Burgtheater Simons Revolutionsstück Ofczarek Maertens
Akrobat schöön: Der lebensmüde Revolutionär und Berufsclown Danton (Nicholas Ofczarek, Mi.) nimmt Abschied von der politischen Manege. Rechts hinten: seine sträflich vernachlässigte Frau Julie (Annamária Láng).
Matthias Horn

Die wässrige Traurigkeit in den Augen von Weißclowns hat einen besonderen Grund: Niemand glaubt ihnen, keiner folgt ihnen aufs Wort. Und so resignieren sie. Im Wiener Burgtheater, wo man Dantons Tod gibt, hat Regisseur Johan Simons das Revolutionsstück des Arztes und Aufrührers Georg Büchner als Requiem inszeniert, als Abschiedsmesse für ein, zwei Handvoll Clowns. Ein peinigender Befund, jedoch mit höchster Überzeugungskraft argumentiert.

Denn das Geschäft dieser Spaßmacher a.D. hat schon bessere Zeiten gesehen. Es ist die Politik der Französischen Revolution. Deren Macher, lauter Phrasendrescher, dabei ehrliche Makler der Vernunft, haben Hunger. Es reizt sie die Gier auf immer neue Köpfe, sachkundig abgetrennt von der Guillotine.

Vor einem Halbrundhorizont glänzt ein schlüpfriger Plastikboden (Bühne: Nadja Sofie Eller). Über ihn schlurfen und trippeln ein paar zu Tode ermattete Berufsempörer. Da ist der Genussmensch Danton (Nicholas Ofczarek), ein hoher, erloschener Vulkan. Seine Clown-Freunde teilen mit ihm die nämliche Freude an gestreifter Kleidung (famose Kostüme: Greta Goiris). Ofczareks Charlie-Rivel-Schuhe hindern ihn an der Fortbewegung. Akrobat schöön!

Sein Widersacher heißt Robespierre (Michael Maertens). Den Advokatenrock hat er nur halb angezogen, die Brauen ragen hoch. Dieser Wortführer des Terrors scheint bei Charlie Chaplin in die Schule gegangen.

Examen verpasst

Doch Gott - oder dem Höchsten Wesen - sei es geklagt: Er muss beim Clownsexamen durchgefallen sein. Jetzt zieht er die Sätze über "den Despotismus des Terrors" salbungsvoll hoch. Ein Hans Wurst aus dem Geist der Selbstkasteiung. Ein Wortklauber und Possenmacher, der sich am Mephistopheles namens St. Just (Jan Bülow) anlehnen muss, wenn ihn die eigene Weinerlichkeit anficht. Eine in die Gefilde des Wahnsinns schnurstracks überleitende Karikatur.

Dantons Tod Burgtheater 
Michael Maertens und Jan Bülow als Robespierre und St. Just.
Matthias Horn

Das handelnde Subjekt der Revolution, die Masse, das Volk, es hat sich inzwischen aufgelöst. Aus dem polierten Souffleurkasten kriecht alle Augenblicke ein Zaungast als Ersatzdienstleister (Ole Lagerpusch). Er ist das Volk, mitsamt aufgemalten Krokodilstränen. Dieser Souffleur darf Gleichnisse von Heiner Müller aufsagen: von Menschen, die Puppen sind und sukzessive alle ihre Gliedmaßen verlieren.

Während das Verhängnis seinen Lauf nimmt, gibt Simons den Zuschauern die politischen Sachfragen als Zirkusrätsel auf. An der Wand sind Klappsessel angebracht. Ehrenplätze für Gaffer, die, anstatt eine bessere Welt zu erschaffen, sich lieber am Unglück anderer weiden. Die Stelle des Subjekts ist in der Geschichte endgültig vakant geworden.

Edward-Munch-Schrei

Spärlich bevölkert wird der Saal von Gliederpuppen: den Frauen der Revolutionäre. Da ist Lucille (Marie-Luise Stockinger), die Gemahlin des jungen Desmoulins, eine Ersatz-Marianne in den Farben der Tricolore. Ihr Mund erstarrt zum Munch-Schrei, ihr Auge glänzt im Wahnsinn. Die Grisette der Marion (Andrea Wenzl) ist eine berührende Episodenfigur. Dantons Gattin Julie (Annamária Láng) trägt die rote Nase ihres Mannes.

Büchners Abgesang auf die Revolution enthält eben auch eine gigantische Verlustanzeige. Während die Jakobiner in Fraktionen zerfallen und einander bis aufs Fallbeil bekämpfen, bleiben die Frauen neben ihnen auf der Strecke. Die pathostrunkene Formel von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" sperrt die Schwestern aus. Es gehört zu den vielen Vorzügen von Simons‘ szenischer Denkübung, die Marginalisierung der Frauen in Bilder zu übersetzen: in das Dehnen und Gliederstrecken eines mechanischen Balletts.

Dantons Tod Burgtheater
Während die Jakobiner in Fraktionen zerfallen, bleiben die Frauen neben ihnen auf der Strecke.
Matthias Horn

Der Ausgang des Krieges zwischen Tugend (Robespierre) und philosophischer Genusssucht (Danton) im Jahr 1794 steht von vornherein fest. Für die Dauer einer kurzen Unterredung bilden die Antipoden eine symbolische Fahrgemeinschaft. Sie halten die Fragmente eines Fahrrads in Händen - und ergeben nolens, volens gemeinsam ein Tandem.

Das Nölen des einen (Maertens) ist das raue Gejammer des anderen (Ofczarek) wert. Aber wer wüsste schon zu sagen, was im Inneren von Clowns vor sich geht. Man müsste ihnen zur Klärung dieser Frage die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken aus den Hirnfasern zerren. So lautete Büchners Vorschlag. Im Wiener Burgtheater rennen die zum Tode Verurteilten gegen das unerbittliche Rotieren der Drehbühne an.

Clowns sind auch deshalb furchtbar komisch, weil sie keine Chance haben. An ihrer statt brechen die Frauen in die Zukunft auf: drei Parzen, mit nichts als Text von Heiner Müller im Gepäck. Für diese Conclusio einer famosen Produktion waren nicht alle Wienerinnen und Wiener in der nämlichen Weise aufnahmebereit. (Ronald Pohl, 17.12.2023)