Wenn wir über den Klimawandel reden, dann logischerweise meistens über Probleme. Und, wenig überraschend: Es ist nicht alles eitel Wonne. Aber die Welt macht zusehends größere Schritte in die richtige Richtung. Bevor wir uns im neuen Jahr wieder ins politische Getümmel und in hitzige Debatten stürzen, werfen wir einmal einen Blick auf einige zentrale Fortschritte, die wir 2023 gemacht haben. Ein optimistischer Jahresrückblick mit Blick auf Licht, aber auch Schatten auf dem Weg zu einer klimaneutralen Welt.

1. Der Umstieg auf erneuerbare Energie ist die halbe Miete – und er läuft

Das Jahr 2023 war besser für das Weltklima, als es häufig rüberkommt – wenn auch bei weitem nicht alles gut ist.
Das Jahr 2023 war besser für das Weltklima, als es häufig rüberkommt – wenn auch bei weitem nicht alles gut ist.
Fatih Aydogdu, DER STANDARD

Die Investitionen in erneuerbare Energien auf der Welt sind seit 2020 um 40 Prozent gestiegen. Mehr als 500 Gigawatt an erneuerbarer Energie wurden heuer laut der Internationalen Energieagentur (IEA) installiert – ein Rekord und mehr als doppelt so viel wie 2020 und dreimal so viel wie 2016.

2. Der Solar-Boom ist nicht mehr aufzuhalten

Mehr als eine Milliarde Dollar werden laut IEA pro Tag (!) global in Photovoltaik investiert. Eine Studie in "Nature" kam heuer zu dem Schluss, dass ein nicht mehr umkehrbarer Kipppunkt bei Solarenergie erreicht sein könnte.

Auch ohne weitere Klimapolitik dürfte Solarenergie Schritt für Schritt die globalen Energiemärkte dominieren, weil sie billiger ist als jede andere Energieform. In Österreich werden heuer circa 2000 Megawatt PV zugebaut, eine Verdoppelung im Vergleich mit dem Rekordjahr 2022.

3. E-Autos erobern den Markt

2020 war eines von 25 Autos, die global verkauft wurden, elektrisch. 2023 war es laut IEA bereits eines von fünf. In China ist schon jedes dritte verkaufte Auto ein E-Auto; in Österreich sind es 20 Prozent. Wie bei der Photovoltaik setzen sich auch E-Autos künftig quasi von alleine durch, weil sie billiger, effizienter und angenehmer zu fahren sind. Während sich die Politik in Österreich und Deutschland noch mit E-Fuels und dem Verbrenner aufhält, setzen Autobauer mit vollem Tempo auf elektrisch.

4. Der Umstieg in China geht schneller als gedacht

Wer von Österreichs Verantwortung in der Klimapolitik ablenken möchte, führt oft China als Gegenbeispiel an. Währenddessen prescht das Land voran. Das offizielle Ziel der Regierung ist es, dass die Emissionen ab 2030 sinken. Die Emissionen könnten schon 2024 nachhaltig sinken, weil der Ausbau der Erneuerbaren vorangeht und die Bauindustrie schwächelt, so eine Studie des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA). China bringt heuer laut IEA mehr Erneuerbare ans Netz als Indien, die USA und die EU gemeinsam.

5. Die USA werden weniger schmutzig

In den USA prescht die Biden-Regierung mit dem Inflation Reduction Act (IRA) voran, der wichtigsten klimapolitischen Maßnahme in der Geschichte des Landes. Ohne IRA sanken die Emissionen in den USA um etwa zwei Prozent pro Jahr – mit IRA künftig um vier Prozent, schätzen Wissenschafter.

Zum Vergleich: Die CO2-Emissionen in Österreich sinken laut Wifo heuer um 2,4 Prozent, nächstes Jahr nur um 0,6 Prozent. Der Wandel in den USA zeigt sich an Texas, der Heimat großer Ölkonzerne. Texas ist der größte Erzeuger von Windenergie der USA und Nummer zwei bei Sonnenstrom – nur Kalifornien produziert mehr.

6. Die EU nimmer eine Vorreiterrolle ein

Was der Inflation Reduction Act in den USA ist, ist der Green Deal in der EU. Die EU-Kommission hat die Emissionsreduktionsziele angehoben. Im Emissionshandel, der Energie- und Industriekonzerne und Airlines reguliert, sollen die CO2-Emissionen bis 2030 nicht mehr um 43 Prozent, sondern jetzt um 62 Prozent unter das Niveau von 2005 fallen.

