Benko
Hohe Zinsen, fragwürdige Immobilienbewertungen und ein Gründer, dessen Großmannssucht den Konzern teuer zu stehen kam: alle Faktoren, die zum Zusammenbruch von René Benkos Signa führten.
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1. Die Zinsen: Sie brachten Aufstieg und Fall des Tycoons

Es gibt viele Arten, die Geschichte des Unternehmers René Beno zu erzählen. Lässt man einmal den Pomp, Glamour und das ganze Drama beiseite, zeigt sich: Benkos Aufstieg und Fall hängt so eng mit den Zinsen zusammen wie mit keinem anderen Faktor. Viele der großen Immobilieninvestitionen hat Benko in den vergangenen 15 Jahren getätigt. Das fiel zusammen mit einer Zeit extrem niedriger Zinsen. Eines von vielen Beispielen: Benko erwarb das Goldene Quartier, ein nobles Geschäftsviertel in der Wiener Innenstadt, im April 2008 um 141 Millionen Euro. Die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) begannen damals als Folge der Finanzkrise zu sinken, von knapp vier auf null Prozent 2014.

Da Kredite zur Finanzierung von Immobilienprojekten im Regelfall variabel vergeben werden, ersparte sich Benko damit Millionen. Dazu kam ein zweiter Faktor: Investitionen in Realitäten sind eine der "zinsempfindlichsten Komponenten" der gesamten Wirtschaft, wie Experten der EZB in einer Analyse schreiben. Heißt, sind die Zinsen niedrig, legen Investoren rasch ihr Geld in Immobilien an. Das hat Folgen: So sind seit 2008 die Immobilienpreise in Österreich um 140 Prozent gestiegen. Steigen die Immo-Preise, erhöhen sich gewerbliche Mieten – Benko verdiente daran. Auch viele seiner Investitionen in den Wohnungsmarkt fallen in die Zeit des Immobilienbooms. Die Signa Holding kaufte etwa 2014 für 200 Millionen Euro ein Areal beim Hauptbahnhof in Wien, um darauf ein Hotel und mehr als 340 Apartments zu errichten. Die Wohnungspreise stiegen seitdem um 70 Prozent.

Mit dem Zinsanstieg ging die Party zu Ende. Ab Sommer 2022 erhöhte die EZB den Leitzins schrittweise von null Prozent auf 4,5 Prozent. Benkos variable Kredite verteuerten sich. Er forcierte dennoch weiter Großprojekte. Der Rest ist Geschichte.

2. Das Handelsgeschäft: Teure Ausflüge in den Handelssektor scheiterten

Die Warenhäuser von Galeria Kaufhof in Deutschland und die Möbelhauskette Kika/Leiner in Österreich waren schon vor dem Einstieg Benkos keine florierenden Unternehmen. Immerhin ist die hohe Zeit der Kaufhäuser lang vorbei, und der Möbelmarkt gilt als hoffnungslos übersättigt. Doch Benkos Signa stieg trotzdem in großem Stil ein. Man dachte, man könne es besser, etwa durch besseres Service und den Ausbau des Online-Handels. Überdies gab es wohl auch den Hintergedanken, durch hohe Mieten, die Signa ihren Handelstöchtern abverlangte, den Wert von Handelsimmobilien in den Büchern hochzutreiben (siehe Aspekt Bewertungen). Bei der Signa-Übernahme der Galeria etwa sei die Miete verdoppelt worden, erklärte kürzlich der deutsche Handelsexperte Gerrit Heinemann.

Zwischen 2014 und 2018 übernahm Benko die ehemals konkurrierenden Ketten Karstadt und Kaufhof, die er zur Galeria vereinigte. 2018 kaufte er vom skandalgebeutelten südafrikanischen Konzern Steinhoff Kika/Leiner; die damals türkis-blaue Regierung schob bei dem Deal kräftig an und jubelte danach über die "österreichische Lösung". Dazu kamen hohe Investitionen etwa ins Online-Sporthandelsgeschäft.

