Manche Tiere sind einfach niedlich. Was aber nicht heißt, dass sie nicht untereinander ziemliche Hooligans sein können. Auch beim Rotkehlchen (Erithacus rubecula) macht dieser Gegensatz einen besonderen Reiz aus. Die kleinen Singvögel aus der Familie der Fliegenschnäpper gehören zu den beliebtesten Vögeln überhaupt. Der runde Kopf und die großen schwarzen Augen des Rotkehlchens entsprechen wohl dem Kindchenschema. Auch wir sind immer entzückt, wenn sich im Garten ein Exemplar aus dem Gebüsch wagt und die Haferflocken schnabuliert, die wir extra in Fett geschwenkt (ja, wir bekochen unsere Wintergäste) und in Bodennähe serviert haben.
Im Gegensatz zu anderen Gartenbesuchern kommen Rotkehlchen nie in Trupps, manchmal zu zweit, meistens aber solo. Und das hat einen guten Grund. Die reizenden Vogerl sind Einzelgängerinnen und Einzelgänger, die unabhängig vom Geschlecht das ganze Jahr über ihre Reviere abstecken. Deswegen zählen sie zu den wenigen Vögeln, die auch im Winter singen. Jetzt in der kalten Jahreszeit sind sie noch einigermaßen tolerant, kommt mir vor, aber zur Balz- und Brutzeit werden sie rabiat, wenn Artgenossen den Respektabstand nicht einhalten. Es kann auch Blut fließen.
Magnetsinn zur Orientierung
Was Rotkehlchen von vielen anderen Vögeln unterscheidet, ist, dass es äußerlich keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, Männchen und Weibchen haben die gleiche Garderobe. Rot (beziehungsweise orangefarben) ist nicht nur die Kehle sondern auch die Brust und das Gesicht bis über den Schnabel. Gerade im Schnee sind sie gut sichtbare Farbtupfer und deshalb auch entsprechend vorsichtig beim Futterholen. Sonst werden Rotkehlchen eher als zutraulich beschrieben, aber bei uns im Garten sind sie eigentlich auch den Rest des Jahres immer sehr scheu.
Rotkehlchen gehören zu den besterforschten Singvögeln, vor allem Großbritannien ist Rotkehlchen-narrisch. Dort gilt "Robin Redbreast" sogar als inoffizieller Nationalvogel. Amerikanische "Robins" sind hingegen keine Rotkehlchen, sondern rotbrüstige Wanderdrosseln. Wie auch immer, das Rotkehlchen hat jedenfalls mitgeholfen, den Magnetsinn zu entdecken, mit dem Vögel sich orientieren können. Dieser natürliche Kompass gibt Forschenden immer noch spannende Rätsel auf, wie unsere STANDARD-Wissenschaftsredaktion berichtete.
Wundernetz in den Beinen
Gelöst ist hingegen das Mysterium, wie Vögel es bloßfüßig im Schnee oder auf Eis aushalten. Das Rotkehlchen hat ja besonders dünne, nackte Haxerln. Kriegen die nicht kalte Füße? Doch! Aber das ist gewollt. Schnee würde unter ihnen wegschmelzen, wenn auch die Füße die übliche Vogelkörpertemperatur von 40 Grad Celsius hätten. Da unten in den Zehen hat es nur wenige Grade über null. Vögel haben in den Beinen eine Thermoregulation, die gelegentlich auch Wundernetz genannt wird. Arterien und Venen liegen so eng verflochten nebeneinander, dass sich die unterschiedlichen Temperaturen der Blutbahnen (warm in Richtung Füße, kalt in die Gegenrichtung) einander angleichen. Unten bleibt es kühl, nach oben hin wird's immer wärmer. Genial! Liebe Evolution, vielleicht kriegst du das für uns Menschen auch noch hin. Füße in Moonboots zu stecken, um sie vor dem Abfrieren zu schützen, ist nämlich keine elegante Lösung. (Michael Simoner, 13.12.2023)
Hinweis: Bei den Exif-Daten des ersten Bildes war ursprünglich eine Belichtungszeit von 500 Sekunden angegeben. So lange hätte es das Rotkehlchen wohl nicht regungslos ausgehalten. Richtig ist natürlich 1/500 Sekunde. Danke für den Hinweis im Forum!