Schwarzweißfoto: Die
Das Dampfschiff Säntis bei seiner Reise zum Grund des Bodensees.
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Im Bodensee wimmelt es vor unsichtbaren Zeugen vergangener Zeiten. Etwa 300 Schiffswracks verbergen sich allein in jenem Bereich des Sees, der dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg zugerechnet wird. Manche sprechen auch vom "größten Schiffsfriedhof Europas". Einer dieser "Toten" dürfte bald aus seinem nassen Grab emporsteigen: Das Dampfschiff Säntis, das vor 90 Jahren versenkt wurde, soll im kommenden März gehoben werden.

Es hat keine so spektakuläre Geschichte wie andere Schiffe, die bei Unwettern oder anderen Katastrophen untergingen beziehungsweise in einer der Seeschlachten sanken. Der Seitenraddampfer Säntis – oder Saentis, benannt nach dem gleichnamigen Schweizer Berg – war ab 1892 als Passagierschiff auf dem Bodensee im Einsatz. Für das elegante Reisevergnügen von bis zu 400 Personen bot das Gefährt mit den zwei Schaufelrädern einen Salon, zumindest für die erste Klasse. Die Säntis war 1920 das erste Dampfschiff auf dem Bodensee, das statt der Verbrennung von Kohle auf Öl als Energiequelle umgerüstet wurde.

Schwarzweißfoto: Dampfschiff Säntis mit Passagieren
Passagiere amüsierten sich an Bord des Dampfschiffs.
gemeinfrei

Spenden machen Bergung möglich

Im Jahr 1933 galt die rund 50 Meter lange Säntis als nicht mehr fahrtauglich und wurde wegen der zu teuren Verschrottung versenkt. Der Untergang wurde dramatisch inszeniert und fotografisch dokumentiert. Der Schornstein qualmte kurz vor dem Versinken ein letztes Mal, dafür sorgte eine deponierte Rauchpatrone.

Schwarzweißfoto: Vom Dampfschiff Säntis ragt ein kleiner Teil schräg aus dem Bodensee, aus dem Kamin qualmt es.
Zuletzt sah man von der Säntis 1933 nur mehr dunklen Qualm und eine Schweizer Flagge.
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Seitdem schlummert das Schiff in 210 Meter Tiefe, im sogenannten Tiefen Schweb zwischen dem Heimathafen Romanshorn (Schweiz) und der deutschen Gemeinde Langenargen. Obwohl es kontrolliert versenkt wurde und nicht im Zuge einer Katastrophe am Seegrund landete, wird die Säntis mitunter als "Titanic vom Bodensee" bezeichnet.

Eine indirekte Verbindung zu einem dramatischeren Unglück gibt es zumindest, neben der Kollision mit einer Hafenmauer 1908 im Nebel: Als die Säntis längst gesunken war, stürzte 1957 ein Flugzeug der Swissair an dieser Stelle bei einem Trainingsflug in den Bodensee, die neun Crewmitglieder verstarben dabei. Der Bodensee wurde mit Leinen nach den Flugzeugtrümmern durchsucht, von denen sich manche um das Wrack des Schiffes legten. Erst 2013 wurde die Säntis bei Vermessungsarbeiten wiederentdeckt.

Doch in Romanshorn gibt es Enthusiasten, die zur Bergung der Säntis eigens einen Verein gründeten. Der Schiffsbergeverein sammelte per Crowdfunding rund 250.000 Schweizer Franken an Spenden, das entspricht etwa 270.000 Euro. Der Plan sei, "das Schiff in einer einzigartigen Bergeaktion zu heben und dieses wertvolle Objekt der Technikgeschichte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen", sagte Silvan Paganini. Er ist Präsident des Schiffsbergevereins und technischer Betriebsleiter bei der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt AG. Zu deren Flotte gehört auch eine Yacht namens MS Säntis, die vor einigen Jahren komplett saniert wurde – quasi die Nichte des untergegangenen Dampfschiffs.

