Oper
Routine rettet den Abend: Ricarda Merbeth übernahm die Rolle der Elektra, die eigentlich von Aušrinė Stundytė hätte dargestellt werden sollen.
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Auffrischung des Repertoires geht mitunter paradoxe Wege. Die zeitgenössischere Elektra-Inszenierung, jene von Uwe Eric Laufenberg aus der Staatsopern-Ära von Dominique Meyer, ist Geschichte. Somit auch der Fahrstuhl, in dem Klytämnestra mit durchgeschnittener Kehle liegt, oder der Kohlenkeller, in dem gefoltert wird.

Die aktuelle Direktion ging zwecks Erneuerung allerdings zurück in die Geschichte und reaktivierte Harry Kupfers Elektra-Sicht von 1989. Düster ist auch diese Version, allerdings ebenso imposant in der Themensetzung: Es geht um Diktatur quasi über Epochen hinweg. Insofern passt das leider immer mehr auch ins Heute, bedenkt man die durch Europa schleichende Infragestellung demokratischer Selbstverständlichkeiten.

Geköpfte Statue

Konkret: Elektra wohnt unter der geköpften Riesenstatue ihres ermordeten Vaters Agamemnon. Das Monumental-Despotische lässt sie und die anderen Figuren mit all ihren speziellen Ängsten, Wünschen und Besessenheiten ohnmächtig und schicksalsgefangen erscheinen. Man erinnert sich dabei da und dort an die tiefenpsychologische Inszenierung von Krzysztof Warlikowski bei den Salzburger Festspielen. Schließlich beeindruckte in ihr als Elektra Aušrinė Stundytė, die nun in Wien zu hören sein sollte.

Sopranistin erkrankte

Ob die Litauerin unter dieser monumentalen Statue so dynamisch wie in Salzburg auch Grenzbereiche des Ausdrucks aufsuchen will, ist allerdings eine Frage, die vorerst offenbleiben muss. Die Sopranistin erkrankte; an ihrer statt sang immerhin Ricarda Merbeth. Sie war bereits 2020 Elektra, als die Kupfer-Version reanimiert wurde.

Merbeth meistert den Kampf mit der expressiven Partie respektabel. Den Kern dieses durch Mordgelüste angetriebenen und ins Hochdramatische raufkomponierten Charakters vermittelt sie eindringlich. Das Kräftezehrende, die Anstrengung? Es ist zu hören. Es verschmilzt aber mit Elektras verzweifeltem Wesen im Sinne der Glaubwürdigkeit.

Es hilft auch, dass der britische Dirigent Alexander Soddy mit dem Staatsopernorchester – ohne die Sänger und Sängerinnen zuzudecken – sowohl idyllische Zwischentöne wie auch fieberhafte Entladungen behutsam und doch präsent herauszumeißeln verstand. Die schreckliche Familienaufstellung profitierte davon: Als Orest souverän Günther Groissböck, ebenso Camilla Nylund als Chrysothemis. Als Klytämnestra zeigte Michaela Schuster auch darstellerisch interessante Facetten. Solide Thomas Ebenstein als Aegisth, für den Richard Strauss nur ein kurzes Opernleben vorsah.