Will seine Zustimmung zur weiteren finanziellen Unterstützung der Ukraine nur geben, wenn die EU alle einbehaltenen Gelder für Ungarn loseist: derungarische Premier Viktor Orbán.
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Eine der wichtigsten Wahlen im kommenden Jahr ist jene zum EU-Parlament, die Anfang Juni in allen 27 Mitgliedsstaaten abgehalten wird. Trotzdem ist sie nicht gerade ein Straßenfeger für die EU-Bürgerinnen und -Bürger. Die Beteiligung ist in den meisten Mitgliedsstaaten traditionell gering, das Interesse an den Beschlüssen im fernen Brüssel und Straßburg eher mäßig. Die EU-Skepsis ist in einigen Staaten – etwa in Italien oder in Tschechien – hoch, in Österreich ist sie am höchsten. 22 Prozent der Befragten hierzulande sehen die Union laut der aktuellen Eurobarometer-Umfrage klar negativ. Zwischen Neusiedler See und Bodensee genießt man zwar ganz selbstverständlich die Vorteile der Mitgliedschaft, schimpft aber gerne auf Brüssel, wenn es um Regulierungen und "Bürokratie" geht. Dass "wir alle" Europa sind, hat sich bis nach Österreich noch nicht so durchgesprochen.

Allerdings muss man auch zugestehen: Leicht macht es einem die EU nicht, sie zu lieben. Die Gesetzwerdung ist kompliziert, manche Regelungen sind schlicht unverständlich – und allzu oft hat man den Eindruck, so manches gehe nicht mit rechten Dingen zu. Streng zu den Schwachen, allzu schwach gegenüber denen, die sich als vermeintlich Starke präsentieren: Das fällt vielen Menschen zur EU ein, die sich neben ihren Alltagstätigkeiten und Sorgen nur gelegentlich mit den Feinheiten europäischer Diplomatie beschäftigen.

Orbáns Dominanz beim EU-Gipfel

Als jüngstes Beispiel dafür kann der eben zu Ende gegangene EU-Gipfel dienen: Einmal mehr war dieser dominiert vom großspurigen Auftreten des ungarischen Premiers Viktor Orbán. Während der Rechtsausleger und stolze Vertreter einer "illiberalen Demokratie" daheim Stück für Stück den Rechtsstaat filetiert, sah man in Brüssel Fortschritte – bloß weil er in einem Punkt nachgegeben hatte.

"Belohnt" wurde das mit zehn Milliarden Euro – einem Teil jener EU-Mittel, die eingefroren worden waren, auf dass Ungarn die Rechtsstaatlichkeit in seinem Land restauriere. Dass er tags darauf gnädig den Saal verließ, damit die anderen 26 Mitgliedsstaaten für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine stimmen konnten – und der niederländische Premier Mark Rutte dies auch noch fast euphorisch feierte –, ist für Nicht-Connaisseure feiner EU-Diplomatie irritierend.

Und Orbán legte noch nach: Seine Zustimmung zur weiteren finanziellen Unterstützung der Ukraine will er nur geben, wenn die EU alle einbehaltenen Gelder für Ungarn loseist. Mitzahlen bei der Ukraine-Hilfe muss es auch nicht, hier denken Insider schon über weitere diplomatische Kniffe nach.

Für Brüssel-Insider mögen dies ganz normale Vorgänge sein, um die man kein weiteres Aufheben machen muss. Es kann sich auch um reinen Zufall handeln, dass die Themen "EU-Geld für Ungarn" und "Ukraine" auf diesem Gipfel zusammenfielen. Für Außenstehende wirkt die EU dabei aber schwach und manipulierbar – wie Wachs in den Händen narzisstischer Populisten. Das ist ein fataler Eindruck, auch im Hinblick auf die EU-Wahlen 2024. (Petra Stuiber, 17.12.2023)