Wir leben in der vorweihnachtlichen Zeit der politischen Lobpreisungen. Donald Trump auf dem Sprung zu einer neuerlichen Präsidentschaftskandidatur lobte am Samstag Wladimir Putin und Viktor Orbán als starke Persönlichkeiten. Putin bekundete seine Solidarität mit dem von der Justiz bedrängten Trump, und sein Sprecher lobte Orbáns souveränitätsstärkende Haltung bei dem EU-Gipfel in Brüssel. Orbán wiederum lobte sich selber und seinen wackeren Kampf für die Interessen seines Landes, das übrigens laut Transparency International als der korrupteste EU-Mitgliedsstaat gilt.

Viktor Orbán
Kann mit dem Ergebnis zufrieden sein: der ungarische Regierungschef Viktor Orbán.
REUTERS/YVES HERMAN/File Photo

Die Fotos und Fernsehbilder zeigten die europäischen Spitzenpolitiker, wie sie Orbán lächelnd die Hände schüttelten. Der eigentliche "Held" der spannungsgeladenen nächtlichen Sitzung war der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der den ungarischen Störenfried überzeugt hatte, die Sitzung für eine Kaffeepause zu verlassen und so eine gesichtswahrende Entscheidung zugunsten des "einvernehmlichen Beschlusses" zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu ermöglichen. Ob der gelungene Schachzug Scholz (den laut der letzten ZDF-Umfrage zwei Drittel der Deutschen samt seiner Regierung als gescheitert betrachten) innenpolitisch helfen wird, ist kaum anzunehmen.

War das vereinbarte Spielchen doch ein "Signal der Stärke" der EU oder eher ein Sieg für Putins verlässlichen Freund? Sogar ein Kommentator der liberalen Süddeutschen lobt ihn: "Obwohl er ein rechtspopulistischer, xenophober, korrupter Autokrat ist und bleibt: In dem entscheidenden Moment war Orbán fähig, das Richtige für Europa und die EU zu tun."

Dass die vielgeprüften Ukrainer die symbolische Geste aus Brüssel bejubeln, ist verständlich. Der mit allen Wassern gewaschene zynische Machthaber in Budapest ist trotzdem zu Recht zufrieden. Nach einem Jahrzehnt der scharfen Resolutionen des EU-Parlaments und der Drohungen der EU-Kommission mit einer "härteren Gangart" gegen sein Regime, hatte Ungarn bereits vor dem Gipfel zehn Milliarden Euro an blockierten EU-Förderungen freibekommen. Entsprechend seiner Devise "Wie im Fußball ist der Angriff die beste Verteidigung" fordert Orbán bereits mehr Geld: "Nicht die Hälfte, nicht ein Viertel, sondern alles."

Ferner hat er mit seinem Veto verhindert, dass die Ukraine die lebenswichtige EU-Finanzhilfe in der Höhe von 50 Milliarden Euro erhält. Und der EU-Beitritt der Ukraine? Laut ungarischen Experten kann Orbán im Lauf der langwierigen Verhandlungen mindesten 70-mal die Entscheidungen blockieren …

Nach der Zerstörung der verfassungsmäßigen Säulen der jungen ungarischen Demokratie versucht der 60-jährige Alleinherrscher, getrieben von einer Mischung aus Vorwärtsverteidigung und lächerlicher Selbsterhöhung, die EU auch mit Blick auf den möglichen Vormarsch seiner Freunde bei den Europawahlen im Juni auszuhöhlen.

Die Bilder der Zufriedenheit heuchelnden und auf einen "historischen Tag für Europa" pochenden EU-Granden tragen viel mehr als bisher wahrgenommen zur Politikverdrossenheit der Wähler bei. Die Rechnung dürfte bereits im Juni durch Stimmenenthaltung und Auftrieb für den rechten Rand präsentiert werden. (Paul Lendvai, 18.12.2023)