Und heute? Die Signa-Sporthandelstochter wurde im Oktober insolvent. Kika/Leiner hatte es schon zuvor getroffen, im Sommer – nur Tage nachdem Benko die Kette und die Grundstücke an neue Investoren verkauft hatte. Bei der Pleite ging auch Steuergeld verloren, denn Kika/Leiner schuldete der Republik Steuern, die in der Corona-Zeit gestundet worden waren. In Deutschland durchlief die Galeria gleich zwei Schutzschirmverfahren, inklusive staatlicher Finanzspritzen, Schuldenschnitten und Arbeitsplatzverlusten.

Die Handelsinvestitionen hätten "nicht den erwarteten Erfolg gebracht", konstatierte die Signa in ihrem Insolvenzantrag am Mittwoch nüchtern.

Christoph Stadlhuber, Spitzenmanager Signa Holding: Der 56-jährige Raumplaner ist einer von zwei Geschäftsführern der Signa-Dachgesellschaft, war einst im Kabinett von Wirtschaftsminister Martin Barten-stein (ÖVP), Chef der Bundesimmobiliengesellschaft BIG, 2011 wechselte er zu Benko. Bis 2021 war er Chef der Signa Prime und Development, in deren Aufsichtsrat er nun sitzt. Der Ex-Schwiegersohn von Ex-Raiffeisen-Boss Christian Konrad ist eine der grauen Eminenzen der Gruppe. Laut Firmenbuch ist er Geschäftsführer in 22, Funktionsträger in zehn Gesellschaften.
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Karl Sevelda Mitglied Signa-Beirat, Aufsichtsrat: Der 73-Jährige war von 2013 bis 2017 Vorstandschef der Raiffeisenbank International (RBI) und gilt im österreichischen Bankwesen als so etwas wie ein Urgestein. Er ist Mitglied des Signa-Beirats, der die operativ tätigen Manager strategisch beraten soll, und seit 2017 Mitglied im Aufsichtsrat von Signa Prime und Signa Development, in Letzterem ist er Vizechef. Die RBI hat der Signa aktuell rund 750 Millionen Euro an Krediten eingeräumt, früher soll das Engagement wesentlich höher gewesen sein. Sevelda war Gründungsmitglied des Liberalen Forums.
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Susanne Riess-Hahn, Mitglied Signa-Beirat, Aufsichtsrat: Die 62-jährige Ex-FPÖ-Obfrau ist Wüstenrot-Chefin und war unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) von 2000 bis 2003 Vizekanzlerin (FPÖ). 2005 trat sie aus der FPÖ aus. Sie ist eines der Mitglieder im Signa-Beirat, und seit 2017 sitzt sie im Aufsichtsrat von Signa Prime und Signa Development. Einst war sie mit Michael Passer verheiratet, einem Steuerberater Benkos. Gemeinsam waren Benko und Passer in rechtliche Turbulenzen geraten. Riess-Hahn ist auch im Generalrat der Notenbank vertreten, sie stand zuletzt felsenfest hinter Benko.
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Karl Samstag (links) Beiratsmitglied, Aufsichtsrat: Karl Samstag sitzt zum einen im Signa-Beirat, zum anderen im Aufsichtsrat der Signa Prime. Der heute 78-Jährige kommt aus der Wiener Zentralsparkasse, deren Vorstandschef er 1989 wurde. In der aus ihr hervorgegangenen Bank Austria war er 2003 bis 2004 Vorstandsvorsitzender. Samstag gilt als einer, der eher ruhig im Hintergrund agiert. Auch die heute der Mailänder Unicredit gehörende Bank Austria ist eine der großen Kreditgeberinnen der Signa-Gruppe – mit einem Darlehensvolumen von 600 bis 700 Millionen Euro.
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Hans Peter Haselsteiner, Miteigentümer der Signa Holding: Der Strabag-Kernaktionär hat viel Geld in die Signa gesteckt, hält indirekt 15 Prozent an der Signa Holding und 9,2 Prozent an der Development. Im November hat der 79-jährige "HPH" René Benkos Ende eingeläutet, als er und weitere Investoren öffentlich dessen Rückzug forderten. Das Verhältnis ist nun eisig, ebenso jenes zu Beiratsmitglied und Aufsichtsrat Alfred Gusenbauer. Der ist Aufsichtsratschef der Strabag und im Vorstand von "HPHs" Stiftungen. Haselsteiner saß einst für das Liberale Forum im Nationalrat und finanzierte die Neos.
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Torsten Toeller Signa-Investor, Fressnapf-Gründer: Auch der Fressnapf-Gründer ist einer jener Investoren, die Benkos Rückzug forderten. Der Deutsche wird von Forbes auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Er ist mit 4,5 Prozent an der Signa Holding beteiligt, deutsche Medien berichteten, dass er inzwischen eine Verkaufsoption ausgeübt habe. Im Insolvenzantrag der Signa Holding ist die Fressnapf Luxembourg GmbH aber noch als Eigentümerin geführt. Der "stille Milliardär" (Wirtschaftswoche) hatte zunächst Anteile an der Signa Prime, die er dann gegen solche an der Holding tauschte.
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Karin Fuhrmann Stiftungsvorstand, Steuerberaterin: Die 57-jährige Partnerin der TPA Group und TPA Steuerberatung GmbH berät Benko und Signa nicht nur, sondern hat neben Marcus Mühlberger auch Sitz und Stimme im Vorstand der Familie Benko Privatstiftung. Die wurde von Benko und seiner Mutter gestiftet. Fuhrmann wird im Firmenbuch als wirtschaftlich Berechtigte geführt. Sie ist auf die Immobilienwirtschaft spezialisiert, die TPA erstellte auch für die Signa Holding den Jahresabschluss 2022. 2015, 2017 und 2019 war Fuhrmann "Steuerberaterin des Jahres" für den Bereich Immobilien und Bauwirtschaft.
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Arndt Geiwitz, Sanierer und Berater: Der 54-jährige deutsche Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sollte als Signa-Sanierer tätig werden. Schon bei der ersten Insolvenz von Galeria Kaufhof wurde er als Insolvenzverwalter geholt, es ging um Filial- und Jobabbau. Der Schwabe genießt das Vertrauen der Signa-Investoren und sollte Benko auch als Beiratsvorsitzender ablösen. Ob und wie das geschehen ist, ist unklar. Nun, da die Signa Holding insolvent ist und das Gericht einen Sanierungsverwalter bestellt hat, soll Geiwitz "beratend tätig sein", wie es aus der Signa heißt.
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3. Die Intransparenz: Rätselhafte Geldflüsse unter den Tochtergesellschaften

