maertens ofczarek
Würdigen das Burgtheater als Proklamationshaus: Nicholas Ofczarek und Michael Maertens (re.).
Marcella Ruiz Cruz

Sie sind ein Schauspielpaar mit intensiver Spielvergangenheit. Jetzt stehen Nicholas Ofczarek und Michael Maertens einander in Büchners Revolutionsdrama DantonsTod (1835) am Burgtheater gegenüber. Die Inszenierung Johan Simons’ hat am 16. Dezember Premiere.

STANDARD: Sie beide sind zu einem Schauspieltandem geworden. Sogar einen Nestroy-Preis mussten Sie sich teilen. Was zieht Sie gegenseitig an?

Maertens: Es gibt biografische Ähnlichkeiten, weil wir beide aus Theaterfamilien kommen. Alles andere sind schon Gegensätze: wo wir herkommen, das Optische, die Charaktere. Gegensätze ziehen sich ja an.

Ofczarek: Wir sind verschieden. Manchmal meiden wir einander, dann sind wir einander wieder nah.

Maertens: Bei mir überwiegt die Bewunderung.

STANDARD: Sie spielen nun in Büchners Drama Danton und Robespierre. Wie viel Gewalt ist legitim für das Erreichen politischer Ziele, fragt das Stück. Gewalt meinte zur Zeit der Revolution Kopf ab. Von welcher Gewalt sprechen wir heute?

Ofczarek: Man darf diese Sprache auf keinen Fall auf einen "heutigen" Ton nivellieren. Das würde diesem Werk nicht gerecht werden. Das Burgtheater ist ein Proklamationshaus. Nutzen wir es. Bekennt man sich zur Kraft und Poesie der Büchner’schen Sprachgewalt, kann sie sich entfalten.

Maertens: Eine Aktualisierung bietet sich zwar an: Wie gehen wir vor im Gazastreifen? Aber glücklicherweise machen wir das mit Regisseur Johan Simons nicht!

Ofczarek: "Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an", sagt Danton – die Interpretation und Assoziation zur Gegenwart überlassen wir dem Auditorium. Um dieses zu erreichen, müssen wir anheben.

STANDARD: "Anheben" meint?

Maertens: Es meint einen fast unpsychologischen Umgang mit der Sprache. Dass sie ins Pathos reicht.

Ofczarek: Keine Angst vor gefühltem und gefülltem Pathos!

Maertens: Dazu eignen sich Danton und Robespierre ja sehr, es sind pathetische Figuren. Danton in seinem Leid, seinem Fatalismus und Robespierre in seiner Agitation und seinem politischen Willen.

STANDARD: Man hört öfter, die Zeit der großen Häuser sei vorbei. Wie sehen Sie das?

Maertens: Das halte ich für Unsinn. Natürlich denke ich bei gewissen Stücken, bitte, bitte, lass es im Akademietheater sein. Es gibt aber auch Stücke, die schreien nach so einem großen Raum wie diesem hier. Dazu gehört jetzt der Danton. Ich bin sehr froh über diese Größe.

Ofczarek: Vielleicht finden die Stücke, die das verlangen, zu wenig oft hier statt. Aber ich glaube, "die Zeit der großen Häuser ...", das ist so ein Satz, der halt irgendwie gut klingt, aber ehrlich, nein, diese Zeit ist sicher nicht vorbei.

STANDARD: Sie, Herr Ofczarek, haben in den letzten Jahren eher beim Film als am Burgtheater gearbeitet. Warum, und werden Sie unter Bachmann wieder öfter zu sehen sein?

Ofczarek: Ich hatte offen gestanden immer wieder einmal Krisen mit dem Theaterspielen. Mir hat Filmen einfach mehr Freude bereitet, die Projekte waren interessant. Das Spiel im Film ist ein anderes, verinnerlichter, Theater ist expressiver.

STANDARD: Sie, Herr Maertens, hatten weniger Krisen mit dem Theaterspielen.

Maertens: Umgekehrt. Ich hatte eine große Krise mit dem Film. Ich fand mich nicht geeignet für die Kamera. Dann hat mich Detlev Buck überredet. Seither reichen mir ein, eineinhalb Filme pro Jahr. Für Schauspieler ab einem gewissen Niveau ist so eine Theaterpause auch verdient und gesund. Nach jeder Premiere wieder in neue Proben geworfen zu werden, das verstehe ich für junge Kollegen, aber ab einem gewissen Punkt ist das fahrlässig.

Ofczarek: Man muss sich auch einmal rarmachen. Die Menschen brauchen Erholung von einem.

Maertens: Das sagt sich leicht, aber man darf sich ja leider nicht rarmachen. Die Regel lautet derzeit zwar "nur" zwei zusätzliche neue Stücke pro Spielzeit. Aber selbst das finde ich zu viel. Da könnte man doch sagen, wir geben dem Publikum mal Pause von ihm, spielen tut er ja eh jede Woche hier. So würde jedenfalls ich mit meinen Schauspielern umgehen.

STANDARD: Wäre das ein Wunsch an die kommende Direktion?

Maertens: Sicher ein aussichtsloser Wunsch, aber der Wunsch wäre da.

Ofczarek: Ich freue mich auf ein freudvolles Miteinander. Denn dann entsteht so etwas wie Freiheit, auch auf der Bühne. Das ist eminent wichtig. Da bin ich guten Mutes. Das scheint auch gewünscht.

Maertens: Ich bin guter Hoffnung, dass da einige neue darstellerische Hochkaräter zu uns kommen werden. Ich habe das Gefühl, dass Stefan Bachmann dafür geeignet ist, hier nach all dem Mist, den wir die letzten Jahrzehnte hatten, einmal auf Reset zu drücken. Und ich muss Johan Simons ein großes Lob aussprechen. Ich habe einen so offenen, neugierigen, humorvollen und mutgebenden Regisseur kaum je erlebt.

Ofczarek: Johan Simons ist ein Meister.

STANDARD: Sie beide sind Ex-Jedermänner. Haben Sie, Herr Maertens, inzwischen eine Idee, warum die Neuproduktion abgesetzt wurde?

Maertens: Für mich ist es auch wie ein Krimi, weil ich ja kurz vorher noch gefragt wurde, ob ich nicht noch zwei weitere Jahre machen möchte. Ich vermute, dass es eine rein künstlerische Entscheidung war. Aber ich bin zu sehr Intendantensohn und -enkel, als dass ich damit nicht umgehen könnte. Es gibt schmerzhafte Entscheidungen, man muss sie nur gut kommunizieren, und das ist nicht gelungen. Das haben sie jetzt auch gemerkt.

STANDARD: Werden Sie in Salzburg also wieder spielen?

Maertens: Das weiß ich nicht. Also nachtragend bin ich nicht, das lohnt sich in meinem Beruf nicht. Wenn sich etwas Schönes ergibt, etwa mit meinem Lieblingskollegen Ofczarek, dann bin ich schnell wieder da.

Ofczarek: Und ich spiele natürlich nur unter der Bedingung, dass Kammerschauspieler Maertens dabei ist. (Interview, Margarete Affenzeller, 10.12.2023)