Klimademonstration in Amsterdam.
Die Kämpfer:innen für das Klima sind viele – und können nichts für die Aussagen ihrer "Leitfigur" Thunberg.
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Greta Thunberg stürzt die Klimabewegung in die Krise – so der Tenor mehrerer Medien in den letzten Wochen. Die Aussagen und symbolischen Gesten der Fridays-for-Future-Galionsfigur seien zunehmend ein Problem für die ganze Klimabewegung. In einem Kommentar für den "Guardian" warf Thunberg Israel zuletzt Genozid vor, weshalb sich das Problem für andere Klimaaktivist:innen wohl weiter verschärfen könnte.

Zur Erinnerung, was schon vor dieser Aussage war: Greta Thunberg sorgte mit ihrer einseitigen Solidarisierung mit Gaza nach dem 7. Oktober für viel Enttäuschung unter Klimaktivist:innen, die fortan mit Abgrenzungsarbeit beschäftigt waren. Zwar hat auch der internationale Instagram-Account von Fridays for Future behauptet, "die" westliche Medien würden Lügen in dieser Sache verbreiten und Israel hätte einen Genozid an Palästinensern vor – und relativierten so das Massaker durch die Hamas. Trotzdem wurden Aktivistinnen wie etwa Lena Schilling vor allem nach Greta Thunberg befragt.

Gerade so, als würden alle, die sich fürs Klima einsetzen, jede politische Position mit dem "Gesicht" ihrer Bewegung abstimmen. Genau das ist das Problem mit Held:innen: Sie vermögen ordentlich Schaden für wichtige politische Projekte zu verursachen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Einzelperson ordentlich patzt oder in anderen Themen als jenen, für die sie zur Leitfigur auserkoren wurde, hochproblematische Ansichten hat, ist groß.

Andere Krisen, andere Positionen

Ebenso groß ist die Verlockung für all jene, deren vorrangiges Problem wohl eher die Aktionen von Klimaaktivist:innen sind als höchst fragwürdige Aussagen oder Gesten zu ganz anderen Krisen unserer Zeit.

Dass die Idee der Leitfigur nach hinten losgehen kann, zeigt sich aktuell auch an einem anderen prominenten Gesicht eines theoretischen Ansatzes, aus dem auch ein politisches Projekt wurde: dem Queerfeminismus. Judith Butler gilt als sein wichtigstes Gesicht. Schon vor dem 7. Oktober wurde sie für ihre Positionen zu Gaza und Israel oft kritisiert, jetzt häuften sich die Diskussionen darüber. Es wurde etwa Kritik laut, dass sie den Terrorangriff durch die Hamas in eine "Geschichte der Gewalt" einbette und dabei nur das palästinensische Leid thematisiere und die bisherigen Angriffe auf Israel ignoriert habe. Dass sie vorwiegend von "antipalästinensischem Rassismus" spräche, während sie den Vorwurf des Antisemitismus als "böswillig" bezeichnet.

Ebenso wurde sie für ihre Unterschrift unter der Erklärung "Philosophy for Palestine" kritisiert, in der die Gewalt der Hamas zu einem Akt des legitimen Widerstands erklärt wurde, so die Philosophin Seyla Benhabib. Das wies Mitunterzeichnerin Nancy Fraser klar zurück (DER STANDARD berichtete). Auch andere verteidigen Butler und dass sie etwa in ihrem Aufsatz im "London Review of Books" zum Nahostkonflikt keinen Zweifel daran lasse, dass die Gräueltaten der Hamas unentschuldbar und klar zu verurteilen seien. Es ist eine komplizierte Debatte.

Schillernde Inhalte

Zu einfach macht man es sich aber, wenn man dann rasch auf jenes Thema umschwenkt, für das jemand berühmt wurde – und das man auf diesem Weg gleich mit diskreditieren will.

Auf X (vormals Twitter) war zu Butler zum Beispiel sinngemäß zu lesen: War ja klar, dass Butler angesichts ihrer gesamten bisherigen akademischen und aktivistischen Arbeit nun die Angriffe der Hamas relativiert. Das ist Unsinn, denn ihre Arbeit zur Queer-Theorie lassen sich sehr wohl von ihren Texten und Aussagen zum Nahostkonflikt abgrenzen. Man braucht einen guten Willen, das eine mit dem anderen anpatzen zu wollen – anders geht sich das nicht aus.

Queerfeministische Theorien und Politik – Stichwort Rechte für Transgenderpersonen – sind vielen mindestens so verhasst wie die Aktionen von Klimaaktivist:innen. Doch beides wird freilich nicht von einer Person getragen, auch wenn es für viele Journalist:innen oft verlockend ist, hierfür Leitfiguren zu ernennen und alles auf sie zurückzuführen. Schillernde Figuren bringen Aufmerksamkeit, so viel ist klar. Schillern sollten aber vielmehr die Inhalte – und die hängen längst nicht nur an einer Person, sondern an vielen. (Beate Hausbichler, 5.12.2023)