Warten auf Godot Josefstadt Peymann
Auch die kleinen Erfolge sind rar: Wladimir (Bernhard Schir) und Estragon (Marcus Bluhm) versuchen sich, hinter diesem Baum zu verstecken.
APA/PHILINE HOFMANN

Seit 70 Jahren fragt sich die Theaterwelt: Wer verdammt noch mal ist Godot? Dieser ominöse, scheinbar wichtige, aber nie, nie erscheinende Typ aus Samuel Becketts Theaterstück Warten auf Godot. In dem 1953 uraufgeführten Drama sehen ihm zwei Herren namens Wladimir und Estragon allabendlich auf einer Landstraße sehnlich entgegen. Aber nichts, Godot taucht nicht auf.

Ist es Gott selbst, der erwartet wird, um das angeranzte Duo aus seinen Existenzen zu erlösen? Ein Heiland, der ihnen den Strick erspart, den sie sich trotz weitgehend guter Laune öfter mal um den Hals legen wollen? Es könnte aber genauso gut einfach nur das große Nichts sein, das sie erwartet; immerhin reimt Beckett (bzw. die deutsche Übersetzung von Elmar und Erika Tophoven) auf den Namen Godot absichtsvoll den lapidaren Ausruf: "Soso!" Ein andermal ist es bloß "der Wind in den Weiden" gewesen, den die beiden für ein Ankommensgeräusch hielten.

Sonne, Mond und Sterne

Auch eine nach dem Atomkrieg weitgehend ausgestorbene Welt meinte man in diesem zu den Hauptwerken des absurden Theaters zählenden Text ausmachen zu können. Von alldem ist in Claus Peymanns Neuinszenierung im Theater in der Josefstadt in Wien etwas zu spüren. "Landstraße, ein Baum, Abend" – diese Regieanweisung überträgt Bühnenbildner Paul Lerchbaumer in ein zeitlos-märchenhaftes Setting, in dem über einer von Papierwänden gesäumten Asphaltstraße sich Mond samt Sternen und Sonne golden abwechseln.

Patina und viel Weißclownstaub tragen indes die Figuren am Leib. Wladimir (Bernhard Schir) und Es­tragon (Marcus Bluhm) erscheinen in Reminiszenz an die von Beckett bewunderte Komik eines Charles Chaplin oder Buster Keaton als expressionistisches Tramp-Duo, als Underdogs, denen nichts geblieben ist als ihre eigenen Manieren. Mit traumwandlerischer Sicherheit in seinen Blicken und pantomimischen Gesten ficht Schirs Wladimir die vielen kleinen Streitigkeiten mit seinem Freund aus. Eine Freundschaft, zusammengekittet aus Liebe und Hass und Abhängigkeit wie eine alte Ehe.

Teuflische Dompteur

Man schaut ihnen gern zu, wie sie mit Vorhaltungen ihrer ramponierten Körperhygiene wegen (schmutzige Füße, Mundgeruch) die Zeit totzuschlagen versuchen. Und wie rasch sie vom unerbittlichen Wutanfall flugs in süße Tonlagen wechseln, weil sie auf diesem einsamen Planeten (und sei er auch nur geträumt) ohneeinander nicht auskommen können.

Und es gibt mit Pozzo und Lucky zwei weitere Vagabunden, die zweimal das "lauschige Plätzchen" an der Landstraße queren. An diesen beiden Männern manifestiert sich das Dilemma menschlichen Überlegenheitsstrebens. Sie verkörpern das ultimative Herr-Knecht-Verhältnis. Treibt doch Pozzo, den der in Österreich vorwiegend aus Fernsehfilmen bekannte Stefan Jürgens als teuflischen Dompteur spielt, seinen Begleiter mit der Peitsche und am Strick vor sich her. Der junge Schauspieler Nico Dorigatti legt in der Rolle dieses geknechteten Lucky eine bemerkenswerte "Denkübung" hin, so perfide und rätselhaft, dass allen angst und bang wird und sie das Denken schnell wieder abstellen.

Hitler-Nummer

An diesen beiden finden die Untergangskandidaten Wladimir und Estragon überraschend Gefallen, imitieren sogleich genussvoll das Spiel mit der Macht, was in letzter Konsequenz zu einer kurz aufblitzenden Hitler-Nummer führt und die menschliche Verderbtheit brühwarm serviert.

Der zweieinhalbstündige Premierenabend, dem überraschenderweise auch Peymanns einstiger Berliner Intendantennachbar Frank Castorf beiwohnte, verliert nach der Pause an Elan, sodass das Clownspiel ­zunehmend einer nostalgischen Übung gleicht, auch dann, wenn Peymann beim Stichwort "die Welt, ein Massengrab" kurz Kriegsgeheul aufdrehen lässt. Zuvor waren da Vogelgezwitscher und Wind, elementare Weltbausteine, wie sie zu den Handke-Inszenierungen Peymanns aus seiner Zeit als Burgtheaterdirektor (1986–1999) gehört haben.

Nach Der König stirbt 2021 in den Kammerspielen hat Peymann hiermit seine neu entdeckte Liebe zum absurden Theater ein weiteres Mal beglaubigt. Der heftig beklatschte Abend ist ein Gruß aus vergangener Zeit, als solcher aber stimmig. (Margarete Affenzeller, 16.12.2023)