Früher habe ihre Familie "sehr fleischlastig" gegessen, erzählt Edith F. Mehrmals pro Tag Fleisch sei nichts Ungewöhnliches gewesen. Aber seit einigen Jahren sei das passé, wenn sich die Familie treffe. Und zu Weihnachten gibt es nun kein Rindsfilet mehr, sondern Gemüsepizza. Oder ein Steak Wellington, bei dem anstatt eines Fleischfilets Kürbisstücke in Blätterteig eingewickelt sind.

Denn Edith F.s erwachsene Kinder essen inzwischen vegan. Begonnen habe die jüngste Tochter in ihren Zwanzigern, gemeinsam mit ihrem Freund. Der Grund: Sie will der Umwelt und den Tieren nicht schaden. Der älteste Sohn, seine Frau und die andere Tochter zogen mit. "Am Anfang hatte ich einen Stress, weil ich das Gefühl hatte, ich muss einmal vegan und einmal mit Fleisch kochen." Doch das hat sich erledigt, denn wenn die Kinder kommen, isst mittlerweile die ganze Familie vegan. Mittlerweile kennt Edith F. zahllose Rezepte auswendig, vor allem kocht sie Hausmannskost: Erdäpfelgulasch, Eierschwammerlgulasch, Gemüsefleckerl, Krautstrudel. "All das geht vegan." Eines ist ihrer Lieblingsrezepte sind auch Mehlknödel, die bestehen aus Erdäpfeln, Mehl und Salz.

Wodurch sich welche tierischen Lebensmittel ersetzen lassen, weiß Edith F. ganz genau. Ein Problem habe sie nur mit der Ribiselschnitte, "die es bei mir immer mit einer Schneehaube gibt". Sie habe gehört, man könne das Ei durch Bohnenwasser ersetzen, "aber probiert habe ich es noch nicht". Sie sei experimentierfreudig, offen dafür, Neues auszutesten. "Wenn ich Rezepte lese, dann habe ich schon die Frage im Hinterkopf, wie ich das vegan machen könnte."

Verhärtete Fronten

Ganz so harmonisch läuft es längst nicht in allen Familien ab, weiß Susanne Pointner. Im Gegenteil, die Fronten seien oft sehr verhärtet, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin. Dass das Thema so großes Konfliktpotenzial hat, kommt nicht von irgendwo: "Nahrung ist etwas ganz Elementares, sie ist etwas, wodurch Eltern von früh auf ihren Kindern unkompliziert Gutes tun können." Das Gefühl, das sich einstellt, wenn die Kinder verkünden, dass sie von nun an vegan essen, sei zunächst das des Verlusts. "Man nimmt den Eltern etwas weg – solange sie nicht verstehen, was dahintersteckt."

Zudem werde an alten Familientraditionen gerührt, an jahrzehntelangen Gepflogenheiten. So gehört das Gansl auf dem Weihnachtstisch in vielen Haushalten zu den liebgewonnenen Ritualen. Pointner sagt: Das Fleisch plötzlich ganz wegzulassen fühlt sich für einige aus ihrer Generation wie ein Verrat an den Eltern und Großeltern an, "die sich das Fleisch vom Mund abgespart haben". Dass Fleisch, das lange Zeit als etwas Kostbares, Gesundes galt, plötzlich schädlich sein soll, ist für viele schwer zu nehmen. "Jetzt vor die Nase gehalten zu bekommen, dass man damit der Welt schadet, ist eine ziemliche Herausforderung. Und je älter man wird, desto schwerer tut man sich bekanntlich mit Veränderungen."

Außerdem bereitet man fleischliche und fleischlose Kost anders zu, erinnert Pointner, die selbst ein Kind hat, das vegan lebt. "Von den Jungen wird oft unterschätzt, dass es eine ziemliche Herausforderung sein kann, plötzlich scheinbar weniger gut zu kochen, ohne alles, was Essen vermeintlich so richtig geschmackvoll macht."

