In vielen Kirchen bleiben die Bänke leer. Die Deutungshoheit der katholischen Kirche hat abgenommen, Vertrauen haben am ehesten ÖVP-Wählerinnen.
imago stock&people via www.imago

Nur 21 Prozent der österreichischen Männer und gar nur zwölf Prozent der Frauen glauben, "dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gibt". Sogar unter den Menschen, die sich selbst als in der Kirche engagiert bezeichnen, sagen nur 60 Prozent, dass sie an Jesus Christus als Gott glauben. Das ergibt sich aus einer aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD. In Anlehnung an eine vergleichbare Forsa-Umfrage in Deutschland wurde dabei erhoben, welche Vorstellung sich die österreichische Bevölkerung vom Göttlichen macht. In Deutschland antworteten auch nur 19 Prozent, dass sich Gott in Jesus zu erkennen gibt.

16 Prozent glauben hierzulande an Jesus Christus. 45 Prozent glauben, "dass es ein höheres Wesen oder eine geistige Macht gibt" (in Deutschland glauben das 29 Prozent), und 23 Prozent der österreichischen Bürgerinnen und Bürger (im Vergleich zu 33 Prozent der Deutschen) sagen, dass sie gar nicht glauben, "dass es einen Gott, irgendein höheres Wesen oder eine geistige Macht gibt". 16 Prozent sagen, sie wüssten nicht, was sie glauben sollen.

Junge Atheisten

Die atheistische Haltung – also die Ablehnung der Idee eines göttlichen Wesens – ist besonders unter Jüngeren, unter Menschen mit höherer Bildung, unter Wienerinnen und Wienern sowie in der Wählerschaft von Grünen, Neos und SPÖ verbreitet. Auch jene, die erklären, aus der Kirche ausgetreten zu sein, sagen überdurchschnittlich häufig, dass es für sie kein höheres Wesen gibt. In der ÖVP-Wählerschaft dagegen ist der Glaube an Jesus Christus immer noch relativ hoch – allerdings auch nur doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt.

Meinungsforscher David Pfarrhofer von Market sagt dazu: "Jene, die an Jesus Christus oder immerhin an irgendein göttliches Wesen glauben, meinen auch in besonderem Maße, dass die Kirche die richtigen Antworten auf die Fragen unserer Zeit hätte. Aber das ist eine kleine Minderheit. Über alle Staatsbürgerinnen und -bürger betrachtet, traut nur jeder Fünfte der katholischen Kirche; während drei Viertel meinen, dass die Kirche für die Menschen heute die richtigen Antworten hätte." Auch in dieser Fragestellung zeigt sich, dass das Vertrauen in die Deutungshoheit der katholischen Kirche noch am ehesten in der ÖVP-Wählerschaft zu finden ist – am wenigsten bei Anhängerinnen und Anhängern von Neos, Grünen und Freiheitlichen.

Der Kern schrumpft

Dass die österreichische Bevölkerung sich nicht von der Kirche leiten lassen will, ist übrigens nicht ganz neu: DER STANDARD lässt seit 15 Jahren erheben, ob die katholische Kirche "für die Menschen in unserer Zeit die richtigen Antworten" habe – und schon 2008 sagten 68 Prozent, dass das kaum oder gar nicht der Fall wäre. Damals aber meinten noch sieben Prozent, dass die Kirche ganz bestimmt die richtigen Antworten hätte, jetzt ist dieser Kern der gläubigen Katholiken auf drei Prozent geschrumpft.

Was die STANDARD-Umfrage – ähnlich wie die Forsa-Vergleichsumfrage in Deutschland (veröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) – ebenfalls nahelegt: Menschen, die ein Ehrenamt in "einem Verein, einer Partei oder einer Organisation über die reine Mitgliedschaft hinaus" bekleiden, bekennen sich überdurchschnittlich häufig zu Christus und nennen auch besonders kirchliches Engagement als Teil ihres Glaubensverständnisses. 34 Prozent sagen, dass sie irgendwo ehrenamtlich tätig sind – insbesondere Männer und Bewohnerinnen und Bewohner kleiner Gemeinden (wo etwa die freiwilligen Feuerwehren und andere Organisationen besonders aktiv sind). (Conrad Seidl, 18.12.2023)