In der Kochlehre im Kolpinghaus Brașov erhalten die Lehrlinge auch Berufspraxis.
Kolping International

Am Rande der Stadt Sibiu im rumänischen Siebenbürgen betreibt die deutsche Sozialarbeiterin Jenny Rasche Kinderheime für Roma. In den neuen Reihenhäusern, die ihr Verein, die Kinderhilfe Siebenbürgen, gemietet hat, werden bis zu acht Kinder von einer Pflegemutter betreut. Die Kinder sind entweder Waisen, ausgesetzt worden oder vom Jugendamt aus ihren Familien genommen worden.

Mit rund zehn Prozent der Bevölkerung sind die Roma nach den Ungarn die zweitgrößte Minderheit in Rumänien. Sie werden vielfach von Behörden diskriminiert und von der Gesellschaft ausgegrenzt, heißt es von Amnesty International. Etwa drei Viertel der Roma leben in Armut, während knapp ein Viertel der rumänischen Mehrheitsbevölkerung von Armut betroffen ist und ein Fünftel der ungarischen Minderheit. Die mit Abstand ärmste Bevölkerungsgruppe Rumäniens hat die höchste Arbeitslosenquote, die schlechteste Schulbildung, die geringste medizinische Versorgung und lebt in teils heruntergekommenen Verhältnissen in Dörfern am Stadtrand.

So ein Dorf hat auch Sozialarbeiterin Jenny Rasche besucht, als sie mit 19 Jahren einen Hilfstransport begleitete. Die Bilder von Menschen, die auf Müllhalden hausten, Kinder, die nicht zur Schule gingen und in aus Müll zusammengebauten Hütten wohnten, ließen die Deutsche nicht mehr los. Die 40-Jährige lebt mittlerweile seit 15 Jahren in Rumänien und hat hier die Hilfsorganisation Kinderhilfe Siebenbürgen ins Leben gerufen. Was mit der Hilfe für 30 Familien in einer Siedlung begann, hat sich zu einer großen Hilfsorganisation entwickelt. "Das war so nicht geplant. Ich bin immer mehr da reingewachsen", sagt die Sozialarbeiterin. Mit Spendengeldern vorwiegend aus Deutschland ermöglicht sie Heimkindern und Kindern aus Roma-Siedlungen am Rande von Sibiu warmes Essen, Schulbildung, Tagesbetreuung und ebnet damit den Weg in eine Ausbildung oder Studium für ein eigenständiges Leben.

Sozialarbeiterin Jenny Rasche (links) in einem der Kinderheime im Gespäch.
Stefanie Ruep

Für Roma-Familien müsse es normal werden, dass die Kinder in die Schule gehen, sagt Rasche. Derzeit schaffe jedes fünfte Kind die vierte Klasse nicht. Doch auch nach der Schulpflicht werden sie vom Verein Kinderhilfe Siebenbürgen unterstützt. Etwa in der Ausbildung zum Facharbeiter oder bei einer weiterführenden Schule und beim Studium. Jugendliche, die die achte Klasse geschafft haben, können sich in eine Berufsschule einschreiben und eine dreijährige Ausbildung beginnen. Doch in Rumänien gebe es meist keine Ausbildungsvergütung für Praktika in Betrieben, erklärt die Sozialarbeiterin.

Der Verein bezahlt daher ein Stipendium von 1000 Lei, umgerechnet rund 200 Euro, damit die Lehrlinge sich auch Bustickets, Essen und Kleidung für die Ausbildung leisten können. Zum Vergleich: Manch ein Erwachsener verdient als Tagelöhner nur rund 1000 Lei pro Monat, der Mindestlohn liegt aktuell bei 3000 Lei. Allein ein Monatsticket für den öffentlichen Verkehr kostet 400 Lei, die Lebensmittelpreise in den Supermärkten sind denen in Österreich nicht unähnlich.