Nicht gesehen, nicht respektiert

Umgekehrt fühlen sich Erwachsene nicht respektiert, wenn Mama und Papa ihr Anliegen nicht ernst nehmen. Für sie ist die Entscheidung, sich vegan zu ernähren, ein wichtiger Teil ihrer Identität. Veganismus ist ebenso eine Wertehaltung. Wenn die Eltern darüber Witze reißen oder einfach weiterhin Fleisch kochen, kann das sehr verletzen, sagt Pointner.

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Laut Umfragen entscheiden sich vor allem jüngere Menschen für einen veganen Lebensstil. Dahinter stecke nicht selten auch das Bedürfnis, es anders zu machen als die Generationen davor. Die Ernährung sei ein gutes Instrument zur Abgrenzung, sagt Pointner. "Anders kann man das heute kaum noch so leicht tun, weil die Eltern oft ohnehin schon sehr verständnisvoll und tolerant sind." Während heutzutage so manches, das früher die Gemüter erregte, nun kaum noch zu einem Generationenkonflikt führe, sei Veganismus für viele Ältere nach wie vor ein Problem. Überspitzt könnte man sagen: Früher ließ man sich die Haare lang wachsen oder weigerte sich, in die Kirche zu gehen – heute verzichtet man auf Eier, Milch und Fleisch.

Ein Zeitgeistthema

Wie schafft man es nun, dass es zu Weihnachten nicht zum Streit kommt? Allein damit, dass sich Familien mit ihren Differenzen auseinandersetzen, sei schon viel geschafft, sagt die Expertin. "Es ist allein schon einmal gut zu wissen: Der Konflikt ist nicht entstanden, weil du so garstig bist oder ich so komisch bin. Sondern es ist ein Zeitgeistthema."

Als Nächstes sei eine Offenheit für die Position des anderen nötig. Wichtig sei, ernsthaft verstehen zu wollen, worum es dem anderen geht und womit er womöglich recht hat. "Wir Menschen verändern uns eigentlich nicht so gerne für andere. Wir machen es lieber, wenn wir das Gefühl haben, dass es für uns eine Entwicklungschance ist." Deshalb gelte es zu schauen: "Wo hat denn der andere vielleicht ein Stückchen Wahrheit, das ich noch nicht habe?"

Laut Pointner ist es wichtig, dass die Älteren echtes Interesse an den Anliegen der Jungen zeigen: "Kein Tier zu essen, um die Umwelt zu schonen, ist ein legitimes und sehr ethisches Anliegen." Da junge Menschen noch länger auf dem Planeten zu leben hätten, hätten sie meist ein stärkeres Bewusstsein für Umweltbedrohungen. "Die ältere Generation neigt dazu, diese Bedrohung zu verdrängen. Aber wir müssen uns bewusstmachen: Die Jungen haben diese Bürde, und wir müssen sie unterstützen. Auch wenn es uns selbst vielleicht ein bisschen infrage stellt."

"Die Jungen haben diese Bürde, und wir müssen sie unterstützen. Auch wenn es uns selbst vielleicht ein bisschen infrage stellt." (Susanne Pointner, Familientherapeutin)

Die Jungen wiederum sollten versuchen zu verstehen, was die Eltern bewahren wollen. Liebgewonnene Traditionen? Rituale? Ein Gefühl? "Vielleicht steckt dahinter ja ein tieferer Wert", sagt Pointner.

Einander verstehen wollen

Der gute Rat: sich zusammenzusetzen und reihum zu sprechen, während die anderen nur zuhören. Wie bei anderen Konflikten ist dabei entscheidend, Ich-Botschaften zu formulieren: "Mir ist es wichtig, vegan zu essen, weil ..." oder "Ich habe Sorge, dass ..." . "Das Zuhören bringt schon ganz viel", sagt die Therapeutin. "Ganz besonders gut wäre es dann noch, wenn jemand aus der Familie sich dazu bereiterklärte, das Gesagte zusammenzufassen." Anstatt zu diskutieren, sollte jeder einfach sprechen dürfen. Bevor man dann beschließt, wie man weitertut, sollte man das Gesagte erstmal setzen lassen, empfiehlt die Expertin.