Kulturhistorisch nicht wertvoll

Wo die alte Säntis nach der Restaurierung ausgestellt wird, ist fraglich: "Wir haben noch keine Zusage und sind offen", berichtete Paganini der Deutschen Presse-Agentur. Dass sie überhaupt vom Seeboden heraufgeholt wird, sehen manche kritisch. Nur in manchen Fällen erscheint es für die Unterwasserarchäologie sinnvoll, versunkene Schiffe aufwendig zu bergen und zu konservieren. Im Archäologischen Landesmuseum Konstanz findet sich eines dieser Beispiele: Weil es Gefahr lief, beschädigt zu werden, wurde das 1981 bei Immenstaad entdeckte galloromanische Schiff aus dem 14. Jahrhundert aus dem Bodensee gefischt und mehrere Jahre in einer Zuckerlösung aufbewahrt. Im Gegensatz dazu beurteilte das Kulturamt des Kantons Thurgau das Projekt Säntis als kulturhistorisch nicht wertvoll und steuerte daher keine finanzielle Unterstützung bei.

Ein Rückschlag für Paganini und sein Team, doch schließlich gelang es auch ohne diesen Zuschuss, das Mindestziel an Spenden zu erreichen. Damit kann zwar die teurere und weniger riskante Bergungsvariante nicht umgesetzt werden, aber die ersten Vorkehrungen für Plan B, der im März beginnt, sind getroffen. Bei dieser Methode werden zwölf Hebesäcke am Wrack befestigt. Mit ihrer Hilfe und einer Bergeplattform gelangt das Schiff auf zwölf Meter Tiefe und wird in die Nähe des Ufers gebracht. Das komplette Herausholen ist für April vorgesehen, ein Liegeplatz für die ersten zwei Jahre ist laut dem Schiffsbergeverein-Präsidenten fix.

Impressionen aus dem Jahr 2023
Silvan Paganini teilt visuelle Eindrücke von seinen Recherchen und Vorarbeiten.
Silvan T. Paganini

Die Hebesäcke wurden bereits aus China angeliefert, und mit dem Jahreswechsel ist die Einspruchsfrist für Behörden aus Österreich, Deutschland und der Schweiz abgelaufen. Damit spräche nichts mehr gegen die Bergung. Paganini hofft, im Zeitplan zu bleiben: Ab März kann der Verein die Werft in Romanshorn für 14 Wochen kostenlos benutzen.

Zum Schutz von Kulturerbe unter Wasser besteht die Regel, dass Spuren menschlicher Existenz besonders behandelt werden müssen, wenn sie mehr als 100 Jahre pausenlos unter Wasser lagen, kommerzielle "Ausbeutung" wäre dann verboten. Doch diese Marke würde die Säntis erst 2033 überschreiten.

Problemtier im Bodensee

Paganini ist nicht nur davon überzeugt, dass das 130 Jahre alte Schiff für historisch Interessierte ein eindrucksvolles Anschauungsobjekt wäre. Als jemand, der lange in der Offshore-Öl- und Gasindustrie gearbeitet hat, fasziniert ihn auch die technische Komponente und die kostengünstige Hebung ohne Krananlage aus eher tiefem Gewässer. "Dieses Projekt ist wie der Mount Everest", wird er auf der Website des Schiffsbergevereins zitiert. "Man kann ihn anschauen, planen, trainieren, aber schlussendlich muss man ihn besteigen, um zu wissen, ob man es schafft."

Unterwasser-Flugzeugwrack , auf dem zahlreiche Quaggamuscheln sitzen
In den Seen des US-Bundesstaats Michigan ist die Quaggamuschel ebenfalls zum Plagegeist geworden. Hier ist ein abgestürztes und versunkenes Militärflugzeug zu sehen, das von Muscheln überzogen ist.
Wayne Lusardi / AP

Ein kleiner Schädling könnte ihm allerdings noch einen Strich durch die Rechnung machen: die Quaggamuschel. Denn auch in dieser Hinsicht wimmelt es mittlerweile im Bodensee. Die eingeschleppte Art, die sich außerdem in der Donau sowie in Kärntner Seen ansiedelte und kaum loszuwerden ist, hat sich bereits auf anderen Schiffwracks breitgemacht und das Material beschädigt. "Das Wrack des Dampfschiffs Jura vor Bottighofen ist nur noch ein großer Quaggamuschelberg", sagt Paganini. Und das Risiko, dass sich die Spezies im Frühjahr auch auf der Säntis in Massen festsetzt, besteht – immerhin habe man an dem schon im Juli geborgenen Kamin des Schiffs Quaggamuscheln entdeckt. (sic, 3.1.2024)