glaube, selbst die besten zu machen. (Manfred Rebhandl, 4. 12. 2023)