Donald Trump eine Rede haltend, im Hintergrund eine US-Flagge
Will 2024 wieder US-Präsident werden: Donald Trump.
Foto: AP / Morry Gash

Politiker sagen gerne, dass die gerade anstehende Wahl die wichtigste jemals ist. Das stimmt naturgegeben selten. Die US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 verdient jedoch das Prädikat "historisch".

2016 konnte man die Wahl Donald Trumps als einen Ausrutscher sehen – in Verbindung mit den Schwächen Hillary Clintons und einer nicht unüblichen Wachablöse nach acht Jahren demokratischer Präsidentschaft unter Barack Obama. 2020 war eine erwartbare Abfuhr für Trump nach vier chaotischen Jahren. 2024 würden die Wählerinnen Trump in vollem Wissen um sein Potenzial wieder wählen. Wie wahrscheinlich ist das?

Meiste Stimmen

Die Gerichte werden die Wahl nicht vorwegnehmen. Keiner der vier anhängigen strafrechtlichen Fälle gegen Trump (dreimal Verschwörung, einmal Korruption) wird wohl vor der Wahl entschieden.

Wenn das Wahlsystem wie in anderen westlichen Ländern wäre, würde er sehr wahrscheinlich verlieren. In den letzten 35 Jahren hat nur ein Republikaner die meisten Stimmen auf sich vereinigt: 2004, als George W. Bush 50,7 Prozent der Stimmen erreichte. Trump erreichte 2016 46,0 der Stimmen, 2,1 weniger als Clinton. 2020 verlor er gar um 4,4 Prozent gegen Joseph Biden – das waren mehr als sieben Millionen Stimmen.

Joe Biden hält im Weißen Haus eine Rede
Der Amtsinhaber: Joe Biden.
Foto: APA / AFP / Jim Watson

Sechs Staaten

Nach dem US-amerikanischen System können Millionen Stimmen Vorsprung jedoch egal sein. Wahlmänner wählen den Präsidenten, und diese werden pro Gliedstaat vergeben an den Kandidaten mit den meisten Stimmen in diesem Staat. Dieses System bevorzugt kleinere Staaten, die mehrheitlich republikanisch sind. Ein Wahlmann in Wyoming ist schon mit 193.000 Stimmen zu gewinnen, im Gegensatz zu Kalifornien, wo es mehr als 700.000 Stimmen braucht.

Daher kann man alle nationalen Umfragen getrost vergessen, egal ob Trump oder Biden führt. Die meisten Gliedstaaten sind eindeutig zurechenbar: da die USA seit Jahrzehnten zunehmend polarisiert sind, können Demokraten und Republikaner wie schon 2016 und 2020 auf jeweils 230 Wahlmänner bauen. Entschieden wird die Wahl in sechs Staaten: Michigan, Nevada, Pennsylvania, Arizona, Georgia und Wisconsin. In den drei letzten, die Biden zum Sieg verhalfen, gewann er mit nur 44.000 Stimmen Vorsprung. Auch nächsten November wird die Wahl von wohl weniger als 100.000 Wählern entschieden werden. Eine seriöse Aussage, wie sie wählen werden, ist heute unmöglich.

Wieder Materialschlachten

Die Wahlen werden wieder Materialschlachten. Insgesamt wurden 2020 14,4 Milliarden US-Dollar für Wahlwerbung ausgegeben – mehr als 43 US-Dollar pro Einwohner. Das klingt nach viel, ist es aber gar nicht: Österreichs Parteien kassieren 26 Euro, oder umgerechnet 29 US-Dollar, pro Einwohner … und das jedes Jahr.

Die Ausgangslage ist für die Demokraten besser, als manch reißerischer Artikel glauben machen will. 2023 war ein Rekordjahr an der Börse, die Inflation geht zurück und die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Die Mehrzahl der Wahlen seit 2020 gingen zugunsten der Demokraten aus, nicht zuletzt deshalb, weil die Abschaffung des nationalen Rechts auf Abtreibung des Obersten Gerichts und Volksabstimmungen in einzelnen Gliedstaaten Wählerinnen mobilisiert hat. Pennsylvania, Nevada und Arizona werden im November Volksabstimmungen dazu durchführen, was zusätzliche Stimmen für Biden ergeben sollte.

Neue Weltordnung

Trotzdem wird die Wahl knapp. Dieses Mal gibt es die berechtigte Sorge, dass es Gewalttaten in größerem Maßstab geben wird, wenn eine (republikanische) Minderheit wieder den Mythos beleben wird, dass die Wahlen gestohlen worden sei.

Oft wurde gesagt, dass die Wahl Trumps 2016 und die Invasion der Ukraine 2014 und 2022 die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Weltordnung beendet hat. Das stimmt nur zum Teil: das westliche Bündnis um Nato und EU hat gehalten; das Völkerrecht wird in vielen Teilen noch respektiert, auch wenn Länder wie Venezuela schon mit Eroberungskriegen liebäugeln. Wenn Trump jedoch wieder an die Macht kommt, wird er die Nato entkernen, indem er die gegenseitige Beistandsklausel entwertet. Dadurch könnte sich Moskau ermutigt fühlen, EU-Staaten wie Estland zu überfallen, mit völlig unberechenbaren Folgen für ein noch nicht zeitengewendetes Europa. Auf anderen Kontinenten könnten ohne Angst vor Ordnungsmächten regionale Kriege wuchern.

Und Österreich?

Am 5. November 2024 könnte die Völkerrechtsordnung begraben werden. Wenn das passiert, dann Gnade der politischen Führung in Österreich, die die letzten zwei Jahre sicherheitspolitisch verschlafen und den Kopf in den Sand gesteckt hat. Im Dschungel ist Neutralität eine Einladung zum Überfall. (Veit Dengler, 1.1.2024)