Jon Fosse traf in Stockholm am Tag nach seiner Nobel-Lecture Schüler.
Jon Fosse traf in Stockholm am Tag nach seiner Nobel-Lecture Schüler.
via REUTERS/TT NEWS AGENCY

Laugenfisch ist eine delikate Angelegenheit. Seit hunderten von Jahren spießen Norweger dafür Fische auf Holzstecken, um sie zu trocknen. Vor dem Verzehr muss der Fisch wieder gewässert werden, wodurch er eine gelatineartige Konsistenz annimmt. Jon Fosses Reihe Heptalogie kommt einem ein bisschen vor wie ein solches Laugenfischgericht. Nun ist der dritte und letzte Band Ein neuer Name mit den Teilen VI bis VII erschienen – rechtzeitig zur Verleihung des Literaturnobelpreises an den 64-Jährigen vergangene Woche.

Laugenfisch spielt auch eine wichtige Rolle im Buch. Nicht nur, weil darin Weihnachten vor der Tür steht und Fosses Protagonist Asle jedes Jahr im Advent mit seinem Nachbarn Åsleik Laugenfisch isst. Sondern das Zubereiten des Gerichts ist auch einer der wenigen konkreten aktuellen Vorgänge, die die Figur Asle ab und zu aus dem Erinnern reißen.

Ein Maler mag nicht mehr

Die Handlung steigt mitten in das aus den Vorgängerbänden bekannte Setting ein – die Südwestküste Norwegens, sparsame, doch freundliche Beziehungen zu wenigen Nächsten –, doch ist die Lage betrübter denn je. Was zum einen daran liegt, dass Asle, ein Maler, nicht mehr malen mag. Es drängt ihn nicht mehr. Andererseits ist sein Freund, ebenfalls ein Maler namens Asle, im Krankenhaus. Seit Wochen ruft unser Protagonist schon dort an und erfährt jedes Mal von den Schwestern, es wäre besser, wenn er ihn nicht besuchte, da der Patient Ruhe brauche – das wird kafkaesk.

Was nur weiter das Rätsel befeuert, wie die beiden Asles denn tatsächlich zueinander stehen. Darüber kann man sich auf den 300 Seiten nämlich das Hirn zerbrechen. Sind es bloß zwei Freunde, die eben viele Eigenschaften, eine Lebensliebe und einen Pferdeschwanz miteinander teilen? Oder sind es nicht eher – und viel mystischer! – zwei Lebensverläufe ein und desselben Menschen, wobei Asle 1 den Absprung vom Alkohol geschafft hat und sein Leben mit der Frau teilen konnte, die er liebte, und Asle 2 zweimal geschieden ist, kaum Kontakt mit seinen Kindern hat und am Suff stirbt, während Asle 1 seinen Hund hütet?

Vom Autor darf man sich wenig Hilfe erwarten. In seiner Nobel-Lecture spannte er vorigen Donnerstag auf lediglich sechs Seiten den Bogen von seiner Angst als Schüler, vor der Klasse vorzulesen, die ihn zum Schreiben gebracht habe, über die Bedeutung der Anweisung "Pause" in seinen Stücken bis zu jenem Werkstatteinblick, dass, wenn er schreibe, er nie etwas vorbereite und plane. "Ich fahre fort, indem ich zuhöre", raunte Fosse. Worauf er da hört? Hinter den geschriebenen Worten gebe es eine "stumme Sprache" – die zum Beispiel nahelege, beide Asles könnten eins sein.

Wiederholungen als Schlüssel

Aha! Wie dem auch sei, jedenfalls ist in Ein neuer Name alles fein miteinander verquickt – und genau diese menschliche Unschärfe ist, was den Reiz Jon Fosses ausmacht. Wobei seine Verweigerung von Punkten als Satzzeichen zu einer exzessiven Verwendung der Wörtchen "und dann" führt, die man jedem Volksschüler erst mal austreiben würde. Und doch entwickelt das Sog: Wie Asle 2 damals die Großmutter, als sie starb, besuchte; wie er beim Galeristen Beyer erste Erfolge feierte; wie er als Student seine erste Frau ohne Überzeugung geheiratet hatte, um sie und den Sohn alsbald für eine Neue zu verlassen; wie er dann zur Untermiete bei einer Lehrerin einzog, die sich aufreizend von ihm malen ließ.

Immer wieder kreisen die 300 Seiten um die gleichen wenigen Motive und Situationen. Drücken in Fosses Stücken die Pausen das "Unsagbare" aus, so tun dies in seiner Prosa die Wiederholungen. Hier, wo repetitives Erinnern das im Geist konservierte Leben neu befeuchtet, um ihm Nährwert zu entlocken, treffen sich die Literatur und der Laugenfisch. (Michael Wurmitzer, 13.12.2023)