Traditionen prägen unsere Kulturen und schaffen im Idealfall Bindungen zwischen Generationen. Doch wenn wir genauer hinsehen, offenbaren sich in einigen scheinbar harmlosen Bräuchen problematische Elemente, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Der Nikolaus-Kult wird in diesen Tagen wieder in zahlreichen Kindergärten und Schulen abgehalten, selbst in solchen, die sich scheinbar einem aufgeklärten oder gar progressiven Gesellschaftsbild zuordnen würden.

Der Nikolaus, ein weißbärtiger alter Mann mit allwissendem Blick, der wie eine Geheimpolizei alles über dich zu wissen behauptet, der zwischen "brav" und "unartig" urteilt, erinnert an längst überholte patriarchale Strukturen. Die Zuschreibung einer männlichen Geschlechterrolle, durch welche er die Autorität verkörpert, trägt zur Verfestigung traditioneller Machtverhältnisse bei. Diese symbolische – hierarchisch anmutende – Männlichkeit ist nicht nur veraltet.

Die Verbindung von Belohnung und Bestrafung im Nikolaus-Kult wirft ernsthafte Fragen auf. Die Vorstellung, dass "brave" Kinder belohnt und "unartige" bestraft werden, unterstützt einen autoritären Ansatz, der auf Angst basiert. Feministische Erziehungsansätze fördern die Entwicklung von Empathie und Verständnis anstelle von rigiden Bestrafungssystemen.

Krampus: Männlichkeit und Gewalt

Doch der toxische Schatten in diesem festlichen Doppelpack ist der Krampus. Ein düsterer Begleiter des Nikolaus, der unartige Kinder bedroht und sogar mit Ruten schlägt. Diese brutale Vorstellung einer physischen Bestrafung durch eine gruselige Figur kann nicht einfach als harmlose Tradition abgetan werden. Die Darstellung des Krampus legitimiert auch die Verbindung von Männlichkeit mit Gewalt.

KI-Bild von Krampus
Noch kritischer als der Nikolaus ist der Krampus zu betrachten.
Bernahrd Jenny

Die Gewaltaspekte des Krampus sind besonders kritisch zu betrachten. Die symbolische Repräsentation von Macht und Kontrolle, gepaart mit physischer Bedrohung, trägt zur Normalisierung von Gewalt bei und verstärkt ungleiche Machtverhältnisse. Solche Darstellungen könnten Kinder dazu ermutigen, Autorität und Macht mit körperlicher Dominanz zu verbinden.

Ab ins Museum

Es ist an der Zeit, einen kritischen Blick auf diese Traditionen zu werfen und sich zu fragen, welchen Wert sie wirklich für unsere Gesellschaft haben. Die Förderung von Geschlechterstereotypen, die Verbindung von Männlichkeit mit Autorität und Gewalt sowie die physische Bestrafung von Kindern sind Elemente, die nicht in eine zeitgemäße, inklusive und respektvolle Kultur passen.

Es mag schwierig sein, liebgewonnene Bräuche zu hinterfragen, aber die Anpassung von Traditionen an moderne Werte ist ein notwendiger Schritt. Wir sollten nach Alternativen suchen, die positive Werte fördern, Hierarchien überwinden und eine respektvolle und gleichberechtigte Gesellschaft unterstützen. Kindererziehung sollte auf Verständnis und Empathie basieren, nicht auf Angst und Gewalt.

Es ist an der Zeit, patriarchale Stereotype des Nikolaus-Kults abzulegen und Raum für eine Kultur zu schaffen, die auf Verständnis, Gleichberechtigung und Empathie basiert. Nur durch die Ablehnung der überholten Praktiken kann eine wirklich inklusive und respektvolle Tradition für kommende Generationen entwickelt werden.

Schluss mit der Gewöhnung kleiner Kinder an toxische Männlichkeit. Das Brauchtumsduo der patriarchalen Männlichkeit muss abgeschafft werden. Nikolaus und Krampus gehören ins Museum. (Bernhard Jenny, 6.12.2023)