In Reaktion auch auf die im ersten Teil dargestellten Entwicklungen – entsprechende Positionierungen studentischer wie habilitierter Aktivist:innen, einschlägig kuratierte "Teach-ins" und Bullying gegen jüdische Studierende – initiierte das Rektorat der CEU eine eigene Vortragsreihe. Am 27. November sollte ein Politologe über "Hamas' 7 October Attack, Terrorism Strategy and State-building" referieren. Anstelle eines Vortrags aber erlebte ich dort, was jene, die "akademische Freiheit" für ihre Frontalangriffe auf Israel einfordern (und etwa durch die "Teach-ins" von der CEU auch eingeräumt bekamen), von der Redefreiheit anderer halten.

Podiumsdiskussion mit Menschen
Die "akademische Freiheit" wurde für einen Frontalangriffe auf Israel eingefordert.
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Der Vortrag wurde von einer größeren Gruppe Studierender von Beginn an gestört – durch ständige Unterbrechungen, Beschimpfungen, hämisches Lachen und Applaus für die eigenen Zwischenrufe. Als ein israelischer CEU-Professor, von den Störungen entnervt, den Raum verließ, wurde sein Abgang bejubelt. Durch ihre Wortmeldungen und mitgebrachte Schilder machten die Protestierenden deutlich, dass sie nur vom "Staatsterror" Israels zu hören bereit waren. Schon die Benennung des 7. Oktober als Terror rief ihren Protest hervor. Israel wurde in Zwischenrufen und Co-Referaten jedes Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen, der palästinensischen Seite dafür ein Recht zu jeder Form von "Widerstand" eingeräumt.

Bias als Basis

Jenseits von studentischem und professoralem Aktivismus scheinen die hier beschriebenen Tendenzen sich auch im Kerngeschäft der CEU niederzuschlagen: in der Lehre. So ist auf der CEU-Website etwa eine 2022 vorgelegte, am Department für Gender Studies von zwei Unterzeichner:innen des in Teil 1 erwähnten Instituts-Statements betreute Masterarbeit abrufbar. Eingangs heißt es dort: "Zionism is defined in this thesis as racist, settler-colonial, Jewish supremacist/exclusivist movement". Diese Begriffsbestimmung offenbart nicht nur ein erschütterndes Maß an Bias oder, im günstigen Fall, Unwissen über die (aktuelle wie historische) Vielgestaltigkeit des Zionismus; sie prädeterminiert nicht nur die Ergebnisse der Untersuchung; sie spricht ganz nebenher auch Israel das Existenzrecht ab, indem sie die jüdische Nationalbewegung für wesenhaft amoralisch und ergo illegitim erklärt, selbstverständlich in krassem Gegensatz zur palästinensischen.

Konsequenterweise erscheint der Nahostkonflikt – dem Demoflugblatt-Jargon der Zionismus-Definition treu bleibend – in der Arbeit als "the Palestinian resistance and freedom fighters' struggle against Zionist settler-colonialism". Dass die PFLP-Flugzeugentführerin Leila Khaled als "former PLO freedom fighter" bezeichnet wird und die Arbeit Demonstrationserlebnisse von "activists including the researcher" als anekdotische Evidenz heranzieht, rundet das Bild ab. So positiv die Arbeit der Flugzeugentführung als Mittel der Politik gegenübersteht, so breit fällt ihr Gewaltbegriff andernorts aus: Werbung für Urlaub in Israel sehen zu müssen sei etwa ein Ausdruck der "everyday violence that Palestinians encounter in their day-to-day life in Austria". Terror in beziehungsweise gegen Israel kommt dagegen nur als verzerrendes Framing und böswillige Unterstellung vor – und dementsprechend entweder kursiv oder unter Anführungszeichen.

Freiheit als Einbahnstraße

Man kann "akademische Freiheit" unterschiedlich auslegen. Auch als die Freiheit, wenige Wochen nach einem Pogrom historischen Ausmaßes in Israel und täglicher antisemitischer Äußerungen und Übergriffe auf Wiens Straßen eine Veranstaltungsreihe zu kuratieren, die ganz der Anklage und Legitimierung von "Widerstand" gegen Israel gewidmet ist. Dann sollten dabei aber zumindest Mindeststandards wie die Anerkennung der israelischen Existenznotwendigkeit gewahrt bleiben – und die in Anspruch genommene Freiheit auch anderen eingeräumt werden.

