In einer Aussendung vom 5. Dezember berichten die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH) von einem an der Central European University (CEU) herrschenden Klima der Feindseligkeit gegen alles und jede:n, der:die mit Israel und Zionismus assoziiert wird: von studentischen Chatgruppen, in denen Israel dämonisiert und der Hamas-Terror verharmlost oder gar gefeiert wird; von Mobbing gegen jüdische Studierende, die nicht vorbehaltlos in den antizionistischen Chor einstimmen; von der Party eines CEU-Studierendenklubs, auf dem die Parole "Zionists, get the fuck out!" angestimmt und ein jüdischer Student öffentlich vorgeführt wird. Und nicht zuletzt auch von einer Universitätsleitung, die alldem eher gleichgültig begegne (was die CEU zurückweist).

Eine breitere Öffentlichkeit nahm von alldem erstmals am 18. Oktober Notiz. An diesem Tag machte ein offener Brief eines "Free Palestine Collective" an der CEU die Runde. Dieses ereiferte sich – keine zwei Wochen nach dem Pogrom – über den "Mythos israelischer Opferschaft" und bekundete, anstelle irgendeiner Verurteilung des Hamas-Massakers, gar explizite Unterstützung für "all resistances". Die Student Union der Universität leitete dieses Pamphlet in weiterer Folge an alle Studierenden weiter. Das von einem jüdischen Studenten eingeschaltete Disziplinarkomitee der CEU kam zu dem Schluss, dass der Brief nicht den universitären Ethikcode verletze, keine Desinformation oder Hassrede enthalte und sich innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit bewege. Für weitere Schritte bestehe keine Veranlassung.

Selektives Schweigen

Am 24. Oktober veröffentlichten Mitglieder des CEU-Departments für Gender Studies ein Statement. Sein erster Satz stellt unumwunden klar, worum es geht: um eine Verurteilung der Reaktion auf das Massaker. "We, the undersigned, write as our condemnation of the military retaliation by the State of Israel against the Palestinian civilians of Gaza." Nach einer dürren Verurteilung der Ereignisse des 7. Oktober ergeht man sich in einer Generalabrechnung mit Israel. Der Schlussakkord: "Silence is not an option."

Das ist insofern überraschend, als Schweigen bislang die bevorzugte Option des Instituts war: auf seiner Website findet sich über die letzten zehn Jahre kein einziges derartiges Statement zu irgendeinem gewaltsam ausgetragenen Konflikt. Auch bei massiven Angriffen auf Frauen- und Homosexuellenrechte blieb man still, von Iran und Taliban bis Trump und US Supreme Court. Ebenso im Fall der Massenvergewaltigungen, öffentlichen Demütigung, Folter, Ermordung und Entführung von Mädchen und Frauen am 7. Oktober durch Hamas' Gotteskrieger für Geschlechterapartheid. Im Falle des israelischen Gegenschlags jedoch konnte man nicht länger schweigen – und entdeckte "Palestine as a feminist issue".

Jenseits jedes Whataboutism drängt sich die Frage auf, was ausgerechnet diesen Fall so besonders machte. Um die Ablehnung von tatsächlichem Völkermord und ethnischer Säuberungen scheint es nicht zu gehen (siehe Myanmar, Nordirak, Äthiopien, Bergkarabach), auch nicht um Antiimperialismus (Russland/Ukraine) oder US-Interessenpolitik (Jemen). Nicht um Solidarität mit Muslim:innen (Myanmar, China) oder selbst um palästinensisches Leid und Leben (sei es in Yarmouk/Syrien oder das Leiden an und unter Hamas). Zumindest dann nicht, wenn der Anlass zur Dämonisierung des jüdischen Staates ungeeignet erscheint.

