Die drei Angeklagten stehen 13 Jahre nach den Geschehnissen vor der Richterin.
Markus Sulzbacher

Im September 2010 explodierte vor einem Flüchtlingsheim der Caritasheim in Graz ein Sprengsatz. 35 Bewohner und eine Betreuerin wurden aus dem Schlaf gerissen. Ein damals 61-jähriger Mann stürzte und verletzte sich, als er nachschauen wollte. Ansonsten gab es zwar keine Verletzten, aber der rohr- oder dosenförmige Sprengkörper wäre laut damaligen Ermittlungen imstande gewesen, Menschen schwer zu verletzen. Der Sprengsatz war – wie man heute weiß – mit Schwarzpulver versehen.

Von den Tätern fehlte lange jede Spur. Erst zehn Jahre nach dem Anschlag führten Aufzeichnungen einer Überwachungskamera zu einem damals 15-Jährigen, dieser zu weiteren Verdächtigen. Über 13 Jahre später, am Dienstag, standen nun drei Männer im steirischen Leoben deswegen vor Gericht, angeklagt wegen NS-Wiederbetätigung (3F und 3G.) Sie waren alle zur Zeit des Anschlags in der gleichen rechtsextremen Skinheadclique in Mariazell aktiv.

Widersprüchliche Aussagen

Nach drei Stunden nahm der Prozess eine Wendung. Als Richterin Sabine Anzenberger unzählige Widersprüche in den Aussagen des Hauptangeklagten aufzählte und die Frage stellte "Was war da wirklich los?", wollte sich der Mann mit seinem Anwalt besprechen. Wenige Minuten später sagte sein Anwalt zur Richterin: "Er hat das alles erfunden. Er war gar nicht vor Ort." Die beiden anderen hätten auch nichts mit der Sache zu tun.

Zuvor hatte er erzählt, er sei damals auf der Suche nach Freunden gewesen, und der Anschlag sei die "Mutprobe" gewesen, um in die Skinheadgruppe aufgenommen zu werden. Die Mutprobe sei von einem Mitangeklagten gefordert worden, der Drittangeklagte, der damals 19 Jahre alt war, habe ihm einen Rucksack übergeben, in dem der Sprengsatz ("ein kleiner Böller") gewesen sein soll. Wer ihn gebaut hat, ist unklar – und das weiß das Gericht bis heute nicht, denn die auf den Resten gefundenen DNA-Spuren passen zu keinem der Männer aus der damaligen Clique. Vom anderen heute 28-Jährigen und mutmaßlichen Anstifter soll er am Grazer Hauptbahnhof dann auch noch Kleidung erhalten haben, die er anziehen und dann wegwerfen sollte, so der Beschuldigte bei der Befragung durch die Richterin.

Nachdem er seine Aussagen zurückgezogen hatte, wollte die sichtlich überraschte Richterin vom Hauptangeklagten wissen: "Warum gestehen Sie dann etwas, wofür Sie lebenslang ins Gefängnis gehen könnten?" Seine Antwort: Er habe sich die Geschichte bei der polizeilichen Einvernahme ausgedacht. Damals fühlte er sich bei der Befragung seitens des Verfassungsschutzes unter Druck gesetzt und hatte Angst, seine Unschuld nicht beweisen zu können. "Meine Eltern wussten zehn Jahre später nicht mehr, ob ich damals bei Ihnen zu Hause war. Sie konnten es nicht mehr bezeugen", erklärte der 28-Jährige. Deswegen habe er alles gestanden und die beiden anderen Angeklagten als Mittäter genannt.

Reuiger Sünder

Auf Nachfrage räumte er dann ein, dass er bei der Vernehmung durch das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) möglicherweise etwas falsch verstanden habe: "Ich habe es so verstanden, dass ich meine Unschuld beweisen muss." Mit seinem Geständnis hoffte er, mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen.

"Es tut mir leid, dass ich diesen Scheiß gemacht habe", erklärte er den sichtlich überraschten Anwesenden im Gerichtssaal. Einschließlich von Richtern und Geschworenen. Und er wollte sich bei den beiden Mitangeklagten entschuldigen. Das sei das Mindeste, was er tun könne, sagte er. Die beiden anderen Beschuldigten stritten von Anfang an eine Beteiligung an der Tat ab.

Mit seinem Rückzieher hat er den Staatsanwalt völlig überrascht, der ihm die Geschichte nicht abnehmen will. Dazu kommt, dass es im Vorfeld Drohungen gegen den Hauptangeklagten von seinen ehemaligen Bekannten gegeben haben soll. Der Prozess geht am Mittwoch weiter. (Markus Sulzbacher, 19.12.2023)