Freiheit herrscht nicht, wenn jüdische Studierende sich an einer Universität in Österreich 2023 unsicher fühlen, öffentlich bloßgestellt und in Chatgruppen zum Verstummen gebracht werden; wenn man bei eigenen Veranstaltungen Stillschweigen über ihre Inhalte dekretiert und kritische Fragen der Vorzensur unterwirft; wenn man unerwünschte Vorträge anderer sprengt, Leute aus dem Saal mobbt und sich dabei selbst feiert. Die vielbeschworene multidirectional memory wird nicht praktiziert, wo ein Narrativ – das der seit 75 Jahren andauernden Nakba – als das einzig legitime angeboten wird. Und ein feministischer oder queerer Blick auf Palästina, dem dort nur Besatzung auffällt, nicht aber die sexualisierte Gewalt, Misogynie, patriarchale Herrschaft und mörderische Queerfeindlichkeit, die von Hamas und Konsorten ausgeht, zeigt sich offenkundig ideologisch beschränkt.

Toxischer Diskurs

Ich nenne in diesem Artikel, wie schon in Teil 1, keine Namen, weil es mir nicht darum geht, einzelne Personen an den Pranger zu stellen. Mir geht es auch nicht um pauschale Kritik an der CEU, die ich in Summe für eine exzellente Einrichtung halte, um die Delegitimierung dekolonialer Perspektiven oder um eine Diffamierung von Gender Studies als Disziplin. Vielmehr dient der Fall der CEU hier als Illustration für ein international weitverbreitetes und auch hierzulande gerade im akademischen Milieu an Bedeutung gewinnendes Phänomen: ein Reden über Israel/Palästina, das im Selbstverständnis absoluter moralischer Überlegenheit ruht, gegen andere grundsätzlich die schwerstmöglichen rhetorischen Geschütze in Stellung bringt und umgekehrt Einwände als a priori amoralisch diffamiert; ein selbstimmunisierendes Urteilen, das Nuancen und Komplexität ungerührt vom Tisch wischt und diesen Manichäismus auch noch stolz vor sich herträgt.

Es handelt sich um ein Reden, das nicht etwa bei der Kritik konkreter israelischer Politik, überschießender staatlicher Gewalt und ihrer verheerenden humanitären Folgen oder der aktuellen, rassistisch-autoritären israelischen Regierung verharrt, sondern Israels Existenz an sich als Übel darstellt, Israel allein für alles Leiden in der Region verantwortlich macht und Verteidiger:innen seiner Existenz taxfrei des Rassismus und der Völkermordapologie bezichtigt. Nicht zuletzt geht es mir um die Kritik einer Haltung, die Empathie (auch) für Israelis nicht nur missen lässt, sondern regelrecht als Ausdruck politischer Inkonsequenz verfemt und noch im selben Atemzug "Silencing" ruft und anderen ins Wort fällt. Die die Entfernung zum eigenen politisch-moralischen Standpunkt als einziges Kriterium für die Legitimität von Aussagen heranzieht und akademische Freiheit für sich selbst exzessiv auslegt, während sie die der anderen eng beschneidet.

Gemischte Signale

In den letzten Tagen waren aus der CEU Signale zu verzeichnen, die Anlass zur Hoffnung geben. Die erwähnte Vortragsstörung wurde vom Rektorat in einer Aussendung scharf verurteilt. Der dritte Termin der Vortragsreihe ging ohne Störungen über die Bühne – nachdem die Rektorin sich bezeichnenderweise veranlasst gefühlt hatte, eingangs internationale Studierende darauf hinzuweisen, dass Holocaustleugnung in Österreich strafbar sei. Die Reaktion der Uni-Leitung auf die Kritik der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JÖH) fiel wortreich, aber inhaltlich dünn aus: Man beschwerte sich darin ernsthaft über die "Ironie", dass die CEU, die ihren Gründer George Soros gegen antisemitische Kampagnen verteidigt habe, nun dasselbe erleben müsse wie er.

Die Student Union der Universität aber veröffentlichte ein Rundschreiben, das sich in klaren Worten gegen Antisemitismus positioniert und auch konkrete Schritte gegen entsprechende Manifestationen benennt. "[W]e need to create a community in which all Jewish students can feel safe again", heißt es darin. Das ist in der Tat der akuteste Teil der aktuellen Herausforderung – an der CEU und darüber hinaus. (Bernhard Weidinger, 8.12.2023)