Seit Jahrzehnten veröffentlicht das Europäische Parlament eine Umfrage zur Stimmungslage der Bürgerinnen und Bürger in den 27 Mitgliedsstaaten. Es werden immer die gleichen Fragen gestellt, etwa welche Auswirkungen die EU auf ihr Leben hat oder ob die EU-Mitgliedschaft "eine gute Sache" sei.

Vergleicht man die Ergebnisse des "Eurobarometers" über lange Zeiträume, ergeben sich keine großen Unterschiede. Nur nationale Schwankungen. Eine breite Mehrheit aller 440 Millionen EU-Bürger schätzt "ihre" Union. In Österreich waren seit dem Beitritt 1994 mehr oder weniger ein Drittel der Menschen EU-skeptisch, zwei Drittel pro EU. Die jüngste Umfrage zeigt kurze sechs Monate vor den Europawahlen drei große Trends.

Die negative Sicht auf die EU-Mitgliedschaft in Österreich sorgt für Irritation.
APA/GEORG HOCHMUTH

Erstens: Je tiefer seit 2015 die Krise – von Migration, Brexit, Pandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise bis zur Inflation –, desto EU-skeptischer werden die Leute.

Zweitens: Das geht einher mit dem Erstarken EU-skeptischer Parteien in Ländern. Rechte bis extrem rechte Gruppen profitieren weit mehr als linke oder linksradikale Parteien. So war die Ablehnung bei den an sich europafreundlichen Italienern am größten, als Lega-Chef Matteo Salvini das Land mit ausländer- und EU-feindlichen Parolen aufmischte.

Drittens: Immer mehr Menschen sind dennoch überzeugt, dass Entscheidungen auf EU-Ebene ganz wesentliche Auswirkungen auf ihr Leben haben. Die Werte dazu steigen konstant, so wie die Bereitschaft, bei EU-Wahlen die Stimme abzugeben – in Österreich plus neun Prozent. Von EU-Müdigkeit keine Spur.

Ausdruck der Verunsicherung

Vor diesem Gesamtbild ist das jüngste Barometer für Österreich zu sehen. Nur noch 42 Prozent der Befragten sehen die EU-Mitgliedschaft positiv, der letzte Platz unter allen Staaten! 22 Prozent lehnen Österreichs EU-Teilnahme glatt ab. Dafür zeigen sich 35 Prozent dabei "neutral", so viele wie nie.

Zum Vergleich: Satte 86 Prozent der Bevölkerung im reichen und kleinen Luxemburg, in einem stark profitierenden Kernland der Union, sind überzeugte EU-Mitglieder.

Was bedeutet das, wenn doch Österreich als mitten im Kontinent gelegenes Exportland im offenen Binnenmarkt nach wie vor zu den größten Profiteuren gehört? 35 Prozent Unentschlossene sind vor allem Ausdruck der Verunsicherung. Sie hat ihren Ursprung praktisch täglich im Vollzug der Innenpolitik, ist am Agieren von Politikern wie an den Parteien abzulesen. Der ist von Hauen und Stechen, von Polemik und dem Finden von Sündenböcken gekennzeichnet, aber nicht von sachgerechter, gemäßigter Sprache bestimmt, wie sie bei komplexen Themen auf EU-Ebene nötig wäre.

Wer steht auf der Regierungsebene eigentlich noch für eine "aktive Europapolitik", die SPÖ und ÖVP vor Urzeiten einmal gepflegt haben? Der Kanzler, der oft vom "kaputten System" (Schengen) in der EU spricht? Oder SPÖ-Chef Andreas Babler, der über Brüssel bisher wenig mehr zu sagen weiß, als dass er dort mit Konzernpolitik aufräumen werde?

Die FPÖ ist ohnehin für offensive EU-Feindlichkeit bekannt, eine solche hat sie seit Jörg Haiders Schildlauskampagne 1994 betrieben. Wenn ÖVP und SPÖ als ehemalige "Europaparteien" ausgedient haben und auch Grüne und die Neos sich bei all dem als zu schwach erweisen, ist die EU-Stimmung in der Bevölkerung eben schlechter als früher. Kein Wunder. Es mangelt an positiven Vorbildern für europäisches Denken. (Thomas Mayer, 6.12.2023)