Odyssee TAG
Gelungen: Schauspiel und Choreografie werden auf bemerkenswerte Weise zusammengeführt.
Anna Stöcher

Odysseus kommt zwanzig Jahre, nachdem er in den Krieg gegen Troja gezogen ist, nach Hause zurück. Die Heimkehr des Helden auf die Insel Ithaka gehört heute, im postheroischen Zeitalter, zu den am Theater am häufigsten rezipierten Momenten aus Homers berühmtem Epos. Was macht ein Heerführer, wenn der Krieg vorbei ist? Und auf wen treffen dann die im Frieden Daheimgebliebenen?

Odysseus mit seinen "schwarzen inneren Visionen" begegnet seiner von Heiratsanwärtern umringten Gattin Penelope, dem ihm gänzlich unbekannten Sohn Telemachos, seinem treuen Hund Argos. In seiner Inszenierung für das Wiener Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) gewährt Joachim Schlömer jedem davon seine Perspektive, auch Eurykleia, der tyrannischen Chefin der Mägde im Hofstaat, und auch dem Schweinehirten Eumaios.

Durchgehend Spannung

Schlömer, ein Protagonist des europäischen Tanztheaters und bis 2013 künstlerischer Leiter des Festspielhauses St. Pölten, bringt hier Schauspiel und Choreografie ziemlich nahe zusammen. Der deutsche Regisseur sucht Synergien, und wie gut das dem Theater tut, zeigt die aktuelle Premiere seiner Fassung Odyssee – Eine Heimkehr mit dem Ensemble des TAG (Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel, Georg Schubert). Die Übersetzung von Schauplätzen, Konflikten und Stimmungen in abstrakte Gesten und Bewegungen erzeugt an diesem 85-Minuten-Abend durchgehend Spannung.

So hat man das Ensemble noch selten gesehen: als Bewegungschor, der sprechend wie tanzend einem strengen Rhythmus folgend den Text massiert. Wie eine Ulrich-Rasche-Arbeit in Lowtech.

Klacklaute und Trauma

Kommt bei Rasche der zugrunde liegende Rhythmus von maschinellen Laufbändern, so gehorcht er hier dem Takt eines Metronoms, das von einem anfangs im Raum platzierten Orchester aus insgesamt 21 Metronomen und den in Summe ganz schön lauten Klackgeräuschen am Ende des Intros als einziges übrig bleibt. Während die anderen Messgeräte verstummen und weggetragen werden, kann dieses eine seinen Tick-Ton fortsetzen und repräsentiert dann auf der leeren weißen Bodenfläche (Ausstattung: Anne Sophie Raemy) das Heimkehrerhaus auf Ithaka – wofür ihm symbolisch ein Giebelhäuschen übergestülpt wird. Alle anderen Metronome hören auf zu schlagen, denn nicht alle Krieger kehren lebendig zurück.

TAG

Darauf läuft Schlömers Arbeit hinaus: auf das Kriegstrauma und seine in Körper und Geist konservierte Gewalt, die es in den folgenden Friedenszeiten in die Welt setzt. Mit bemerkenswerter körperlicher Präzision agiert das Ensemble alle Aggression aus, die in einem Heimkehrer gespeichert liegt, aber auch die Aggression und Fremdheit, die diese Person auf sich zieht.

Schlömer flicht dafür Texte Kriegstraumatisierter ein, Dialoge aus Therapiegesprächen, darunter von Stabsfeldwebeln oder Drohnenspezialistinnen. Die ganz normale zivile Infrastruktur, vom Bäcker bis zum Blumenstand, erscheint diesen Menschen auch in Friedenszeiten als Schauplatz eines blutigen Häuserkampfs. Diese Odyssee führt auf bemerkenswerte Weise, ganz ungekünstelt, aus der mythologischen Erzählung direkt in die Gegenwart. Chapeau! (Margarete Affenzeller, 18.12.2023)