Pessimismus, Jugend
Sich für eine konkrete Sache einzusetzen kann laut Forschenden wieder ein Gefühl von Handlungsmächtigkeit verleihen.
EPA/MONIRUL ALAM

Das Jahresende bietet vielen Menschen Anlass, in die Zukunft zu blicken: Vorsätze zu schmieden und das eigene Leben mit Zielen und Erwartungen zu füllen.

Bei immer mehr Menschen – vor allem jungen Menschen – löst der Gedanke an die kommenden Jahre jedoch keine große Freude aus. Jeder zweite 16- bis 26-Jährige Mensch in Europa denkt, dass es ihm in Zukunft schlechter gehen wird als seinen Eltern. Lediglich 22 Prozent glauben, dass es ihnen besser gehen wird. Das hat die repräsentative Umfrage "Junges Europa 2023" kürzlich gezeigt.

Kein Wunder, würden einige sagen – bieten doch die Kriege in der Ukraine und in Israel, Corona oder die Inflation aktuell genügend Anlass zu Sorge und Beunruhigung. Doch das Argument greift zu kurz, sagen die Forschenden hinter der Umfrage. Bei der pessimistischen Grundstimmung handle es sich um einen schleichenden Trend, der schon vor vielen Jahren einsetzte und der sich auch nicht so schnell wieder umkehren wird. Was nagt so sehr am Lebensgefühl junger Menschen? Und wie lässt sich das wieder verändern?

Zukunftsarmut

"Dass Optimismus nicht mehr das Leitgefühl für die Zukunft ist, ist kein individuelles, sondern ein strukturelles, gesellschaftliches Problem", sagt der deutsche Soziologe und Transformationsforscher Stefan Selke. Als "Zukunftsarmut" bezeichnet Selke diesen Zustand: Anstatt mit Euphorie in die Zukunft zu blicken, herrsche ein Gefühl von Resignation. Viele junge Menschen geben nicht nur andere, sondern auch sich selbst auf. Sie sehen selbst kaum noch Gestaltungsoptionen.

Der Grund laut dem Soziologen: "Wir leben in einer erschöpften Gesellschaft, die von Optimierung und Effizienz geprägt ist." Große Ziele, die ein Gefühl von Handlungsmächtigkeit stiften, seien in den vergangenen Jahrzehnten durch kurzfristige Optimierungsaufgaben ersetzt worden. "Wir müssen zwar immer mehr leisten, können aber immer weniger bewirken", sagt Selke. Vielen Menschen sei dadurch die Sinnhaftigkeit des Lebens verloren gegangen.

Ohnmachtsgefühl

War das früher anders? "Aus älteren Studien wissen wir, dass es Zukunftsängste immer schon gab", sagt Florence Gaub, Politikwissenschafterin und Gründerin des Futurate Institute, das Zukunftsanalysen erstellt. Beispielsweise habe in den 1980er-Jahren im Westen die Angst vor dem Ozonloch oder der nuklearen Katastrophe dominiert.

Wie Menschen in die Zukunft blicken, sei aber auch eine Frage des Alters. "Je älter Menschen werden, desto optimistischer sind sie in der Regel", sagt Gaub. Der Grund: Wie man die Zukunft wahrnehme, hänge stark davon ab, wie sehr man das Gefühl hat, sie beeinflussen zu können. Während älteren Menschen tendenziell mehr Möglichkeiten und Mechanismen zur Verfügung stehen, Einfluss auf gesellschaftliche oder politische Themen zu nehmen, haben viele junge Menschen ein Ohnmachtsgefühl gegenüber Themen wie dem Klimawandel oder der Geopolitik.

Versprechen der Moderne

Soziologen wie Andreas Reckwitz sehen dennoch Unterschiede in der heutigen Zeit. Lange Zeit sei der Westen vom "Versprechen der Moderne" dominiert gewesen, sagt Reckwitz. Jenem Versprechen, dass es für die moderne Gesellschaft immer nur einen Weg gab: nach oben. Mehr Wohlstand, mehr Freiheit, mehr Technologie, mehr Selbstoptimierung und Selbstentfaltung. Dass die Entwicklung zwangsläufig zum Besseren verlaufen wird, habe nicht zuletzt durch die Klimakrise an Glaubwürdigkeit verloren. Die Gesellschaft sei immer weniger von Fortschrittshoffnung und immer mehr von Verlustangst getrieben.

