Ein Igel auf der Waage
Ganz geheuer war dem kleinen Igel das Abwägen nicht. (Belichtungszeit 1/160 Sek., Blende f3.5, Lichtempfindlichkeit ISO 2500, Brennweite 105 mm).
Michael Simoner

Unsere Küchenwaage ist genial. Auf ihr haben wir schon die Ingredienzien für Kuchen und Kipferl abgewogen, eine möglichst leichte Fotoausrüstung zusammengestellt und das Gewicht fürs Handgepäck im Flugzeug überprüft. Unlängst hatte es das digitale Wunderding mit einem Lebendgewicht von 294 Gramm zu tun. So viel – beziehungsweise so wenig – brachte ein kleiner Igel auf die Waage, den wir am vergangenen Sonntag im Garten aufgelesen haben.

In einigen Nächten hatten wir zuletzt schon Minusgrade. Es ist also höchste Zeit, dass sich Igel in ihre Winterquartiere zurückziehen. Unser Igelchen war noch dazu am helllichten Tag unterwegs, obwohl die nachtaktiven Tiere normalerweise frühestens in der Dämmerung auf die Jagd gehen. Uns war schnell klar, dass der Igel einen Wettlauf gegen die Zeit führte. Er musste sich vor der Winterruhe einen Fettvorrat anfressen, um zu überleben. Ein Gewicht von 500 Gramm gilt als unterste Untergrenze.

Flohzirkus an Bord

Nach längerer Beobachtung und ein wenig Katzenfutter, das er ratzfatz verdrückte, entschlossen wir uns, den Igel abzuwägen. Also Handschuhe an (so ein Igel hat oft einen ganzen Flohzirkus an Bord), STANDARD-Zeitungspapier als Unterlage auf die Küchenwaage und den Igel drauf. Natürlich war ihm die Sache nicht geheuer. Ich hoffe, der knallige 70er-Jahre-Vintage-Bezug der Küchenbank war ihm nicht zu psychedelisch. Aber wie in einem früheren Fotoblog schon einmal beschrieben, sind die stacheligen Säugetiere ein Erfolgsmodell der Evolution. Igel (Erinaceidae) gab es schon, als die Erde noch frei von Menschen war.

Die 294 Gramm (inklusive Zeitungspapier) waren jedenfalls eindeutig zu wenig. Als derartiges Leichtgewicht hätte er draußen nicht überlebt. Also überlegen: selbst über den Winter aufnehmen oder eine professionelle Obhut suchen? Da wir privat zwischen drei Bundesländern pendeln, erschien uns die erste Variante als zu riskant. Aber kann man an einem Sonntag Igelhilfe erhalten? Man kann. Es gibt gar nicht so wenige engagierte Aufnahmestationen. Wir haben beim Wiener Tierschutzhaus angefragt und dort grünes Licht erhalten.

Verspätete "Igelsaison"

Also kam der kleine Punk in eine Pappkartonkiste mit Papierschnitzelpolsterung, ein wenig Reiseproviant und eine Wasserschüssel dazu, und ab ging's aus dem Mostviertel über die West- und Außenringautobahn nach Vösendorf in die Triester Straße. Selbst ein heftiges Herbstgewitter konnte unsere Mission nicht stoppen. Am Abend war der kleine Igel schon in Sicherheit.

Am nächsten Tag hab ich nachgefragt und von Jonas von Einem, dem Sprecher von Tierschutz Austria in Vösendorf, erfahren, dass gerade "Igelsaison" sei, also besonders viele Tiere abgegeben werden – heuer etwas später, weil der Oktober so warm war. Derzeit werden im Wiener Tierschutzhaus 98 Igeln versorgt. Sie werden medizinisch durchgecheckt, gefüttert und kommen dann für den Winterschlaf in eigene Räumlichkeiten. Im März werden sie an verschiedenen Stellen im Wiener Umland wieder ausgewildert. Unser Igelchen wird also im Speckgürtel leben. Eine schöne Vorstellung. (Michael Simoner, 22.11.2023)

Noch ein Tipp: Igel nie mit Obst oder Milch füttern, das kann zu letalen Verdauungsproblemen führen. Tierschutz Austria empfiehlt eiweißreiches Futter, etwa eine Mischung aus hochwertigem Katzennassfutter und gekochtem, gehacktem Fleisch (Huhn, Pute, Rinderhack). Und immer eine flache Schale mit Wasser bereitstellen.

Kleiner Igel im Gras
Im Garten wuselte der Igel am helllichten Tag herum. (1/500 Sek., f5.6, ISO 4500, 500 mm)
Michael Simoner
Kleiner Igel im Gras
Der Igel war für die Jahreszeit sehr klein. (1/400 Sek., f5.6, ISO 1600, 380 mm)
Michael Simoner
Igel auf der Waage
Also hoben wir ihn auf die Küchenwaage. DER STANDARD war die perfekte Unterlage. (1/160 Sek., f3.5, ISO 2200, 105 mm)
Michael Simoner
Igel auf der Küchenwaage
Alles in allem 294 Gramm – zu wenig, um den Winter draußen zu überleben. (1/160 Sek., f3.5, ISO 1800, 105 mm)
Michael Simoner
Igel auf der Küchenwaage
Die Krallen waren lang und überraschend sauber. (1/250 Sek., f3.5, ISO 5000, 105 mm)
Michael Simoner
Igel auf der Küchenwaage
Wenn er groß ist, wird er bis zu 8000 Stacheln haben. (1/250 Sek., f3.5, ISO 5000, 105 mm)
Michael Simoner
Igel in einer Transportkiste
Ab in die Kiste. So ging es ins Wiener Tierschutzhaus. (1/40 Sek., f5.6, ISO 5000, 40 mm)
Michael Simoner