Wirt (Günter Franzmeier) und Kellner (Claudius von Stolzmann).
Wirt (Günter Franzmeier) und Kellner (Claudius von Stolzmann).
Moritz Schell

Den "Nazismus" seiner Landsleute sah der Schriftsteller Fritz Hochwälder nicht als "das Werk einiger Volksverderber", sondern einer "unstillbaren Sehnsucht der vielen" geschuldet, "die nie, nie wieder ihr eigenes Abbild so erfolgreich gesteigert sehen werden, wie es in vergangener Blütezeit geschah". Mit dem Anschluss Österreichs war er 1938 in die Schweiz geflüchtet, seine Eltern wurden 1942 deportiert und in den Gaskammern ermordet. Kein Wunder, wenn sich der 1911 in Wien Geborene (er starb 1986 in Zürich) in vielen Werken mit den Auswüchsen der NS-Macht befasste.

Einst am Burgtheater gespielt, sind jene inzwischen fast vergessen. Der Himbeerpflücker, 1964 geschrieben und sogleich im TV ausgestrahlt, ist jetzt in den Kammerspielen zu sehen. Die Fußstapfen sind groß: Helmut Qualtinger spielte damals den Ortskaiser, Bürgermeister, Wirtshausinhaber Steisshäuptl.

Was sind das für Zeiten, in denen ein Schmuckdieb mehr Abscheu erregt als einer, der im Krieg 8000 Menschen erschossen hat? Es sind die 1960er in Bad Brauning, in der holzgetäfelten Wirtsstube (schön die Bühne von Miriam Busch) füllt Günter Franzmeier dessen Rolle aus. Zwischen Leberknödeln, Ausritten ins derb Verbale und einem Teppich, der nur ausgelegt ist, damit der begriffsstutzige Kellner Zagl (toll: Claudius von Stolzmann) ins Stolpern kommt, dient sie den Leistungsträgern des Orts als Safe Space.

Böse Heimatstudie

Wenn Mineralwasserfabrikant (Johannes Seilern), Schuldirektor (Markus Kofler), Doktor (André Pohl) und Baumeister (Alexander Strömer) hier überm Schnaps tratschen, wird Juwelier immer noch mit "Jud" gleichgesetzt und kommt einem schon einmal ein "Heil" aus. Zwölf de facto Hauptrollen lässt die Josefstadt sich den Abend kosten, eine jede ist trefflich besetzt. Frischen Wind in den Mief bringt einzig Wirtstochter Sieglinde (Paula Nocker) mit Rock 'n' Roll und rotem Haar. Da taucht ein Fremder (Ulrich Reinthaller) auf und wird mit dem von früher verwechselt, der aus Jux tausende Lagerinsassen erschoss.

Sofort gilt er – erstens nicht in ihren Gepflogenheiten des Verschweigens geübt und zweitens, weil alle schuldig sind – als Bedrohung. So mischt sich etwas Verwechslungskomödie in die böse Heimatstudie. Mit Roy Black aus der Jukebox ist die schön gemacht und mit Lust gespielt, hält über fast zwei Stunden aber doch nicht die Spannung. Was daran liegt, dass die sehr plakative Anklage einst, da lauter Täter im Theaterpublikum saßen, eruptiv war. Viel Aufarbeitung später ist sie dramaturgisch zu eindeutig, und Slapstick als Regiekonzept (Stephanie Mohr) macht die Figuren witzig-karikaturhaft. Viel Applaus. (Michael Wurmitzer, 1.12.2023)