Mikrofon
Schon die Einladungspolitik der CEU hatte an der grundlegenden Tendenz zur möglichst umfassenden Delegitimierung Israels und des Zionismus wenig Zweifel gelassen.
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Zwischen Teach-in und Tribunal

Anfang November veranlasste die Universität Wien ihr Institut für Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) zum Rückzug aus einer Veranstaltungskooperation mit den Gender Studies der CEU. Die geplante "Teach-in"-Reihe zu Palästina ging schließlich an der CEU über die Bühne – und hielt, was sie versprach. Schon die Einladungspolitik hatte an der grundlegenden Tendenz zur möglichst umfassenden Delegitimierung Israels und des Zionismus wenig Zweifel gelassen. Eine Vortragende hatte just am 7. Oktober, noch vor jedem Gegenschlag, auf X (Twitter) einen Genozid geortet – nicht etwa in, sondern durch Israel. Sie war sinnigerweise am 85. Jahrestag des Novemberpogroms 1938 an der CEU geladen. Eine andere rechtfertigte ihre – von allen Eingeladenen geteilte – Unterstützung für die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions) gegen Israel damit, dass Israelis, ungeachtet ihrer politischen Einstellung, kollektiv die Konsequenzen für das Handeln ihres Staates spüren sollten. Wieder ein anderer Vortragender zeigte sich am und nach dem 7. Oktober enttäuscht über Kolleg:innen, die in diesem historischen Moment der "Dekolonisierung" in ihrer Unterstützung derselben wankend würden.

Die Veranstalter:innen hatten nicht nur bei der Zusammenstellung des Programms auf politische Zuverlässigkeit geachtet, sondern taten auch ihr Möglichstes, die von ihnen reklamierte "akademische Freiheit" für andere möglichst restriktiv auszulegen. Die Online-Veranstaltungen begannen stets mit dem für wissenschaftliche Vorträge reichlich ungewöhnlichen Hinweis, dass nichts vom Gesagten nach draußen dringen dürfe. Die Chat-Funktion blieb deaktiviert, Fragen konnten nur schriftlich gestellt werden und wurden von der Moderation sichtbar geschaltet (oder auch nicht), womit jedes einzelne Wort aus dem Publikum deren Kontrolle unterlag. Die Institutsleiterin selbst besaß die Chuzpe, sich zum Abschluss der Reihe für die kritischen Fragen zu bedanken, die man nicht beantwortet habe – und zwar "mostly on purpose".

No Tears for "Zionists"

Die Vorträge selbst waren teils informativ, litten aber durchwegs unter massivem Bias. Aus der komplexen Geschichte Palästinas wurde herausgepickt, was der eigenen politischen Agenda dienlich war. So kamen etwaige Versäumnisse oder Verfehlungen von arabischer Seite nicht vor, während Vortragende und Moderation unisono gegen Israel alle Geschütze auffuhren, die das antizionistische Register zu bieten hat, von "Apartheid" und "ongoing Nakba" bis "Genocide". Israelisches Vorgehen wurde grundsätzlich als Aggression dargestellt, nachvollziehbare Anlässe dafür gab es – selbst bei Verteidigungskriegen – offenbar nie.

Ein Vortragender, der Israel online gern despektierlich als "Zentity" (Zionist entity) bezeichnet, problematisierte in der Publikumsdiskussion, dass in den USA Antisemitismus vorrangig von dessen "alleged victims" definiert werde, von jenen "who claim to be affected by it". Man kann davon ausgehen, dass dieselbe Negation von Betroffenheit und Definitionsmacht in Bezug auf Rassismus (zu Recht) für Aufruhr gesorgt hätte. Angesprochen auf seine erfreuten Online-Reaktionen am und auf den 7. Oktober gab der Vortragende an, er halte nichts von "rituals of condemnation", die doch nur dem Wohlbefinden von Zionisten dienten. Befragt nach dem Tag der Ermordung von mehr als 1000 Jüdinnen und Juden erklärte er stolz, er sei nicht bereit "to center Zionist feelings over Palestinian lives". Einmal mehr schien es, als gelte als konsequentester decolonial scholar, wer für aus den "richtigen" Motiven Massakrierte (einschließlich Friedensaktivist:innen, arabischer Israelis und Thais) am wenigsten Empathie aufbringt. (Bernhard Weidinger, 7.12.2023)