Kundgebung der GPA am Reumannplatz
Nach Abbruch der KV-Verhandlungen im Handel gab es Freitagvormittag am Wiener Reumannplatz eine Kundgebung. Mit dabei waren auch die Bundesvorsitzende der GPA Barbara Teiber (3.v.r.) und GPA-GF Karl Dürtscher (2.v.r.).
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Wird der Marienfeiertag in Einkaufsstraßen quer durch Österreich von Protesten und Kundgebungen der Handelsbeschäftigten begleitet? Finden Konsumenten am zweiten Adventsamstag mitunter verschlossene Tore vor? Darüber entschieden die vergangenen Stunden. Die Bilanz der fünften Verhandlungsrunde: Die Zeichen stehen weiter auf Streik.

Freitag um 10 Uhr hielt die Gewerkschaft bereits eine Kundgebung auf dem Wiener Reumannplatz ab. Auch für den Schillerplatz in Linz war für Freitagvormittag eine Demonstration angekündigt.

Fünfte Verhandlungsrunde ohne Ergebnis

Am Donnerstag war die fünfte Verhandlungsrunde ergebnislos abgebrochen worden. Die vier vorausgehenden Verhandlungsrunden über die neuen Gehälter für 430.000 Handelsangestellte brachten die Sozialpartner nur bedingt näher. Die Gewerkschaft wollte zumindest die Jahresinflation in Höhe von 9,2 Prozent abgegolten wissen. Die Arbeitgeber boten zuletzt ein Plus von sechs Prozent sowie eine Prämie von 1.000 Euro.

Video: Neuer Anlauf bei Handels-KV soll langes Einkaufswochenende retten
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Die Gewerkschaft, für die Einmalzahlungen ein rotes Tuch sind, ließ ihre Muskeln spielen. Auf Kundgebungen in Innenstädten folgten vergangenen Samstag erstmals Streiks in einigen Hundert Geschäften. Für ein bis zwei Stunden legten ihre Beschäftigten die Arbeit nieder. Der finanzielle Schaden für Handelsketten hielt sich in Grenzen. Symbolkraft hatte der nach außen getragene Arbeitskampf dennoch.

Bereits zuvor hatte die Gewerkschaft für den Fall des Scheiterns der 5. Verhandlungsrunde angekündigt, die Warnstreiks und Proteste auch am Marienfeiertag und am zweiten Weihnachtseinkaufssamstag fortzusetzen.

Der Handel rüstet sich für ein langes Einkaufswochenende. Weitere Protestkundgebungen sind die Begleitmusik.
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Wie viele Geschäfte von den Arbeitsniederlegungen am Samstag betroffen sein werden, ist noch offen. Für Samstag hat die Gewerkschaft zudem Kundgebungen in mehreren Bundesländern angekündigt. Auch in der Woche darauf sollen die Warnstreiks fortgesetzt werden.

Keine Einmalzahlungen

Am Donnerstag nahmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber einmal mehr Anlauf, um wie alle Jahre wieder einen Kompromiss zu finden. Die Chancen dafür standen gut. Der Abschluss der Metaller ist unter Dach und Fach. Konflikte mitten im Weihnachtsgeschäft weiter eskalieren zu lassen wollte keine Seite leichtfertig riskieren. Beobachter hielten einen Abschluss unter dem Titel der Solidarität für wahrscheinlich. Dennoch brach man die Verhandlungen nach rund zehn Stunden einmal mehr ab.

Eimalzahlungen seien vom Tisch, hieß es zuvor aus Verhandlungskreisen. Das Rechnen an verschiedenen Modellen sei jedoch weiterhin im Gange.

Acht Prozent am Tisch

Da die Gewerkschaft Einmalzahlungen rigoros ablehne, habe man das Angebot ein weiteres Mal nachgebessert und auf eine nachhaltige KV-Erhöhung von acht Prozent angepasst, ließ Rainer Trefelik, Chefverhandler der Arbeitgeber, am späten Abend wissen. "Wir sind mehrmals einen Schritt auf die Gewerkschaft zugegangen, doch auf der anderen Seite gab es kaum Bewegung." Nach Angaben Trefliks hatten Verhandler der Arbeitnehmerseite ihre Forderung zuletzt von 9,4 Prozent plus 15 Euro auf 9,4 Prozent herabgesetzt.

