Pia Scholz
Am 6. Dezember war Scholz das letzte Mal auf Twitch online. Der Stream war bestimmt von den aktuellen Entwicklungen.
Pia Scholz/Twitch

Pia Scholz ist 26 Jahre alt und Content-Creator auf Plattformen wie Twitch und Youtube. Wie viele junge Frauen muss auch die gebürtige Grazerin, die vor ein paar Jahren nach Deutschland gezogen ist, regelmäßig mit Hass im Netz umgehen. Beleidigungen und Drohungen gehören traurigerweise zum Alltag, wie veröffentlichte Zitate von ihr und anderen Influencerinnen beweisen.

Seit rund einem Jahr taucht die junge Frau allerdings immer wieder bei einigen reichweitenstarken Content-Creators als Thema auf. Diese betonen gerne, dass das "Reacten" oder generelle Thematisieren von Shurjoka ein gutes Business sei. Die Content-Plattformen, auf denen diese Formate stattfinden, tun wenig bis gar nichts dagegen, um diese Hasswellen bereits im Keim zu ersticken. Auch für sie sind die Verweilzeiten und Reaktionen ein gutes Geschäft.

Hass im Netz
Eine österreichische Streamerin veröffentlichte Anfang Dezember ein paar Direktnachrichten an sie. Keine Ausnahme, wie man weiß, wenn man Frauen in der Streaming-Szene länger folgt.
Veyla Renée

Boykott

"Shurjoka Meltdown, dreht sie jetzt komplett durch?", "Der Absturz von Shurjoka" oder "MONTE ZERSTÖRT SHURJOKA": Die Videos, die sich auch im Titel mit der jungen Frau beschäftigen, haben auf Youtube zwischen 150.000 und 300.000 Views. Der größte deutsche Twitch-Streamer, Montanablack, der mittlerweile auch einen eigenen Energydrink vermarktet, erzählt in einem seiner Videos, dass er mit Videos zu Shurjoka so viel verdient, dass er die Raten seines Mercedes GLS zahlen kann.

Aber warum und wie ist gerade Pia Scholz so ins Visier großer Content-Creators geraten? Seit 2015 ist die junge Frau im Internet unter ihrem Nickname Shurjoka aktiv. Sie streamt diverse Spiele, äußert sich in ihren Streams aber auch immer wieder zu tagesaktuellen Themen. Sie setzt sich für die Rechte von Frauen und queeren Menschen ein und wurde so immer bekannter.

Sie hatte rund 200.000 Follower auf der Streaming-Plattform Twitch, als sie im März 2023 zum Boykott des Videospiels "Hogwarts Legacy" aufrief. Dabei ging es ihr gar nicht um die Inhalte des Action-Spiels, sondern um die Autorin J. K. Rowling. "Würdest du ein Franchise von einem offen rassistischen Autor unterstützen, der Menschen aufgrund dessen, wie sie geboren wurden, als Kriminelle brandmarkt?", fragte Scholz damals auf Twitter.

Auch andere vertreten diese kritische Meinung der englischen Autorin gegenüber, jedoch ist Scholz eine junge Frau, die sehr vehement ihre Positionen vertritt und wenig Raum für Diskussionen lässt. Damit eckt sie an. Vielen passt das nicht. Sie wollen sich den Spaß am Spiel nicht verderben lassen. Scholz fällt in der Szene und in ersten Reaction-Videos auf.

Pia Scholz / X
Scholz geht nicht in die Defensive, sondern markierte zuletzt "KuchenTV" für die Youtube-Verantwortlichen. Die "Entgleisungen" seien kein Einzelfall.
Pia Scholz/X

Woke

Shurjoka steht für immer mehr Leute für eine woke Bewegung, die vorgeben will, was man konsumieren darf und was nicht. Einer der bekanntesten Youtuber Deutschlands, Erik "Gronkh" Range, erwähnt die Thematik in einem seiner Videos und meint, ob ihm J. K. Rowling nicht einfach egal sein dürfe. Daraufhin wird er auf Social Media als transfeindlich bezeichnet, seine eigene Fan-Base hält allerdings dagegen. Als Schuldige werden Scholz und ihre "Bubble" ausgemacht.

