Grünen-Chef Werner Kogler im Parlament.
Werner Kogler im Lift hinauf ins Restaurant des österreichischen Parlaments, wo das Interview stattfand.
Regine Hendrich

Werner Kogler sitzt in einem Nebenzimmer des Parlament-Restaurants. Für gewöhnlich gibt er Interviews in seinem Büro in der Radetzkystraße, heute wollte er sich im Hohen Haus am Renner-Ring treffen. Wie immer trinkt er Espresso. Daneben steht ein grüner Tee. Der lasse ihn schneller denken, sagt der Vizekanzler.

STANDARD: Wie sicher sind Sie sich denn, dass Österreich in zehn Jahren noch eine lupenreine Demokratie ist?

Kogler: Da bin ich mir gar nicht sicher. Die parlamentarische Demokratie, wie wir sie kennen, ist mehrfach bedroht – durch Extremisten und vor allem durch Rechtsextremisten. Was die verbreiten, fällt auf fruchtbaren Boden.

STANDARD: Mit "Rechtsextremisten" meinen Sie die FPÖ?

Kogler: Die FPÖ ist nichts anderes als der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus.

STANDARD: Ist FPÖ-Chef Herbert Kickl für Sie ein Antidemokrat?

Kogler: Das wird sich weisen.

STANDARD: Kickl nimmt sich Viktor Orbáns illiberale Demokratie Ungarn zum Vorbild.

Kogler: Und das ist das Allerschlimmste. Denn wozu führt das, wenn Kickl Österreich zu Orbánistan macht? Man kann es sich in Ungarn anschauen: Meinungsfreiheit und unabhängige Medien werden zugrunde gerichtet. Wenn du als Lehrer in der Schule das Falsche sagst, dauert es nicht lange, und du bist weg. Und: Ungarn ist völlig heruntergewirtschaftet, der Wohlstand bricht ein. Das wird nur dadurch verdeckt, dass die Europäische Union zig Milliarden in dieses Land pumpt. Auch für Österreich gilt: Kommt Kickl, kommt Orbánistan. Kommt Orbánistan, kommt Niedergang.

STANDARD: Was tun Sie denn, um das zu verhindern?

Kogler: Da müssen jetzt alle konstruktiven Kräfte sich einhaken und zusammenarbeiten. Dazu rufe ich auch die Gewerkschaften, die Unternehmerverbände, die SPÖ, die Neos und die Verantwortungsvollen in der ÖVP auf. Gerade weil die ja in einigen Ländern mit den Freiheitlichen regiert. Wir müssen der Lügenpropaganda Kickls eine neue Aufklärung entgegensetzen.

STANDARD: Sollten sich alle anderen Parteien und der Bundespräsident zusammentun, um einen Kanzler Kickl zu verhindern?

Kogler: Es wird so sein müssen, dass jene zusammenfinden, die Mehrheiten jenseits der FPÖ bilden können. Und da hat auch der Bundespräsident etwas mitzureden.

STANDARD: Das ist aber auch kein besonders demokratischer Zugang, wenn der Stimmstärkste geschnitten wird.

Kogler: Es gibt keine Kanzlerdirektwahl, sondern eine Nationalratswahl, und es muss nicht zwangsläufig der Erste den Kanzler stellen. Wenn eine Partei 30 Prozent bekommt, hat sie noch lange keine Mehrheit – und darum geht es in einer parlamentarischen Demokratie. Ich bin dafür, dass wir uns mit allen gesellschaftlichen Kräften zusammensetzen und sagen, was wir für unser Land wollen. Wir alle müssen offen benennen, was droht, und gemeinsam dagegen eintreten, dass die Demokratie verkommt.

STANDARD: Was wollen Sie denn fürs Land?

Kogler: Wohlstand durch Klimaschutz etwa. Lösungen finden, die das Land besser machen. Gerade das wollen die Kickls, die irgendwelche Parolen plärren, nicht. Die leben ja davon, Probleme groß zu machen, und nicht von ihrer Behebung.

STANDARD: Viele Menschen erkennen eine weitere Gefahr für die liberale Demokratie: den radikalen Islam. Sie nicht?

Kogler: Man muss dort jedenfalls hinschauen und klar auftreten. Und besonders klar muss sein: Es hat Konsequenzen, wenn die Massaker der Terrororganisation Hamas bejubelt werden. Da ist Ende Gelände. Etwa bei Verhetzung weiß sich der Staat schon zu helfen.

Werner Kogler im Parlaments-Restaurant
Werner Kogler im Parlamentscafé. Die Letzte Generation verteidigt er: Die Klimaaktivisten seien "nicht extremistisch".
Regine Hendrich

STANDARD: Israel hat gerade die Gefahrenstufe für Reisen nach Österreich erhöht, weil es hier immer öfter zu antisemitischer Hetze und Anschlagsversuchen kommt.

Kogler: Zu sagen, dass Hetze hier keinen Platz hat, reicht nicht. Wir haben gerade die Strafen erhöht in diesem Bereich. Wer antisemitische Straftaten setzt, verwirkt das Recht auf Erhalt der Staatsbürgerschaft. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass man vor lauter Kampf gegen den Antisemitismus nicht antimuslimische Ressentiments bedient.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, das passiert gerade?