Die Gewerkschaft vergesse, dass sie am eigenen Ast säge, meint Trefelik mit Blick auf weitere Demonstrationen und Streiks am Freitag und Samstag: Fahre der Handel im Weihnachtsgeschäft aufgrund der Verunsicherung der Konsumenten durch die angekündigten Gewerkschaftsmaßnahmen ein sattes Umsatzminus ein, gehe dies letztlich auf Kosten der Arbeitsplätze. Sollte es auch in den nächsten Tagen keine Einigung geben, werde die Bundessparte eine Empfehlung für eine nachhaltige Gehaltserhöhung an die Unternehmen abgeben.

Vorstellung der Arbeitgeber "respektlos und lebensfremd"

"Linear acht Prozent anzubieten ist weder kreativ noch sozial", hieß es von Arbeitnehmer-Verhandlungsleiterin der GPA, Helga Fichtinger in einer Aussendung. Ein Teilerfolg sei, dass die Einmalzahlung vom Tisch genommen wurde. Das aktuelle Angebot würde demnach für hunderttausende Beschäftigte, darunter mehrheitlich Frauen, einen massiven Einkommensverlust bedeuten. "Die Vorstellung mancher Arbeitgeber ist respektlos und lebensfremd", so Fichtinger.

Für die Gewerkschaft dient das Modell der Metaller als möglicher Maßstab. Untere Einkommen könnten über den Wert der rollierenden Inflationsrate von 9,2 Prozent angehoben werden. Das würde mehr als 100.000 Angestellte betreffen mit Einstiegsgehältern von derzeit monatlich 1.945 Euro. Je höher das Einkommen, desto stärker schmilzt der finanzielle Zuwachs.

Abschluss für zwei Jahre?

Zur Diskussion steht zudem, dass sich die Sozialpartner wie in der Metallindustrie auf eine Vereinbarung einigen, die über zwei Jahre währt. Anders als die Metaller haben Österreichs Händler damit Erfahrung: Sie legten bereits für die Jahre 2014 und 2015 einen Doppelabschluss vor – im Dienste höherer Planungssicherheit und im Zuge einer Reform des Kollektivvertrags.

Zeit und Nerven könnte sich der Handel damit in jedem Fall sparen. Beschäftigte aus höheren Gehaltsstufen, die 2024 durch eine Staffelung finanziell das Nachsehen haben, würden damit zumindest im Jahr darauf besser aussteigen.

Diesen heuer einen Abschluss unter der Inflationsrate erklären zu müssen könnte die Gewerkschaft in Argumentationsnotstand bringen. Die Pensionen steigen 2024 um knapp zehn Prozent. Beamte werden im Schnitt um 9,15 Prozent, Brauer und Bäcker um 9,7 Prozent mehr verdienen. Auch der Sozialwirtschaft wird die Inflation abgegolten.

Widerstand gegen entsprechende Erhöhungen kommt im Handel vor allem von kleinen, mittelständischen und familiengeführten Betrieben, die in Relation zum Umsatz viel Personal beschäftigen und sich unter einer Kostenlawine erdrückt sehen. Wann die Sozialpartner zum sechsten Mal an den Verhandlungstisch gehen, ist derzeit noch offen.

Vom Held zum Bittsteller

"Während Corona waren wir die Superhelden. Jetzt, wo es darum geht, dass auch wir unsere Rechnungen bezahlen müssen, stoßen wir auf taube Ohren", zieht Irene Pawelka, die als Angestellte im Lebensmittelhandel arbeitet, Bilanz über die finanziellen Debatten in ihrer Branche. Zahlreiche große Konzerne hätten heuer noch Corona-Förderungen erhalten. Kleinere Betriebe wiederum, die schon bisher in der Krise steckten, ließen sich nicht über niedrige Personalkosten retten. "Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit."