Die Statements von Scholz, sie habe zu dem Zeitpunkt Urlaub gemacht und nichts von dem Video mitbekommen, verhallen im aufgekochten Shitstorm. Sie wird ab jetzt auch als "linksradikal" bezeichnet. Als Reaktion ändert sie ihren Namen auf Twitter in "die ist doch linksradikal". Eine Reaktion, die die emotionale Aufladung der Diskussion verdeutlicht. Noch etwas wird klar: Die Influencer treffen nur indirekt aufeinander, deren Fan-Gruppen jedoch klinken sich gern in die Chats der "Gegenseite" ein und beleidigen ohne das Zutun jener, denen sie eigentlich helfen wollen.

Shurjoka liefert weiter Aussagen, die immer öfter von anderen Streamern und Videoschaffenden aufgegriffen werden. In sogenannten Reaction-Videos reagieren die männlichen Influencer auf Videos von Scholz. Dort macht man sich darüber lustig, dass sie wegen diverser Angriffe fast zu weinen beginnt, ihre Aussagen einfach dumm seien und sie sich sehr wohl in ihrer Opferrolle fühlen würde. Einer tut sich dabei besonders hervor: Tim "KuchenTV" Heldt. Der reichweitenstarke Streamer veröffentlichte zur "Hogwarts Legacy"-Debatte ein sechsstündiges Video, wo er auf die angebliche Doppelmoral von Scholz eingeht. Die Auszeichnung zur Spielerin des Jahres beim deutschen Entwicklerpreis kommentierte Heldt so: Shurjoka sei gar keine "richtige Gamerin". Außerdem warf Heldt ihr toxisches Verhalten und Rufmord vor.

Der Rufmord-Vorwurf bezieht sich auf den durch Casino-Streams bekannt gewordenen Theo "Scurrows" Bottländer. Dieser soll laut Scholz auf der Spielemesse Gamescom 2017 in ihren Ausschnitt gefilmt haben. Kurz darauf veröffentlicht Bottländer ein Video, auf dem der Vorwurf nicht bestätigt wird. Kurz darauf reagiert Scholz mit einem Statement, man habe sich später noch einmal getroffen. Mehrere Youtuberinnen und Youtuber steigen in die Diskussion ein und ergreifen Partei. Viele anonyme Stimmen werden gegen Scholz immer lauter und teilweilse unsachlicher, beleidigender und hasserfüllter.

In den Kommentaren, bei denen es um Scholz geht, melden sich immer häufiger "Fans" der männlichen Streamer. "Ich will Mobbing nicht gutheißen, aber Menschen wie sie haben es nun mal leider verdient", schreibt Paddi. Ein anderer schreibt auf X: "Diese Frau lügt und beschuldigt unnachweislich andere der sexuellen Belästigung, hetzt pausenlos und meint, man muss mit ihr solidarisch sein, nur weil sie Frau ist. Sehr schade." Auch wenn "KuchenTV" und Montanablack in einzelnen Videos extra erwähnen, man könne Scholz schon Kritik zukommen lassen, man solle von persönlichen Beleidigungen aber absehen, ist die heftige Reaktionswelle gegen die junge Frau schon lange am Rollen.

Dabei soll betont werden, dass der "Fall Shurjoka" keine Ausnahme ist. Vor allem das toxische Verhalten gegenüber Frauen nahm über die Jahre zu. Der Uni-Professor Michael Salter schrieb 2017 in seinem Buch "Crime, justice and social media" über das sogenannte Gamergate und die damit eingeführte "Kultur der Angst". Gamergate war eine 2014 breit angelegte Online-Belästigungskampagne, die ausgelöst von Debatten über Sexismus in der Videospielbranche stattfand. Diese Kultur der Angst habe sich über die Jahre im Bereich Gaming, aber auch auf Social Media ausgeweitet.