Dass Immobilienkonzerne viele Tochtergesellschaften haben, ist nicht ungewöhnlich – gemeinhin liegt jedes Gebäude in einer eigenen Objektgesellschaft. Die Signa-Gruppe mit ihren rund tausend Töchtern in mehreren Staaten jedoch ragt mit geradezu abenteuerlicher Intransparenz heraus. Die Aufarbeitung wird dem Insolvenzverwalter viel Kopfzerbrechen bereiten; allein die Signa Holding ist laut Insolvenzantrag an 53 Gesellschaften direkt und an mehreren Hundert Gesellschaften indirekt beteiligt.

Im Firmenbuch finden sich zahlreiche Signa-Gesellschaften, die schlicht durchnummeriert oder nach dem Alphabet sortiert sind: etwa "Signa Oscar GmbH", "Signa Quebec", "Signa Uniform" oder "Signa Tango". Dazu kommen Stiftungen, die sich im Einflussbereich Benkos befinden – zumindest mutmaßlich, denn mitunter sind die wahren wirtschaftlich Berechtigten nicht ersichtlich. Viele Töchter haben ihren Sitz auch in Staaten wie Luxemburg und Liechtenstein, wo man sein Geld immer noch diskret anlegen kann.

Wozu das alles? Vieles deutet darauf hin, dass hinter unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Investoren stecken. Benko sammelte also Kapital von Geldgebern, das er je nach Partner in unterschiedlichen Firmen parkte. Oft handelt es sich um Treuhandkonstruktionen, sodass der Geldgeber nicht zu eruieren ist.

Fest steht, dass zwischen den Unternehmen Geld hin und her fließt – zu welchem Zweck, ist häufig unklar. So zeigen STANDARD-Recherchen, dass kurz vor der Signa-Insolvenz ein Luxushotel am Gardasee von der Signa Holding übertragen wurde – an eine Stiftung im privaten Einflussbereich Benkos. Die Signa sprach von einer "normalen Transaktion zu einem marktüblichen Preis". Über den Zweck des Geschäfts verriet der Konzern nichts. Es ist eines von vielen Rätseln im Imperium der Signa, die jetzt aufzuarbeiten sind.

