volkstheater edelbauer
Ein Schauspielensemble illustriert sich selbst: Fabian Reichenbach, Gerti Drassl, Hardy Emilian Jürgens und Anna Rieser an den Overheadprojektoren im Volkstheater.
APA/VOLKSTHEATER/MARCEL URLAUB

Wien, 1914, Karlsplatz, Regen, Nacht, Comic-Style" – auf Basis dieser Schlagworte hat eine Kunst-KI namens Midjourney jene Bilder mitkreiert, die nun Raphaela Edelbauers Die Inkommensurablen am Volkstheater auf Overheadfolien illustrieren. Künstlich erzeugte Bilder passen auf den vor knapp einem Jahr erschienenen Roman der österreichischen Autorin ziemlich gut. Zoomt sie doch ebenso "künstlich" jenen Moment unmittelbar vor "Ausbruch" des Ersten Weltkriegs heran, in dem drei Teenager von der Panik des politischen Geschehens erfasst werden: Tiroler Alm, Wien Südbahnhof, Untergrundbars, Straßenzüge, Palais usw.

Um dieses füllige Wien-Panoptikum szenisch umzusetzen, hat Volkstheaterchef Kay Voges die auf live animiertes Theater spezialisierte Gruppe sputnic engagiert. Deren Regisseur ist Nils Voges, Bruder des Direktors. Und bei im Raum stehendem Nepotismus quittierte das Publikum die Uraufführung am Donnerstag mit feurigem Applaus und vereinzelt stehenden Ovationen.

Comicfrisuren

Ein ganz gelungener Abend war das aber nicht. Edelbauers zeitlose, die Gegenwart mit dem Jahr 1914 in eins setzende Sprache und die den Episoden eignenden irrealen Anklänge in eine Comic-Realität zu übersetzen sind zwar ein vortrefflicher Ansatz. Allerdings hinkt die Umsetzung hinterher. Insbesondere griffen die synchronen Tätigkeiten der Schauspielenden als einerseits leibhaftige Figuren mit Comicfrisuren (Kostüm: Friederike Wörner), zugleich aber auch als Manager der Overheadprojektoren nicht in eins.

Das Ensemble ergreift zwar zwischen und während dem Wechseln der Folien – sie illustrieren auf Leinwänden die historische wie geträumte Welt – jede Gelegenheit zum psychologischen Spiel. Doch bleibt genau diese Zwitterfunktion unproduktiv. Einerseits verstellen vier Projektoren samt Personal an der Rampe die Sicht, andererseits verliert das Spiel dabei an Überzeugungskraft. Man beobachtet Schauspieler im Werktagsoverall, wie sie Lichtverhältnisse arrangieren.

Zischen des Zündholzes

Man hätte gern mehr Lebendiges von ihnen gesehen: Anna Rieser als hoch motivierte Mathematikstudentin, Hardy Emilian Jürgens als überforderter Tiroler Knecht in der Großstadt, Fabian Reichenbach als mit seiner Adelsfamilie hadernder Adam, ein Kapellmeister mit Einberufungsbefehl. Am besten trifft es noch Gerti Drassl, die in der Rolle der Psychoanalytikerin Helene Cheresch als Figur der Rahmenhandlung erkennbarer wird.

In Einzelteilen kann die Inszenierung aber ihre Wirkung entfalten. Vor allem geben die in Richtung Snapchat-Art ausbüchsenden Animationen einen Eindruck vom Fiktionalitätswert der literarischen Vorlage. Das animierte Erzählen eröffnet also eine ganz eigene grafische Ästhetik, so als würde man in einem Comicbuch blättern.

Die Verlebendigung erfolgt – wie im Comic – mittels Mundbewegungen und nicht zuletzt einer exquisiten Soundkulisse, in der das Entfachen eines Zündholzes den ganzen Saal erfüllt. Ein Versuch, der Comic-Fans finden könnte. (Margarete Affenzeller, 8.12.2023)