Containerschiff
Globale Lieferketten sind komplex und undurchsichtig – und soziale sowie ökologische Standards daher schwer kontrollierbar.
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Der Trilog zwischen den drei zentralen EU-Institutionen – Kommission, Ministerrat und Parlament – rund um den Vorschlag zur Lieferkettenrichtlinie ist in der heißen Phase. Mit der sogenannten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) sollen unter anderem EU-Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro in die Pflicht genommen werden, ihre dauerhaften Zulieferer einer regelmäßigen Sorgfaltsprüfung zu unterziehen – und das zudem jährlich nachzuweisen. Betroffen wären beispielsweise auch Nicht-EU-Firmen mit einem Umsatz auf dem EU-Markt von mehr als 40 Millionen Euro, wovon 50 Prozent in einem noch genauer zu definierenden Hochrisikosektor (wie beispielsweise Textilien, Landwirtschaft, Rohstoffe) erzielt werden.

So weit die Theorie. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und das Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) begrüßen den Vorstoß für eine Sorgfaltspflicht. Damit endet das Lob bereits. "Dass man eine staatliche Aufgabe, nämlich die Wahrung der Rechte, an Firmen delegiert, ist an sich schon einmal fragwürdig", sagte der Komplexitätsforscher Peter Klimek zum STANDARD. Die wahre Krux liegt für den ASCII-Leiter in der Praxisebene: "Man muss miteinbeziehen, wie eine Netzwerkstruktur dieser Lieferkettenbeziehungen tatsächlich aussieht. Manche Unternehmen haben mehrere Tausend Zulieferer und zehntausende Kunden. Das heißt, da gibt es einen extremen Schneeballeffekt."

LKWs am Parkplatz
In der EU bestehen bereits Monitoringsysteme zur Einhaltung von Menschenrechten, die von einer zertifizierten Institution herangezogen werden könnten.
IMAGO/Jochen Eckel

900 Millionen Lieferbeziehungen

Laut ASCII wären rund 20.000 EU-Unternehmen und über deren im Schnitt 30 bis 50 Zulieferer insgesamt bis zu 900 Millionen Lieferbeziehungen von der Richtlinie betroffen. Dahinter steht der Small World Effect, der im Grunde besagt, dass in einem Netzwerk zwischen zwei Knotenpunkten häufig eine überraschend geringe Anzahl von Schritten – in diesem Fall Firmen – sein kann.

Anders gesagt könnten demnach vom CS3D-Reporting so gut wie alle Unternehmen betroffen sein. Unter der strengstmöglichen Annahme für die Direktive, nämlich dass alle Lieferbeziehungen überprüft werden müssen, folgert Klimek: "Wenn Unternehmen die Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten übernehmen sollen, dann müssen sie quasi die Verantwortung für einen Großteil der globalen Wirtschaft übernehmen."

Frachthafen Beladung
Damit die Nachvollziehung von Lieferketten kein administrativer Alptraum wird, können Positiv- und Negativlisten helfen.
imago images/Jochen Tack

Positiv- und Negativlisten

Anstatt dass nun jedes Unternehmen selbst all seine Zulieferer überprüft ("ein administrativer Albtraum"), schlägt Klimek eine zentrale dafür zertifizierte Institution vor, die mit Positiv- und Negativlisten von Firmen operiert. Dadurch, dass es zum Beispiel in der EU ein funktionierendes Monitoring von Menschenrechten gebe und daher Kinder- oder Zwangsarbeit kein Thema seien, könnten Firmen aus der EU und dem EWR-Raum oder anderen Regionen von vornherein auf die Positivliste kommen. "Damit würde schon einmal ein großer Teil dieser möglichen Prüfungen wegfallen", sagt Klimek.

Mit einem Fokus auf die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der CS3D-Richtlinie zeichnet eine Studie der Fachhochschule des BFI Wien, von FIAN Österreich und der Fundación Sol (Chile) im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) ein tendenziell recht optimistisches Bild – unter bestimmten Bedingungen. In dieser ausführlichen Analyse wird der Ansatz der neoklassischen Ökonomie mit der Machtressourcentheorie und dem Wertschöpfungskettenansatz kombiniert und eine Reihe von Szenarien über das Verhalten von Unternehmen und Märkten durchgespielt. Das Gesetz werde einen "deutlich positiven wirtschaftlichen Wohlfahrtseffekt für den Globalen Süden und positive Nettoeffekte für die europäische Wirtschaft" haben, so das Resümee. Darüber hinaus stärke es tendenziell die Rechte der Arbeitnehmenden.

Finanzsektor als Schlupfloch

Unabdingbare Voraussetzung für diesen "ersten Schritt in eine richtige Richtung" sei, dass das Gesetz möglichst wenige Lücken offenlasse und wasserdicht sei, sagt Studienautor Johannes Jäger von der Fachhochschule BFI Wien: "Sonst haben wir zwar ein Gesetz, das aber im Endeffekt zahnlos ist." Als Beispiel für ein mögliches Schlupfloch nennt er den Finanzsektor, der im Moment noch nicht fix mit den Regulierungen erfasst werden soll, laut Vorschlag des EU-Parlaments aber schon. Den Finanzsektor nicht zu inkludieren wäre für ihn durchaus ein Problem, werden doch Menschenrechtsverstöße und Umweltprobleme nicht zuletzt durch Kreditvergaben ausgelöst.

Die Studienautoren sind überzeugt, dass durch eine streng gefasste CS3D-Richtlinie Menschenrechtsverletzungen weltweit deutlich reduziert und auch Kostenargumente weitgehend entkräftet werden können. Beispielsweise seien die Kosten für die Einhaltung von MenschenrechtsStandards im Globalen Süden für Unternehmen in Wahrheit minimal. Laut einer Berechnung der Initiative Clean Clothes Campaign machen die Lohnkosten für ein in Bangladesch produziertes T-Shirt nur ungefähr 0,6 Prozent des Endpreises aus. Faire Löhne und bessere Bedingungen für die Beschäftigten sollten daher keine signifikanten Auswirkungen auf Marktpreise und Nachfrage haben, so die Studie.

Reputationsschäden vermeiden

Alles in allem glaubt Jäger im Falle der striktestmöglichen Version der Direktive langfristig an eine Win-win-Situation im Sinne von mehr Nachhaltigkeit und verbesserten Rechten der Beschäftigten. Schließlich werde es für Unternehmen nicht mehr nur darum gehen, möglichen Klagen vorzubeugen, sondern auch darum, Reputationsschäden zu vermeiden. "Der globale Wettbewerb wird wesentlich beeinflusst, weil sich alle – auch nicht europäische Unternehmen, die mit Europa in Kontakt stehen – an diese Regeln werden halten müssen. Und das ist ein essenzielles Kriterium."

Eine Einigung auf die Richtlinie wird für das Frühjahr 2024 erwartet, danach haben die EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. (Mario Wasserfaller, 10.12.2023)