Kogler: Da oder dort mit Sicherheit.

STANDARD: Aber wird nicht gerade auch ein jahrzehntelanges Integrationsversagen sichtbar?

Kogler: Wir müssen da eben hinschauen und müssen noch vorangehen. Gute Integrationspolitik kann viel bewirken, und da können wir immer auch noch besser werden.

STANDARD: Wie denn zum Beispiel?

Kogler: Ich sehe es wie Beate Meinl-Reisinger, dass man in der Schule ansetzen muss.

STANDARD: Die Neos fordern ein "Schulfach Demokratie".

Kogler: Ein Fach allein wird auch nicht reichen. Um den Grundzugang geht es. Zum Beispiel lege ich als Sportminister einen Fokus auf Integration. Über die Frauschaft oder Mannschaft funktioniert Integration oft besser als überall anders.

STANDARD: Sehr klar hat sich Robert Habeck von den deutschen Grünen geäußert. Der sagt: Muslime, die sich nicht klipp und klar von Antisemitismus distanzieren, unterlaufen ihren eigenen Anspruch auf Toleranz.

Kogler: Das stimmt auch. Es auszusprechen ist wichtig. Die noch schwierigere Übung ist, dass sich bei Fehlverhalten Sanktionen daran knüpfen.

STANDARD: Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner haben Sie kritisiert, als sie meinte, Muslime müssten sich distanzieren.

Kogler: Die Landeshauptfrau habe ich dafür kritisiert, dass sie den Anschein eines Generalverdachts gegen alle Muslime geweckt hat und Strafen daran knüpfen wollte.

STANDARD: Sie sind also gegen Strafrechtsverschärfungen?

Kogler: An gewissen weiteren Punkten könnte man durchaus nachbessern. Das prüfen wir gerade.

STANDARD: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler von der ÖVP wirft den Grünen mangelnde demokratische Kompetenz vor, weil die grüne Klimaministerin den österreichischen Energie- und Klimaplan unabgesprochen an die EU geschickt hat.

Kogler: Was die Verfassungsministerin genau meint, kann ich nicht nachvollziehen. Geeinigt haben wir uns jedenfalls in der Koalition darauf, die Klimaziele zu erreichen.

STANDARD: Und ist Ihnen die Demokratie im Kampf gegen die Erderhitzung ein "mühsames Hindernis", wie Edtstadler es formuliert?

Kogler: Unsinn.

STANDARD: Darf sich ziviler Widerstand in Ihren Augen nur im Rahmen der Gesetze bewegen oder auch darüber hinaus?

Kogler: Natürlich soll es berechtigten zivilen Widerstand geben. Es ist noch nicht ewig her, da habe ich ihn selbst ausgeübt. Vor zehn Jahren haben wir noch in der Steiermark mit Traktoren Baustellenzufahrten zu illegalen Projekten blockiert.

STANDARD: Das war wohl auch Ihrerseits nicht im Rahmen der Gesetze.

Kogler: Möglich. Aber es ging um die Blockade von Genehmigungen einer semikorrupten Behörde.

STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass gegen Klimaaktivisten wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird?

Kogler: Der Staatsschutz hat kürzlich festgehalten, dass die Aktivisten der Letzten Generation "nicht extremistisch" sind und "transparent" vorgehen. Ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft korrekt und unabhängig ermittelt.

Werner Kogler im Restaurant des Parlaments.
Der Klimaaktivistin Lena Schilling, die als grüne Kandidatin für die EU-Wahl im Gespräch ist, traue Werner Kogler "sehr viel zu".
Regine Hendrich

STANDARD: Nur 42 Prozent der Österreicher empfinden die EU-Mitgliedschaft als positiv, fast ein Viertel der Menschen hält sie für schlecht. Gibt es einen Wert, ab dem eine Regierung über eine neuerliche Volksbefragung über die EU nachdenken müsste?

Kogler: Also ich sehe da keinen Bedarf. Aber ich lade die blauen Putin-Brüder und Orbánisten ein, endlich offen zu sagen, dass sie den EU-Austritt wollen. Dann können wir darüber eine ehrliche Auseinandersetzung führen und werden sehen, ob so viele sich gegen Wohlstand und ein geeintes Europa entscheiden.

STANDARD: Bald steht eine wichtige EU-Wahl an. Trauen Sie der Klimaaktivistin Lena Schilling eine Kandidatur für die Grünen zu?

Kogler: Ich traue vielen viel zu, ich traue der Lena Schilling sehr viel zu. Wir haben auch viele kompetente Menschen. Gerüchte will ich nicht kommentieren.

STANDARD: Ein Dementi klingt anders. Zum Abschluss: Wenn Sie aus dem Fenster schauen, was sehen Sie: herrliche weiße Vorweihnachten oder das nächste Extremwetterereignis?

Kogler: In Wien nennt man das vielleicht Extremwetter, ich komme aus der Steiermark – da ist das ein durchschnittlicher Winterbeginn. Aber solche werden wir immer seltener erleben.

(Katharina Mittelstaedt, 8.12.2023)