"Diese Fortschrittserwartung war immer schon naiv", sagt Selke – zu technikgetrieben, zu eindimensional, zu wenig vorausschauend. Allerdings sieht Selke den Glauben an den Fortschritt nicht aufgelöst. Ganz im Gegenteil: "Wir erleben gerade eine Renaissance der Verheißungserzählungen, die teilweise als Religionsersatz dienen." Von künstlicher Intelligenz, deren Heilsversprechen darin besteht, die Welt rationaler und besser zu regulieren, über künstlich angelegte Städte wie die von Saudi-Arabien geplante hypermoderne Wüstenstadt Neom oder die japanische Unterwasserstadt Ocean Spiral City bis hin zur Besiedelung des Weltraums und des Planeten Mars.

Techno-Utopien

"Future by disaster" nennt Selke solche Zukunftsvorstellungen in seinem Buch "Wunschland": expertengetriebene, elitäre Techno-Utopien, innerhalb derer Menschen und letztlich die ganze Gesellschaft wie steuerbare Maschinen betrachtet werden und die weniger von Euphorie als vielmehr von Angst vor der Zukunft getrieben sind.

Dabei spielt es keine so große Rolle, ob die Projekte tatsächlich umgesetzt werden, sagt Selke. Denn schon allein die Idee einer solchen Verheißung sei äußerst durchdringend. Sie zeige sich beispielsweise in der Fokussierung darauf, die Klimakrise allein durch technische Veränderungen zu lösen.

Was stattdessen fehlt, seien Utopien, die nicht angst-, sondern wunsch- und euphoriegetrieben sind, sagt Selke. Die nicht die Technik, sondern den Menschen, den Austausch und den Konflikt als notwendiges Regulativ innerhalb einer Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen. Soziale Utopien, die nicht nur Optimierung für einige wenige versprechen, sondern eine Verbesserung für möglichst viele oder sogar alle Menschen anstreben.

Von negativen Nachrichten abgrenzen

Utopien sind Vorstellungen von einer anderen Welt, die zwar angestrebt, aber nie ganz erreicht werden können. Sie kommen immer dann, wenn es besonders schlimm läuft, sagt Gaub. "Denn genau in Utopien fällt den Menschen erst auf, was alles anders gemacht werden kann."

Auch Gaub sieht in der Gesellschaft ein Vakuum an Utopien. Stattdessen dominieren dystopische Szenarien: zu welchen Katastrophen der Klimawandel führen wird und welche Entbehrungen Gesellschaften auf sich nehmen müssen. "Prasseln zu viele negative Nachrichten auf Menschen ein, schalten sie irgendwann ab", sagt Gaub. Ein Gefühl, das durch Aktionen von Umweltaktivistinnen und -aktivisten wie jene der Letzten Generation verstärkt werde. "Es entsteht das Gefühl, dass ohnehin schon alles vorbei ist. Das führt bei vielen zu Lähmung und Angst."

Stattdessen rät Gaub, sich von zu vielen negativen Nachrichten abzugrenzen und sich zu überlegen, was man gegen den Klimawandel in der eigenen Stadt oder im eigenen Ort konkret tun kann. Das führe zu einem Gefühl der Selbstermächtigung. "Außerdem sollte sich jeder zumindest einmal im Jahr bewusst die kommenden fünf bis zehn Jahre vorstellen", sagt Gaub.

Räume fürs "Spinnen und Träumen"

Es brauche aber auch bewusste gesellschaftliche Anstrengungen, fordert Selke. Beispielsweise mehr Orte, wo sich Jugendliche und andere Menschen an Zukunftserzählungen beteiligen können. Öffentliche Labore, in denen Künstlerinnen, Schriftsteller und Wissenschafterinnen gemeinsam und auf Augenhöhe an Zukunftsvorstellungen arbeiten.

"Es geht da nicht darum, Harmonie zu erzeugen, sondern darum, auch sinnstiftende Konflikte zuzulassen", sagt Selke. Das sollen angstfreie, geschützte Räume "fürs Spinnen und Träumen" sein – auch an Schulen und Universitäten. Auch er selbst führe regelmäßig Utopieseminare mit Studierenden durch. "Es ist erstaunlich, welche Ideen da plötzlich auftauchen können." (Jakob Pallinger, 26.12.2023)