Fichtinger und ihre Gewerkschaftsmitstreiter am frühen Morgen in der Triester Straße
Fichtinger (im roten Poncho links vorne) und ihre Gewerkschaftsmitstreiter am frühen Morgen in der Triester Straße.
Lukas Kapeller

Die Billa-Mitarbeiterin Amira Bosnjak bekommt an diesem Freitag in ihrer Filiale prominenten Besuch. Der Rewe-Betriebsratsvorsitzende Werner Hackl ist da und die Chefverhandlerin der Gewerkschaft GPA, Helga Fichtinger, auch einige Fernsehsender. Um halb acht Uhr morgens sind Betriebsräte und Rewe-Mitarbeiterinnen vor dem Billa Plus in der Triester Straße in Wien-Favoriten zusammengekommen. "Ich bin hier, weil die Verhandlungen so lange dauern und die uns so wenig Geld geben wollen. Die Inflation ist ja viel höher als sechs Prozent gewesen", sagt Bosnjak, 44 Jahre alt, seit 13 Jahren für Merkur und Billa tätig.

Sonst wird ihre Billa-Plus-Filiale um 7.40 Uhr aufgesperrt, heute wird um diese Uhrzeit gestreikt. Erst einmal nur für eine Stunde, ein Warnstreik.

Video: Warnstreik vor Billa Plus: "Viele können ihren Alltag nicht mehr finanzieren"
APA

Zähes Ringen

Auf die Streikenden in der Triester Straße prasselt Regen, und auch über der Branche hängen dunkle Wolken. Die Verhandlungen für einen neuen Kollektivvertrag im Handel dauern in diesem Jahr lange und verlaufen ruppig. Zu Warnstreiks kam es im Handel bisher noch nie, nun ist es so weit. Von Donnerstag bis Samstag führen Beschäftigte österreichweit in 300 Geschäften Warnstreiks durch.

Am Dienstag ist die vierte Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft ohne Abschluss zu Ende gegangen. Ursprünglich boten die Arbeitgeber ein Gehaltsplus von fünf Prozent und eine Einmalzahlung von 800 Euro an, mittlerweile sind es sechs Prozent und eine einmalige Prämie von 1.000 Euro. Auch die Gewerkschaft bewegte sich und reduzierte ihre Forderung von 9,5 Prozent und einem Fixbetrag von monatlich 40 Euro auf 9,4 Prozent zuzüglich 15 Euro Fixbetrag.

Amira Bosnjak arbeitet bei Billa Plus
Amira Bosnjak: "Zu unserer Arbeit kommt hinzu, dass sich Kunden täglich bei uns aufregen, dass Produkte teurer geworden sind."
Lukas Kapeller

Historische Warnstreiks

"Der Handel streikt erstmalig in der Geschichte. Das haben die Arbeitgeber zu verantworten, weil sie ein Angebot mit sechs Prozent auf den Tisch legten. Das ist weit unter der Inflationsrate und einfach nicht fair", sagt Fichtinger, die einen roten Regenponcho trägt, vor der Billa-Plus-Filiale. Ob sie hoffe, dass durch den gestaffelten Metallerabschluss mit einem Gehaltsplus von im Schnitt 8,6 Prozent nun Bewegung in die Sache kommt? "Ja, wir hoffen, dass die Bundessparte Handel sich endlich traut, sich zu bewegen, nachdem die Metaller abgeschlossen haben."

Rewe-Betriebsratsvorsitzender Hackl sieht das an diesem Morgen ähnlich: "Ich erhoffe mir nach dem Metallerabschluss natürlich schon, dass wir auch im Handel von den Einmalzahlungen wegkommen." Die GPA lehnt Einmalzahlungen strikt ab, sie seien für die Mitarbeitenden im Handel ein Verlustgeschäft. Über den Aufmarsch vor der Billa-Plus-Filiale in der Triester Straße wie vor anderen Geschäften in Österreich zeigt sich Hackl erfreut: "Auch die Handelsangestellten zeigen gerade: Wir können streiken, wir können mobilisieren."

Ein weites Feld

Der Kollektivvertrag im Handel deckt ein besonders weites Feld ab – von Einzelunternehmen wie Buchhandlungen und Modegeschäften bis zu Konzernen. Die Vertreter der Arbeitgeber führen in den Verhandlungen auch kleine Unternehmen an, die sich wegen immer höherer Mieten und Energiekosten ein sattes Gehaltsplus schlicht nicht leisten könnten.

"Ich habe viele Gespräche mit kleineren Unternehmen geführt", beteuert GPA-Verhandlerin Fichtinger. "Die verstehen die Situation der Beschäftigten, weil sie ein enges Verhältnis zu ihren Mitarbeitern haben." Wenn Angestellte jetzt nur fünf oder sechs Prozent mehr bekämen, könnten sie ihren Alltag nicht mehr meistern, sagt sie.

Nihat Sahan steht auf dem Billa-Plus-Parkplatz
Nihat Sahan hat Verständnis für den Protest der Rewe-Mitarbeiterinnen.
Lukas Kapeller

Kunde zeigt Verständnis

Vom Parkplatz vor der Billa-Plus-Filiale sieht sich Nihat Sahan entspannt den Arbeitskampf an. "Wie lange dauert's? Bis halb neun? Dann wart' ich", sagt er. Sahan will unter anderem Biosemmeln kaufen. Andere Kunden steigen wieder in ihre Autos und versuchen ihr Glück woanders. "Ich verstehe, dass die streiken. Die können ja nicht für zwei arbeiten. Jeder muss irgendwie leben", meint Sahan.

Am 2. Dezember ist der erste Einkaufssamstag im Advent, ein wichtiger Tag im österreichischen Handel. Auch für diesen Tag sind Warnstreiks angekündigt, also zeitlich befristete Arbeitsniederlegungen. Wo genau gestreikt wird, verrät die Gewerkschaft naturgemäß nicht.

Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer, kritisierte am Freitag, die Warnstreiks seien "nicht hilfreich" für die angespannte wirtschaftliche Lage der Betriebe. Von Warnstreiks würden ausländische Onlinehändler profitieren, warnte er.

"Wir sehen seit gestern, dass die Nervosität der Arbeitgeber sehr hoch ist", sagt hingegen Fichtinger. Diese hätten es aber in der Hand, das Ganze zu beenden, indem sie "rasch einen Verhandlungstermin ermöglichen". Zuletzt bot die Gewerkschaft den 5. oder 6. Dezember für die nächste Runde an. Fichtinger: "Dann können wir auch zu einem Abschluss kommen, und es könnte der Weihnachtsfrieden einkehren." (Lukas Kapeller, 1.12.2023)