Es war die wohl mutigste Ansage im türkis-grünen Regierungsprogramm: Österreich soll bis 2040 klimaneutral werden. Wie die Regierung das Ziel konkret erreichen will, bleibt jedoch ein großes Fragezeichen: Das Klimaschutzgesetz, das einen entsprechenden Reduktionspfad beinhalten soll, ist seit bald drei Jahren ausständig. Und auch im Nationalen Energie- und Klimaplan, im Rahmen dessen die Regierung ihre Klimaschutzvorhaben kundtun muss, gibt es eine große Lücke: Das EU-Klimaziel sieht vor, dass die Republik ihre Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 48 Prozent reduziert. Mit allen geplanten Maßnahmen geht sich derzeit allerdings nur eine Reduktion von 35 Prozent aus.

Windräder drehen sich im Burgenland vor einem bewölkten Himmel.
Vor allem die Windenergie muss ausgebaut werden, damit sich Klimaneutralität bis 2040 ausgeht.
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Kann es sich dann überhaupt ausgehen, dass Österreich bis 2040 klimaneutral wird? Ja, sagt eine Gruppe von Expertinnen und Experten. Im Rahmen des Projekts "Net Zero 2040" haben sich die Universität für Bodenkultur (Boku), das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) und die Österreichische Energieagentur (AEA) zusammengetan, um herauszufinden, was für den Umstieg notwendig ist. In vier Szenarien wurde berechnet, wie die Energiewende gelingen kann. Sie unterscheiden sich in der Energienachfrage, also darin, wie viel Auto gefahren wird oder wie groß der Wohnraum ist; und darin, wie viel Energie importiert wird.

Es geht sich aus – theoretisch

Das Fazit der Analyse: Rein theoretisch kann Österreich bis 2040 klimaneutral werden – und müsste dafür auch nur ein wenig mehr tun, als die Republik im Rahmen der EU-Klimaziele so oder so zugesichert hat. Damit das gelingt, seien jedoch sehr rasche und tiefgreifende Veränderungen auf struktureller, technologischer, institutioneller, gesellschaftlicher und individueller Ebene notwendig, hieß es bei der Präsentation am Donnerstag. Im Vergleich zum Status quo müsste der Energieverbrauch im Land bis 2040 um 30 bis 40 Prozent sinken. "Die Emissionen müssen sehr, sehr stark fallen", erklärt Johannes Schmidt von der Boku.

Das Forschungsteam ging davon aus, dass die Industrieaktivität 2040 eine ähnliche Größenordnung haben wird wie heute, und sehen Potenziale daher in der Steigerung der Energieeffizienz. Für viele Sektoren würde das eine Elektrifizierung bedeuten, sagt Schmidt. In Haushalten müssten Wärmepumpen Gas und Öl ablösen; die E-Mobilität deutlich ausgebaut werden. In diesem Bereich könne die gleiche Fahrleistung mit einem Drittel der Energie erreicht werden, rechnet der Wissenschafter vor. Insgesamt müsse die fossile Infrastruktur stark zurückgebaut werden. Im Individualverkehr bedeute das einen Umstieg auf E-Mobilität, Carsharing und Öffis; synthetische Treibstoffe fänden hingegen in der Luft- und Schifffahrt und in der Industrie Anwendung. Das heißt aber auch: "Wir brauchen mehr Strom." Daher müsse jetzt entschieden werden, ob Erneuerbare im Land stark ausgebaut oder deutlich mehr Energie aus dem Ausland importiert werden soll.

Es wird noch zu wenig getan

Bisherige Bemühungen der türkis-grünen Regierung würden für das Erreichen jedenfalls nicht genügen, so Schmidt. So müsste in allen Szenarien die erneuerbare Stromerzeugung in den kommenden sechs Jahren stark wachsen – vor allem im Bereich der Windkraft. Insgesamt müsste der Ausbau um 60 Prozent schneller gelingen, als es im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz vorgesehen ist. "Für das System ist Windenergie besser als Photovoltaik", sagt Martin Baumann von der Energieagentur und erklärt: Der Speicherbedarf sei geringer, die Energie über das Jahr gleichmäßiger verfügbar. Hier brauche es mehr Planungssicherheit und eine Energieraumplanung, ergänzt der Experte. "Wir werden nicht den Luxus haben, große Energiepotenziale liegenzulassen."

Die Forscherinnen und Forscher waren bei der Umsetzung des Projekts nicht allein: Im Rahmen von Workshops wurden mit Stakeholdern aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zentrale Treiber identifiziert, die die Energiewende ermöglichen. Beteiligt waren unter anderem Personen aus dem Kabinett von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), Interessenvertretungen und Jugendorganisationen. Ohne eine breite Unterstützung vonseiten der Bevölkerung, aber auch ohne soziale Treffsicherheit seien die gravierenden Veränderungen nicht zu schaffen, hieß es am Donnerstag.

Wie realistisch ist eine solche Transformationen angesichts der realpolitischen Situation im Land wirklich? "Wenn man die Dekarbonisierung wirklich betreiben möchte, ist es sehr möglich", antwortet Baumann. Letztlich gehe es darum, was man bereit sei zu tun. "In Summe zeigt unsere Studie ermutigende Ergebnisse", ergänzte Hermine Mitter von der Boku. In den vergangenen Jahren habe sich das System schon verändert: Bei Photovoltaik gab es einen großen Sprung nach oben. National gelang eine Treibhausgasreduktion, und zugleich ist auch die Wirtschaft gewachsen. (Nora Laufer, 14.12.2023)