Mehrere Container sind an einem Hafen gestapelt.
Das geplante Lieferkettengesetz sieht vor, dass Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn in ihren Geschäftskette Menschenrechte oder Umweltstandards verletzt werden.
APA/dpa/Jonas Walzberg

Am Donnerstagvormittag verkündeten Vertreter der EU die Einigung zur "Sorgfaltspflichtrichtlinie", auch Lieferkettengesetz genannt. Die Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Mitgliedsstaaten hielten die ganze Nacht an. Die Einigung muss nun noch vom EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten abgenickt werden, das gilt aber als reine Formsache. Kritik kommt von Unternehmerseite.

Worauf hat man sich geeinigt? Unternehmen sollen verpflichtet werden, gegen Menschenrechtsverstöße wie Kinder- oder Zwangsarbeit und Umweltverschmutzung in ihren Lieferketten vorzugehen, teilten der Europäische Rat und das Parlament mit. Verantwortlich sind die Unternehmen für ihre Wertschöpfungskette, also auch für Geschäftspartner und teilweise auch für nachgelagerte Tätigkeiten wie Vertrieb oder Recycling. Eine zivilrechtliche Haftung, Strafen und Schadenersatzansprüche bei Missachtungen sind ebenfalls geplant. Damit wäre das europäische Lieferkettengesetz verschärfter als das deutsche, das seit Anfang des Jahres in Kraft ist.

Zivilrechtliche Haftung und Klimaplan

Betroffene sowie Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen können in einem Zeitraum von fünf Jahren Klage erheben. Zudem sollen Verfahrenskosten für Kläger begrenzt werden. Was die EU-Pläne ebenfalls von dem deutschen Gesetz unterscheidet, ist der Klimaaspekt. Größere Unternehmen müssen demnach einen Klimaplan erstellen, der im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens von 2015 steht.

Die neuen Regeln sollen für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern werden in die Verantwortung genommen, wenn sie einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro in der EU erzielen. Der Finanzsektor soll zunächst von dem Lieferkettengesetz ausgeschlossen sein, hier soll aber noch nachjustiert werden können. Nach Beschluss des Gesetzes haben EU-Staaten zur Umsetzung zwei Jahre Zeit.

Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es auf Anfrage des STANDARD, dass die Auswirkungen des Verhandlungsergebnisses auf Österreich genau geprüft werden und rechtzeitig vor der Abstimmung im Rat eine Position in der Bundesregierung festgelegt werde. Im vergangenen Dezember enthielt sich Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) bei der Abstimmung des EU-Rats, weil die türkis-grüne Regierung nicht auf einen Nenner kam. Ein Streitpunkt war, ob es die erwähnten Ausnahmen für den Finanzsektor geben sollte.

"Das ist die nächste bürokratische Lawine"

Kritik an den EU-Plänen äußerte Georg Knill, Chef der Industriellenvereinigung (IV), gegenüber der APA. "Das ist die nächste bürokratische Lawine, die gerade auf uns losbricht", bemängelte er. Zudem stehe gerade die österreichische Industrie voll hinter den Pariser Klimazielen, fehlende politische Unterstützung behindere aber die Umsetzung. "In diesem Fall hat es die Weltpolitik nicht geschafft, die UN-Nachhaltigkeitsziele global umzusetzen", nun sollen es die Unternehmen richten, sagte Knill. Da es nicht nur um direkte Lieferanten gehe, wisse er nicht, "wie das gehen soll". Grundsätzlich begrüße man die Nachhaltigkeitsziele, "aber das ist in diesem Fall nur gut gemeint und nicht handhabbar, nicht administrierbar", insistierte Knill.

Auch bei deutschen Wirtschaftsvertretern sorgte die Einigung für Unruhe. Der Kompromiss bedrohe "Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, da sich Unternehmen aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken aus wichtigen Drittländern zurückziehen könnten", kritisierte etwa die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes deutscher Industrie (BDI) Tanja Gönner. Menschenrechten und Umwelt würde durch den Rückzug europäischer Unternehmen kein guter Dienst erwiesen, hieß es in einer Aussendung.

Zuspruch von SPÖ und Grünen, Kritik von Umwelt-NGO

Die Sprecherin für Außenpolitik der SPÖ Petra Bayr begrüßt die Einigung. "Das ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Ausbeutung von Menschen und Natur durch Konzerne auf der ganzen Welt", sagte sie in einer Aussendung. Niemandem außer Konzernen sei geholfen, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter ausgebeutet werden. Damit setze man auch einen Anreiz, Produktion wieder in Europa durchzuführen, erklärte sie.

Bayr kritisiert aber die Ausnahme für den Finanzsektor: "Es gibt keinen Grund, einzelne Wirtschaftssektoren von der Verpflichtung zu Umwelt- und Menschenrechten auszunehmen." Zudem forderte sie rasches Handeln der Bundesregierung. Sie erwarte, dass die Umsetzung des Lieferkettengesetzes sofort vorbereitet wird, damit es nach dem formalen Beschluss der EU so schnell wie möglich umgesetzt werden kann.

Auch die Grüne Wirtschaft, eine Unternehmerorganisation der Grünen, befürwortet das Lieferkettengesetz. "Viele kleine österreichische Unternehmen produzieren lokal und fair und hatten bis jetzt mit unlauterer Konkurrenz zu kämpfen. Das ändert sich mit dem Lieferkettengesetz: Es ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem fairen Wirtschaftssystem", sagt Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, in einer Aussendung.

Enttäuscht zeigt sich hingegen die Umweltorganisation Global 2000. "Statt weitere Klimazerstörung tatsächlich zu verhindern, wurde das Pariser Klimaabkommen aus dem Anhang gestrichen. So fehlt die Verknüpfung mit zivilrechtlicher Haftung", kritisiert Anna Leitner, Expertin für Ressourcen und Lieferketten bei Global 2000. Ein Hoffnungsschimmer sei aber der verpflichtende Klimaplan für größere Unternehmen. (Noah May, 14.12.2023)

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