Vier von zehn Kindern sind arm

Dank des Ausbildungsprojekts sind bereits sieben Jugendliche aus bildungsfernen Familien zu Studenten geworden, 72 weitere konnten zu Facharbeitern ausgebildet werden, sagt Rasche. Finanziert wird das Projekt ausschließlich aus Spenden überwiegend aus Deutschland. Die Ausbildung ist ein Weg aus der Armut und Aussichtslosigkeit. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat waren die Minderjährigen aus Rumänien EU-weit am meisten Armut und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Vier von zehn Kindern sind von Armut betroffen. Damit liegt das Armutsrisiko weit über Bulgarien mit 33,9 Prozent oder Spanien mit 32,2 Prozent.

Am Fuße der Zinne, des Stadtberg von Brașov, werden Tourismuslehrlinge auch praktisch ausgebildet.
Stefanie Ruep

Private Initiativen wie jene von Jenny Rasche sind in der dualen Ausbildung in Rumänien essenziell. Denn nach der Wende schaffte Rumänien sein Berufsschulsystem 2009 quasi ab. Die Berufsschulen wurden aufgelöst. Nach und nach versuchten in den letzten Jahren Unternehmen, das duale Schulsystem nach deutschem und österreichischem Vorbild wiederzubeleben. Erst 2015 wurde überhaupt wieder eine dreijährige Berufsausbildung eingeführt. Einheitliche landesweite Standards fehlen. Lehrlinge werden überwiegend für den Fachkräftebedarf ausländischer Industrie in Großunternehmen ausgebildet.

Erste praktische Tourismusausbildung

Doch einige Unternehmen sorgen auch in anderen Sparten für eine duale Ausbildung. Etwa das Kolpinghotel in der von Karpaten umgebenen Großstadt Brașov. Das Hotel liegt am Fuße der Zinne, des Stadtberg von Kronstadt, und bildet Lehrlinge im Tourismus aus. Was für österreichische Verhältnisse ganz normal klingt, ist in Rumänien eine Seltenheit. Denn die Ausbildung für Köchinnen, Kellner und Housekeeping war überwiegend theoretisch.

Im Lehrbetrieb Kolpinghotel sieht das anders aus. Hier haben die Lehrlinge zwei Tage die Woche Berufspraxis und drei Tage Schule. "Sie starten Schritt für Schritt und erlernen zuerst die Basics. Dann dürfen sie selbst arbeiten und werden nur noch überprüft und unterstützt", erläutert Elena Ciurila, die selbst ihre praktische Ausbildung im Kolpinghotel gemacht hat und sich nach dem Studium bis zur Hotelmanagerin hochgearbeitet hat.

Hotelmanagerin Elena Ciurila hat selbst ihre Ausbildung im Kolpinghotel absolviert.
Stefanie Ruep

Mit dem Ausbildungsangebot versucht Kolping auch der Abwanderung junger Menschen aus Rumänien entgegenzuwirken, indem man ihnen eine Perspektive im eigenen Land gibt. Im Jahr 2021 sind laut Statista 216.861 Personen aus Rumänien ausgewandert. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens im Jahr 2007 verzeichnete das Land durchgängig eine negative Wanderungsbilanz. Dort, wo Menschen abwandern, fehlen hochqualifizierte Arbeitskräfte, und das Steueraufkommen wird ausgehöhlt, zeigt eine Studie zur EU-Arbeitsmigration. Rumänien ist davon besonders betroffen. Es fehlen nicht nur Hochausgebildete wie Ärzte, IT-Spezialisten und Lehrer, sondern vor allem Facharbeiter und Personal für die Gastronomie. Die will etwa Kolping vermehrt im eigenen Land ausbilden.

Seit 2015 kooperiert das Kolpinghotel mit der staatlichen Schule "Maria Baiulescu". Die Schüler erhalten ein monatliches Stipendium von 200 Lei von der Schule sowie 200 Lei vom Betrieb, zudem Berufskleidung und Arbeitsmaterial sowie Verpflegung. Zwei Jahre später hat Kolping Europa auch die erste duale Berufsschule des Landes namens "Cool Academy" für Tourismus und Hotelfach mitbegründet. Im aktuellen Schuljahr sind 29 Berufsschüler bei Kolping eingeschrieben, insgesamt wurden schon über 600 Lehrlinge in dem Übungshotel mit drei Sternen ausgebildet. (Stefanie Ruep, 6.12.2023)