Das Ziel ist eine Lösung, mit der alle leben können. Pointner gibt zu, dass das in ihrer eigenen Familie "schon ein Prozess war". Eines ihrer drei erwachsenen Kinder lebt vegetarisch und eines vegan. "Ich habe zuerst geglaubt, ich muss sofort vegan kochen lernen. Das ist nicht so gut gelungen, und ich war frustriert." Die Lösung habe dann darin bestanden, dass zu Weihnachten alle gemeinsam kochen. "Meine Kinder können ganz wunderbar vegan kochen. Außerdem ist es spannend und schön, wenn die Jungen auch einmal für die Eltern kochen. Wir müssen ohnehin lernen abzugeben, insofern ist das wie ein Übergaberitual."

Weihnachtsgans; Weihnachten; grüne Fisolen
Lieber Fisolen statt Fleisch – aber viele Eltern können das nicht verstehen.
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Eine andere Möglichkeit sei, dass Verschiedenes auf dem Tisch steht, und jeder isst, was er möchte. Ganz wie in der orientalischen Esskultur. Liegen Vorstellungen vom idealen Weihnachtsessen allerdings zu weit auseinander, mache es womöglich Sinn, auf ein gemeinsames Essen zu verzichten. "Man könnte zum Beispiel sagen: Jeder isst für sich, und dann treffen wir uns", sagt Pointner. "Auch Unterschiede zu akzeptieren ist eine Form der Wertschätzung."

Und wo steht die Freiheit eines Menschen über der eines anderen? Ist es legitim zu sagen: Ich möchte kein Fleisch essen und auch nicht, dass andere neben mir Fleisch essen? Wichtig sei, dass sich niemand selbst verleugnen muss, betont Pointner: "Hier gilt es, in sich hinzuspüren und sich zu fragen: Gebe ich meine eigenen Wünsche eines anderen zuliebe völlig auf? Oder macht es mich vielleicht doch gelassener, liebevoller, und ist es nicht vielleicht wichtig für die Verbindung, wenn ich loslasse?"

Eine Chance für die Beziehung

Wird der Konflikt erfolgreich gelöst, sei das sogar eine Chance für die Eltern-Kind-Beziehung: "Reibung schafft Wärme, und wenn man konstruktiv diskutiert, ist das für alle eine Entwicklungschance." Pointner spricht auch davon, "sich in Liebe zu dehnen". Aber auch jeder profitiere für sich selbst. "Mit den Kindern am Tisch zu diskutieren hilft wunderbar gegen Demenz. Und gegen die narzisstischen Tendenzen, zu denen Junge manchmal neigen."

"Reibung schafft Wärme, und wenn man konstruktiv diskutiert, ist das für alle eine Entwicklungschance." (Susanne Pointner, Familientherapeutin)

Wichtig: Wenn man sich als Familie für ein veganes Weihnachtsmenü entscheidet, dann muss der Plan durchgezogen werden. Die Veganerinnen und Veganer am Tisch müssten sich darauf verlassen können, dass ihnen in keiner Speise ein Löffel Butter oder ein Ei untergejubelt würden. "Das passiert manchmal und ist ein Vertrauensbruch", sagt Pointner.

Heimlich ein Ei in eine Speise hineinzugeben, das würde Edith F. nie einfallen. Bei der veganen Küche, sagt sie, gehe es "um die ehrliche Küche". Auch wenn sie und ihr Mann hin und wieder gerne einen Leberkäs vertilgen: Mittlerweile würden sie ebenfalls viel seltener Fleisch essen und viele Gerichte auch dann vegan zubereiten, wenn die Kinder nicht kämen. "Heute sitzen wir zum Beispiel gerade bei einer Zucchinisuppe", ganz ohne Schlagobers. Am Wochenende gab es Spaghetti al Limone. Dass die Menschen weniger Fleisch essen, sei für sie "sowieso die Zukunft". (Lisa Breit, 16.12.2023)