Wie bekommt eine Bank hunderte Millionen Euro aus einem sanktionierten Land heraus, ohne dabei Sanktionen zu brechen? Diese Frage bereitet der Führungsetage der Raiffeisen Bank International am Wiener Stadtpark schon seit Monaten Kopfzerbrechen. Die Bank verdient aktuell ausgezeichnet, doch einen guten Teil der Gewinne erwirtschaftet das Institut traditionell in Russland. So war es auch im vergangenen Jahr. 2022 machte die RBI-Tochter in Moskau zwei Milliarden Euro Gewinn und trug damit 60 Prozent zum Konzernergebnis bei. Im ersten Halbjahr 2023 kamen nochmal 680 Millionen Euro an Gewinn über die russische Tochter hinzu. Auf diese insgesamt 2,7 Milliarden Euro hat die RBI allerdings keinen Zugriff.

Russlands Staatschef Wladimir Putin hat nämlich kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine ein Dekret unterzeichnet, das es Unternehmen verbietet, Dividenden an Mutterkonzerne in "unfreundlichen Ländern" auszuschütten. Neben den USA, Japan, Australien, dem Vereinigten Königreich oder Kanada befinden sich auch alle 27 EU-Länder und damit auch Österreich auf der Liste. Russland reagierte damit auf die westlichen Sanktionen gegen Moskau.

Nun glauben allerdings die Giebelkreuzer einen Weg gefunden zu haben, um zumindest einen Teil ihres Vermögens aus Russland doch noch hinauszubekommen. Und das geht so: Wie die Bank am Dienstagabend bekanntgab, wird die russische Tochter der RBI 27,78 Prozent der Aktien an der Baufirma Strabag erwerben. Verkäufer ist ein in Russland ansässiges Unternehmen, die MKAO "Rasperia Trading Limited". Das Unternehmen gehört dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska. Kaufpreis, den die RBI für die Strabag-Anteile bezahlt: 1,51 Milliarden Euro. In der Folge wird die russische RBI das Eigentum an der Strabag in Form einer "Sachdividende" an die Muttergesellschaft nach Wien übertragen. Damit würde ein Tausch von Vermögenswerten stattfinden: Die RBI bekäme zwar zunächst kein Geld, aber Anteile and der Strabag in Österreich im Gegenzug für die eingefrorenen Mittel.

Im Visier der europäischen Sanktionen

So weit so gut. Allerdings ist der Deal heikel, und dass alles durchgeht, ist nicht gesagt. Das liegt an Deripaska selbst. Der Russe befindet sich seit April 2022 auf einer EU-Liste mit 1800 sanktionierten Personen und Organisationen. Er trägt "Verantwortung für die Unterstützung oder Umsetzung von Handlungen oder politischen Maßnahmen, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine oder die Stabilität oder die Sicherheit in der Ukraine untergraben oder bedrohen", wie es in der entsprechenden EU-Verordnung heißt. Deripaska ist Eigentümer mehrerer Unternehmen, die Ausrüstung für die russischen Streitkräfte bereitstellen, heißt es in dem EU-Dokument. Zu seinen Vermögenswerten gehört etwa die Arzamas Machine-Building Plant, die laut EU-Verordnung jene amphibischen, gepanzerten Mannschaftsfahrzeuge herstellt, die von Russland während des Angriffs auf die Ukraine 2022 eingesetzt wurden.

Deripaska ist aber darüber hinaus auch deshalb im Visier der Europäer (und der Amerikaner), weil er einer der führenden Oligarchen in Russland mit besten Verbindungen zum Kreml ist. Das "Forbes"-Magazin schätzt sein Vermögen auf 2,5 Milliarden US-Dollar, er ist an einer Reihe von Unternehmen in der Bauwirtschaft und dem Energiesektor beteiligt, zu seinem Imperium gehören auch Anteile am größten Aluminiumhersteller der Welt, Rusal.

Raiffeisen baut in Russland ab, in diesem Fall allerdings nur eine Werbeaufschrift in Moskau.
REUTERS/MAXIM SHEMETOV

Die EU-Sanktionen bedeuten nun einerseits, dass die Vermögen der betroffenen Person eingefroren sind. Andererseits aber dürfen diesen Personen weder direkt oder indirekt Gelder oder Vermögenswerte zur Verfügung gestellt werden. Hier wird es knifflig. Die EU-Sanktionen gelten nämlich nur für europäische Unternehmen und europäische Privatpersonen, wie ein auf das Sanktionsregime spezialisierter Wiener Anwalt erklärt, der aber anonym bleiben will. Im Umkehrschluss bedeutet das, nichteuropäische Gesellschaften sind nicht erfasst. Die Anteile an der Strabag erwirbt die Raiffeisen-Tochter in Russland, die AO Raiffeisenbank. Demnach ist keine europäische Gesellschaft beteiligt. Allerdings ist auch eine indirekte Beteiligung laut EU-Regeln untersagt, das Management aus Wien darf also nicht involviert sein in den Vermögenstransfer. Das ist hier aber offensichtlich der Fall, die Raiffeisen kündigt ja nicht nur an, Aktien zu erwerben, sondern auch die Sachdividende steht schon im Raum. Wie also gelingt der Deal trotz der EU-Sanktionen?