Untere Gehälter stärker zu heben als obere hält sie für vernünftig. Der Einzelhandel brauche dringend neue Fachkräfte. "Vielleicht lassen sich dadurch mehr Leute dazu bewegen, im Verkauf zu arbeiten."

In Österreich verdient fast jede zweite Beschäftigte im Handel monatlich brutto weniger als 2.500 Euro, errechnete das Momentum-Institut. Im Vergleich dazu falle nur einer von vier Männern unter die Geringverdiener im Handel. Insgesamt bekämen rund 161.000 Angestellte einen Bruttolohn unter 2500 Euro für Vollzeitarbeit, was etwa 1825 Euro netto entspreche. Zwecks Vergleichbarkeit wurden alle Teilzeitgehälter auf Vollzeit hochgerechnet.

Welt der Widersprüche

Ernst Mayr, Chef und Eigentümer der Modekette Fussl, vermisst im alljährlichen Ringen um neue Kollektivverträge den Blick aufs Ganze.

Er verstehe die Forderungen der Gewerkschaft, sagt er. Er würde seinen Beschäftigten auch 30 Prozent höhere Einkommen gönnen. Österreich laufe jedoch Gefahr, Industrie und Händler zu verlieren. "Es wird der Gewerkschaft nichts nützen, wenn sie Löhne und Gehälter bald nur noch für eine Minderheit verhandelt."

Viele Österreicher wollten Preise wie in Billiglohnländern, zugleich aber 14 möglichst hohe Gehälter und vielfältige Sozialleistungen, gibt Mayr zu bedenken. "Warum wird über diese Widersprüche nicht diskutiert?" Zu einfach machten es sich seiner Ansicht nach aber auch jene, die auf niedrigere Lohnnebenkosten pochten. "Welche Sozialleistungen genau wollen wir denn einsparen? Auf beiden Seiten wird vieles nicht zu Ende gedacht."

Vormarsch der Onlineriesen

Weitgehend unberührt vom Kräftemessen im stationären Handel, der mit Kostensteigerungen rund um Energie, Logistik, Personal und Fremdkapital hadert, agieren internationale Onlineriesen. Kein europäischer Webshop sei in den vergangenen Jahren ähnlich schnell gewachsen wie die beiden chinesischen Shopping-Apps Shein und Temu, lässt der Handelsverband wissen.

So lag der weltweite Umsatz des Ultra-Fast-Fashion-Anbieters Shein im Vorjahr bereits bei mehr als 25 Milliarden Euro – rund ein Viertel davon wurde in Europa erzielt. Temu wiederum sei seit Monaten fast durchgehend auf Platz eins der Downloadcharts in den USA und der EU. Hinter ihrem Siegeszug steckten vielfach jedoch fragwürdige Methoden und zahnlose Regulative.

"Schrott quer über den Planeten"

Handelsverbandchef Rainer Will warnt vor anhaltenden Problemen mit der Produktsicherheit, Produktfälschungen und Falschdeklarationen etwa zur Umgehung von Zollgrenzen. "Plattformen wie Ali Express, Temu oder Shein ziehen eine Müllstraße quer über den Planeten bis nach Österreich." Ihr Geschäftsmodell habe fatale Auswirkungen auf die Umwelt. Datenschutzvorgaben würden oft ignoriert, vielfach Fake-Produkte verkauft, die laut Greenpeace mit giftigen Chemikalien belastet und gesundheitsgefährdend sein könnten.

Lasse die EU weiterhin zu, dass Europa um billigstes Geld vielfach mit Schrott geflutet werde, setze man den gesamten stationären Handel aufs Spiel, sagt Handelsverbandpräsident Stephan Mayer-Heinisch. Es brauche faire Besteuerung – für den Händler ums Eck müssten dieselben Regeln gelten wie für digitale Giganten. In diesen hundert Millionen Paketen stecke eine Bombe, die ein ganzes Handelssystem zerstören könnte. (Verena Kainrath, red, APA, 7.12.2023)