Das bestätigt auch ein im November 2023 veröffentlichter Bericht der EU-Agentur für Grundrechte (FRA). Dieser zeigt, dass der meiste Onlinehass sich gegen Frauen richtet. Aber auch Menschen afrikanischer Herkunft, Roma und Juden sind betroffen. Das Problem ist, dass beleidigende Kommentare, Belästigungen und Androhung von Gewalt immer noch viel zu leicht durch Moderationstools von Onlineplattformen schlüpfen, wird erklärt.

Gebannt

In den vergangenen Tagen markierte Shurjoka mehrfach die Twitch-Verantwortlichen auf X (vormals Twitter) und postete Videos und Aussagen von "KuchenTV". Vor allem dass ihre Tränen "wie Gleitgel" seien und er aus ihren Aussagen ein live gestreamtes Trinkspiel fabrizierte, sorgte offenbar dafür, dass die Amazon-Tochter Twitch letztlich reagieren musste.

Tatsächlich wird "KuchenTV" am 8. Dezember von der Streamingplattform "gebannt". Als Grund, so lässt Heldt in einem Video am Sonntag auf Youtube wissen, wird "Belästigung anderer aufgrund eines persönlichen Traumas" genannt. Das sei aus den "Fingern gesogen", sagt Heldt, um ihn von der Plattform entfernen zu können. Scholz würde "lügen", und nur durch die ständigen Markierungen von Twitch seien die eben irgendwann "eingebrochen".

Nachdem Scholz jetzt auch seine Sperre auf Youtube fordere, fühlt sich Heldt doppelt angegriffen. Er nehme in seinen Videos nur deshalb Stellung, um auf die Lügen Shurjokas zu antworten. "Warum", fragt Heldt, "willst du meinem Sohn die finanzielle Grundlage entziehen?" Damit spielt er darauf an, dass er finanziell von seinen Videos abhängig ist und ein sogenanntes Deplatforming dafür sorgen würde, dass er kein Geld mehr verdienen kann. Scholz hatte Heldts dreijährigen Sohn ebenfalls in einem Video erwähnt, nämlich dass dieser wohl nicht stolz auf die Videos von seinem Papa wäre, würde er sie schon verstehen können.

Ihr Versuch, ihn zu deplatformen, sei "an Ekelhaftigkeit nicht zu überbieten". In den über 1.000 Kommentaren wird dem Streamer aufmunternd auf die Schulter geklopft. Shorjuka habe "starke Komplexe", und man müsse ihr "die eigenen Waffen vor die Nase halten". Am Montag liefert Heldt noch ein Video, wo er einmal mehr die Aussagen von Scholz eingeht und diese kritisiert.

Geschichte geht weiter

Wie dieser Streit sich entwickelt, wird man in den nächsten Wochen sehen. Sich gemeinsam an den Tisch zu setzen scheint mittlerweile unmöglich. Erst vor wenigen Tagen schrieb Montanablack in den Chat von Shurjoka, ob man nicht einmal persönlich miteinander reden wolle. Nachdem Scholz nicht auf das Angebot reagierte und der Streamer das Wort "Opferrolle" in einem seiner nächsten Kommentare brachte, wurde er im Chat gesperrt.

Mittlerweile häufen sich die Kommentare, etwa auf X, die auf das ungleiche Duell hinweisen. Shurjoka "mental fertigzumachen" sei kein Ziel, das man unterstützen solle, wird geschrieben. Andere bezeichnen die aktuellen Entwicklungen als "Hetze und Hasskampagne". Auch deutsche Politiker fordern mittlerweile von Twitch und anderen Plattformen, hier ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Der Vorwurf, Social-Media-Plattformen würden zu langsam gegen Hass im Netz vorgehen, ist kein neuer. Im Oktober wurde er jedoch erneut konkretisiert. Die EU leitete ein Verfahren gegen X, Meta und Tiktok ein. Der Vorwurf: Die Plattformen würden nicht streng genug gegen verbotene Inhalte vorgehen. Den Unternehmen drohen nun theoretisch Strafen von bis zu sechs Prozent ihres Jahresumsatzes. (Alexander Amon, 12.12.2023)