Der Emissionshandel senkt nachweislich die CO2-Emissionen. Darum erfreulich: Ab 2027 kommt ein zweites Emissionshandelssystem für Verkehr und das Heizen in die EU. Und: Die CO2-Emissionen in der EU sinken heuer laut Global Carbon Project um sieben Prozent. In den USA sinken sie um drei Prozent.

7. Die schlimmsten Szenarien sind unwahrscheinlicher geworden

Vor dem Pariser Klimaabkommen drohte eine globale Erwärmung von bis zu acht Grad. Das käme tatsächlich, wie viele warnten, einem Weltuntergang gleich. Diese Szenarien sind jetzt sehr unwahrscheinlich.

Die derzeit beschlossenen Maßnahmen dürften zu 2,7 Grad Erhitzung bis 2100 führen – das ist schlimm genug. Halten alle ihre Ziele ein – und das ist auf globaler Ebene in den USA, der EU und China nicht unrealistisch –, schätzen Wissenschafter, dass das die Erhitzung bis 2100 auf 2,1 Grad begrenzen könnte.

Aber es gab heuer natürlich nicht nur erfreuliche Nachrichten, wenn es um die Reduktion von Treibhausgasen geht.

8. Die Heiz-Debatte in Deutschland verlief toxisch

Eine Wärmepumpe zu installieren ist eigentlich eine recht nüchterne Angelegenheit. Im deutschen Boulevard und in der Politik wurde das heuer aber fast zum Kulturkampf hochgejazzt. Ein schlecht vorbereitetes Gesetz zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors flog der deutschen Regierung um die Ohren.

Das Gesetz kommt – aber abgespeckt. Daraufhin wird auch das ambitionierte Erneuerbare-Wärme-Gesetz in Österreich auf Betreiben der ÖVP noch einmal aufgeschnürt und verwässert. Ein Rückschlag – aber trotzdem ist die Situation in beiden Ländern durch die neuen Gesetze besser als zuvor.

9. Das Klima in Politik und Medien wurde schlechter

Während sich Photovoltaik, E-Autos und Wärmepumpen wirtschaftlich durchsetzen, wird die Klimadebatte in Medien und Politik negativer. Keine Spur mehr vom gemeinsamen Anpacken, das durch die Proteste von Fridays for Future zunächst ausgelöst wurde.

Radikale Klimaschutz-Organisationen wie die Letzte Generation polarisierten den Diskurs. Die Bekämpfung des Klimawandels wurde zusätzlich durch den Ukrainekrieg, die Teuerung und den Gaza-Konflikt in den Hintergrund gedrängt.

10. Große Problemfelder bleiben unangetastet

Die Verschlechterung des Gesprächsklimas in der Klimadebatte tut besonders weh, weil noch viele große Debatten vor uns liegen. Zwar setzen sich klimafreundliche Technologien durch. Aber das reicht nicht, um den Klimawandel zu bremsen. Die CO2-Preise in Österreich und Deutschland steigen nächstes Jahr auf 45 Euro und werden künftig noch viel stärker steigen müssen.

Fossile Subventionen wie Diesel- und Dienstwagenprivileg oder Pendlerpauschale bleiben weitgehend unangetastet. Autos nehmen noch immer den meisten Platz in Städten ein, und die Raumordnung bleibt in Österreich ein Riesenproblem. Der Fleischkonsum im Land sinkt laut der Agrarmarkt Austria (AMA) bereits – von 65 Kilo pro Kopf (2015) auf 59 Kilo (2022) –, ist aber noch immer viel zu hoch, und die Politik macht fast nichts dagegen.

Unter dem Strich war 2023 aber ein gutes Jahr. Erneuerbare und E-Autos mussten über lange Zeit massiv gefördert werden, damit sie marktreif werden. Jetzt fährt der Zug von alleine ab – die Politik kann und muss aber immer noch das Tempo erhöhen. In der EU, den USA und China – drei Länder, ohne die es keine Lösung gibt – wird Klimapolitik ernst genommen.

Mit Blick auf eine mögliche erneute Trump-Präsidentschaft ist das nicht selbstverständlich. Ein Grund mehr, durchzuatmen und sich für das Erreichte 2023 auf die Schultern zu klopfen, um dann kommendes Jahr mit noch mehr Ambition an das Bohren dicker Bretter zu gehen.