4. Die Großmannssucht: Der Lebensstil des Gründers kam die Signa teuer

"René, du Mr. 64 Meter – irre!!" Diese bewundernden Worte angesichts von René Benkos Yacht Roma fand der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, für den strahlenden Wirtschaftshelden Benko. Die Yacht für zwölf Personen spielt aber auch wirklich alle Stückerln, ihr Tank fasst 158.000 Liter Treibstoff, der Wassertank 39.000 Liter Frischwasser – das reicht für 6000 Seemeilen, also mehr als 11.100 Kilometer.

Auch ein Privatflieger steht oder stand dem 46-jährigen Tiroler zur Verfügung – aber nicht irgendeiner, sondern ein Bombardier Global Express, mit dem es sich ohne Zwischenstopp in die USA jetten lässt. Er gehört einer Gesellschaft, die die Kosten der Signa verrechnet.

Bekannten, die gerade in der Nähe waren, bot Benko schon auch mal an, sie mit dem Hubschrauber abzuholen, in seine Villa am Gardasee. Das Anwesen in Igls bei Innsbruck musste aber ohne Hubschrauberlandeplatz auskommen, denn den hatten die Behörden abgelehnt. Ein gewisser Hang zum Luxus ist Benko also nicht ganz abzusprechen, wobei die Kosten meist Gesellschaften aus dem großen Signa-Reich übernahmen. So ist die Signa Holding sowohl Mieterin der Villa in Igls als auch jener am Gardasee.

Über derartige Konstruktionen sei Benko das Leben recht günstig gekommen, konstatiert ein Kenner der Umstände. Benko habe aber auch kein besonders hohes Einkommen bezogen, für den Beiratsvorsitz soll er drei Millionen Euro im Jahr bekommen haben – Ausschüttungen kamen aber auch dazu. Etwa solche aus Privatstiftungen, die an seine Mutter als Begünstigte gingen, die den allerallergrößten Teil dann aber ihrem Sohn geschenkt haben soll – ein interessantes und legales Vorgehen.

Viel für Benko finanziert haben soll etwa die Aries Holding im Schweizer Kanton Obwalden – sie wurde allerdings per Gesellschafterbeschluss am 9. Oktober aufgelöst.

5. Die Aufwertungen: Benko nutzte die Regeln der Rechnungslegung geschickt

Das System Benko – vom Aufstieg bis zum Fall – hat auch eine stark systemische Komponente: die Art und Weise, wie in der internationalen Rechnungslegung Aufwertungen von Immobilien geregelt sind. Diesen Modus nutzte Benko geschickt, um viel Geld zu machen – und letztlich wurde ihm dies auch zum Verhängnis.

Die Sache liegt in dem sogenannten IAS-System (International Accounting Standards) begründete, konkret in dessen Standard Nummer 40. Es geht darum, wie hoch der Wert einer Immobilie in einer Unternehmensbilanz angesetzt wird.

Früher war hierfür schlicht der Anschaffungswert maßgeblich – doch seit Inkrafttreten des IAS 40 im Jahr 2000 wird der aktuelle Marktwert in den Bilanzen herangezogen. Was bedeutet das? Die Objekte werden jedes Jahr neu bewertet. Der jeweils festgestellte Marktwert orientiert sich an der allgemeinen Immobilienpreisentwicklung, aber etwa auch an den Mieten, die die jeweiligen Mieter in einer Immobilie entrichten.

Das heißt, dass Unternehmen wie die Signa bilanziell immens von steigenden Immobilienpreisen profitieren – und überdies können sie mittels Erhöhung von Mieten in ihren Objekten deren Wert zusätzlich in die Höhe treiben (siehe auch den Aspekt Handel).

Infolgedessen steigt das Unternehmensvermögen. Hohe Gewinne dürfen laut den RechnungslegungsStandards allein aus solch steigenden Bewertungen resultieren und können an Eigentümer ausgeschüttet werden. Dazu muss beispielsweise der echte Immobilienbestand eines Unternehmens gar nicht größer werden.

Eben dies ist bei der Signa in großem Stil geschehen. Bis es aufgrund steigender Zinsen und eines schwachen Immo-Markts mit den Bewertungen in die Gegenrichtung ging – steil nach unten. (Renate Graber, András Szigetvari, Joseph Gepp, 2.12.2023)