Reich und schön treffen sich anderswo. Daran hat Andreas Kern keine Zweifel. In seinem Beisl in der Wiener Kleeblattgasse finden sich Stammgäste zu Leberknödelsuppe und Erdäpfelgulasch ein. Wenige Hausecken weiter im Goldenen Quartier offerieren glitzernde Auslagen Roben um 40.000 Euro. In einer Bar steppt rund um Campari und Octopussalat der Bär.

Wie viel Strahlkraft hat das Goldene Quartier?
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Er habe nichts gegen Luxus, sagt der Gastronom und lehnt sich gegen die Holzschank seines Kernbeisls. Offenbar gebe es genug Touristen, die sich diesen leisten könnten und nicht wie er nach dem echten Wien suchten. "Schmucktandler und Fetzengeschäfte profitieren davon, für Kleinhäusler wie uns ist der ganze Glanz und Glimmer jedoch wertlos."

Offen halten werde er sein Wirtshaus, solange er es sich angesichts seiner schwindenden Pensionsvorsorge noch leisten könne. Weil er es gern mache. Weil er Wertschätzung erfahre. Und weil es in einer Innenstadt soziale Treffpunkte auch abseits der finanziellen Elite brauche.

Video: Erste Gläubigerversammlung bei Signa Holding.
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Wachstum durch die Hintertür

Mehr Licht als Schatten fällt auf Magdalena und Franziska Hall. Die beiden schmieden Gold und reparieren Taschen. Vor drei Jahren richteten sie sich in der Steindlgasse ein.

Ihre Betriebe säumen die Hinterausgänge nobler internationaler Luxusketten, was Raum für Synergien schafft. Immer wieder holten sich deren Kunden bei ihnen Hilfe für Reparaturen und Änderungen, erzählt Magdalena Hall. Vor allem wenn es schnell gehen müsse und Wert auf Patina gelegt werde.

Internationale Konzerne ließen kleine Handwerksbetriebe in dieser Nische gedeihen, ist sie sich sicher. Viele Touristen liebten zudem den Kontrast zu großen Marken. Auch aus diesem Grund lasse es sich im Umfeld der Handelsriesen gut leben.

Elf Jahre ist es her, dass die erste Luxusmarke in René Benkos Goldenem Quartier eröffnete. Der Investor stampfte im Herzen Wiens ein feudales Innenstadtviertel aus dem Boden. Es sollte zu einem seiner Prestigeprojekte werden, blieb jedoch lange Zeit ein Fremdkörper.

Abseits der Trampelpfade

Erst nach und nach schaffte es den Anschluss an Graben und Kohlmarkt. Pulsierendes Leben erlebt jedoch nur der harte Kern der mondänen, kapitalstarken Mieter. Nicht wenige Marken abseits der klassischen Trampelpfade der Städtereisenden sahen sich in Zehnjahresverträgen gefangen. Andere erloschen nach kurzem Strohfeuer.

Wer sich in der Nobelmeile niederlässt, muss mit Monatsmieten zwischen 220 und 300 Euro rechnen. Manche Händler, die bis zu 400 Euro auf den Tisch legten, pokerten zu hoch. Zum Vergleich: Am Graben kostet der Quadratmeter pro Monat an die 500 Euro, am Kohlmarkt mitunter sogar das Doppelte.

Dass die Insolvenz von Benkos Signa Holding seinem Luxusviertel nachhaltige Kratzer zufügt, bezweifeln Handelsexperten jedoch. Zu begehrt sind Verkaufsflächen in der Innenstadt, zu langfristig sind die Verträge. An Interessenten für die Immobilien soll es nicht fehlen. Die Hälfte der Anteile am Quartier wurde dem Vernehmen nach jüngst um gut 400 Millionen Euro feilgeboten. Vorausgesetzt wurde, dass der Deal zügig über die Bühne gehe.

Prachtvoll nennt der Wiener Immobilieninvestor Jamal Al-Wazzan das neue Innenstadt-Grätzel. "Benko hat sich was getraut." Hohe Frequenz spiele es aber anderswo, dafür brauche es eine Million Kunden mehr oder noch deutlich mehr Zeit.

"Zehn Jahre sind zu wenig, um Kohlmarkt und Graben Konkurrenz zu machen", zieht Al-Wazzan Bilanz. Wer von den Händlern dazu finanziell in der Lage sei, wechsle dorthin. Für eine echte Großstadt fehle es Wien nach wie vor an Kaufkraft.

Yves Saint Laurent etwa übersiedelte aus Benkos Reich an den Graben. Auch Louis Vuitton rückte näher ins Zentrum.

Riss durch die Luxuswelt

Florian Jonak, Obmann der Kaufleute am Graben, sieht das Goldene Quartier mit der Altstadt stetig zusammenwachsen. Er beobachtet jedoch vielmehr einen Riss, der sich durch die internationale Luxuswelt zieht: Während Konzerne wie Louis Vuitton und Hermès boomten, hätten andere das Nachsehen.

Wiens Innenstadtbetriebe litten unter sparsamen Touristen, sagt er. Seit Corona und Ukrainekrieg fehlten die "Big Spender". Viele Asiaten kauften aufgrund verschärfter Einfuhrkontrollen verstärkt im eigenen Land. Der wachsende Onlinehandel ziehe zusätzlich Geschäft ab.

Jonak selbst führte mit seiner Familie mehr als 40 Jahre lang zahlreiche Luxusmarken, von Chanel über Armani bis zu Dolce & Gabbana und Hermès. In den vergangenen Jahren zog er sich aus allen Verträgen zurück. Geblieben ist Versace in seiner Stammboutique am Trattnerhof. Hier sei das Risiko überschaubar. "Die Zeiten ändern sich, mein Leben ist seither deutlich entspannter."

Für den Immobilienexperten Stefan Goigitzer verlieren Nobelmeilen dennoch nicht an Strahlkraft. Er erinnert an Zeiten, in denen in Benkos Viertel die Autos kreisten. Unübersehbar sei der niedrige Leerstand.

Wahre Schönheit

Dior etwa breite sich im Goldenen Quartier auf gut 2000 Quadratmeter aus. Omega folge auf Von Köck. Armani verlängerte den Mietvertrag, und die Herrenmarke Kiton betreibe ihr Geschäft in der Seitzergasse nicht mehr über Partner, sondern selbst. "Auch das ist ein Statement."

Von schwacher Frequenz dürfe man sich nicht täuschen lassen, sagt Goigitzer. "Wer Luxus kauft, trägt ihn nicht im Sackerl herum, sondern lässt ihn sich ins Hotel liefern."

Vieles könne man Benko vorwerfen – aber nicht, dass er nichts bewegt habe, sinniert Peter Friese, der im Goldenen Quartier das Traditionslokal Zum Schwarzen Kameel und die Campari-Bar betreibt. Ob es den ganzen Luxus brauche, müsse jeder für sich selbst beantworten.

Touristen ziehe der Schwung an Marken auf jeden Fall an. Tot sei die Seitzergasse einst gewesen, gibt Friese zu bedenken. Mit seiner Bar bringe er neues Leben in sie.

Kritiker vergleichen das exklusive Viertel mit einer Welt für Barbie und Ken. Wien werde zusehends zur austauschbaren Allerweltsstadt, bedauern letzte verbliebene alteingesessene Händler. Für wahre Schönheit brauche es nicht die zehnte Filiale eines Handelskonzerns, sondern Brüche und Spannungsfelder. (Verena Kainrath, 21.12.2023)