Indem Deripaska am Geschäft nicht mehr beteiligt ist. Denn wie die Strabag erst gestern bekanntgab, verkauft Deripaska seine Anteile an der Baugesellschaft Strabag einer russische Aktiengesellschaft namens Iliadis Joint Stock Company (JSC). Die JSC erwirbt die Rasperia, über die Deripaska seine Anteile am österreichischen Unternehmen hält. Von der JSC erwirbt dann die Raiffeisen ihrerseits die Anteile. Die Raiffeisen selbst pocht darauf, weder mit Herrn Deripaska noch einer ihm unterworfenen Gesellschaft Geschäfte zu machen. Die Iliadis JSC, über die sich online keine Information findet, habe mit Deripaska nichts zu tun und sei auch sonst nicht einer den Sanktionen unterworfenen Person zuzuordnen.

Tausch von sanktionierten Anteilen

Die RBI verweist darauf, dass "im Rahmen der Transaktion alle Sanktionsbestimmungen gewissenhaft eingehalten" werden. Und: Die Genehmigung der Sachdividende durch die zuständigen russischen Behörden sei auch eine aufschiebende Bedingung für den Erwerb der Strabag-Aktien. In Russland hat das Regime bereits angedeutet, unter gewissen Bedingungen Dividendenzahlungen ins Ausland zuzulassen. Eine davon lautet, wenn zugleich mit der Freigabe der Gelder russisches Vermögen im Ausland freikommt. Das ist hier der Fall, denn Deripaskas Anteile an der Strabag unterlagen den Sanktionen.

In Österreich ist keine Genehmigung notwendig, zuständig für die Umsetzung der EU-Sanktionen sind in Österreich Nationalbank und Innenministerium. Allerdings darf der Deal natürlich nicht gegen die Sanktionen verstoßen. Die Juristen der RBI dürften der Ansicht sein, dass das nicht der Fall ist – und von Nationalbank und Innenministerium haben sie auch keine gegenteilige Botschaft bekommen.

Einbehaltene Dividenden

Ein Vorteil aus Sicht der Bank ist, dass ihr für den Anteil an der Strabag auch bisher nicht ausbezahlte Dividenden winken. Wegen der Sanktionen gegen Deripaska hält die Strabag die Dividenden für die Geschäftsjahr 2021 und 2022 an seine Rasperia zurück. Die Forderungen sind in der Bilanz verbucht. Die Strabag hat für beide Jahre zwei Euro an Dividenden ausbezahlt, die RBI hätte damit über ihre Strabag-Beteiligung Anspruch auf die Auszahlung von 82,7 Millionen Euro Dividende (bereits abzüglich Kapitalertragssteuer).

Der Deal dürfte vorbehaltlich der behördlichen Genehmigungen im ersten Quartal 2024 abgeschlossen sein, so die Raiffeisen. An der Börse jedenfalls dürften Anleger davon ausgehen, dass das Geschäft zustande kommt. Aktien der RBI legten am Mittwoch um mehr als neun Prozent zu.

Deripaska steht übrigens auch auf der US-Sanktionsliste, unter anderem wegen seiner Rolle bei der angeblichen Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahlen 2016. Laut der US-Sanktionsbehörde OFAC verfügt Deripaska über einen Diplomatenpass, er soll im Ausland direkt die Interessen der russischen Regierung vertreten haben. Er hat auch zugegeben, einen russischen Diplomatenpass zu besitzen, und behauptet, die russische Regierung in anderen Ländern vertreten zu haben. Er soll das Leben von Geschäftskonkurrenten bedroht, einen Regierungsbeamten illegal abgehört und sich an Erpressung und Schutzgelderpressung beteiligt haben. Außerdem wird Deripaska vorgeworfen, einen Regierungsbeamten bestochen und die Ermordung eines Geschäftsmannes angeordnet zu haben. Außerdem hat er laut OFAC "Verbindungen zu einer russischen Gruppe der organisierten Kriminalität". (András Szigetvari, 20.12.2023)