Dass Licht ein hocheffektives Medium ist, weiß jeder, der bereits einmal einen Sonnenbrand hatte. Auch Photovoltaik oder Photosynthese gäbe es nicht, hätte Licht keine Wirkung auf Materie. Und doch sind viele Details der Interaktion zwischen Licht und Materie auf atomarer oder molekularer Ebene noch kaum oder gar nicht bekannt. Klar ist aber: Licht gilt als Hoffnungsträger, etwa auch beim Einsatz völlig neuartiger Medikamente.

Photosynthese Sonnenblume Sonne
Um Photosynthese besonders effizient synthetisieren zu können, müssen Supercomputer bei der Simulation helfen.
AP/Martin Meissner

Diesbezügliche Wissenslücken zu verkleinern oder sogar zu schließen ist eine Aufgabe, der sich Leticia González und ihre Forschungsgruppe angenommen hat. "Wir nutzen die Quantenmechanik, um zu verstehen, zu simulieren und zu beschreiben, wie Moleküle mit Photonen wechselwirken", erklärt die Leiterin des Instituts für theoretische Chemie an der chemischen Fakultät der Universität Wien.

Kettenreaktion durch Licht

Das Spektrum dieser Wechselwirkungen ist vielfältig. "Es gibt Moleküle, die unter Licht aufbrechen", sagt die Forscherin. "Andere verändern ihre Form, wieder andere strahlen Licht einer bestimmten Farbe ab, und manche werden einfach nur heiß." Zu Letzteren zählt beispielsweise die DNA. Ein Glück für das menschliche Überleben, denn es wäre fatal, würde die DNA unter Lichteinfluss aufbrechen. Wir könnten dann lediglich im Stockdunkeln existieren.

Die in der Netzhaut befindliche Verbindung Retinal ist ein Beispiel für eine Stoffklasse, die unter Lichteinfluss ihre Form ändert. Retinal kann eine von zwei verschiedenen Formen annehmen. Kommt es mit Licht in Kontakt, ändert es seine Konfiguration und löst dadurch eine Signalkaskade aus, die letztlich für das menschliche Sehvermögen entscheidend ist.

Von besonderem Interesse für die Forscher sind sogenannte Photosensibilisatoren. Das sind Stoffe, die Licht eines bestimmten Wellenlängenbereichs absorbieren und in der Folge ihre Elektronenkonfiguration ändern. Die dadurch bewirkte energetische Anregung verschiebt Elektronen in andere Bereiche innerhalb des Moleküls, sogenannte Orbitale, was eine Kettenreaktion in Gang setzt, die in der Folge auch die Atomkerne selbst erfasst. Diese Vorgänge im Inneren von Molekülen sind der Schlüssel zum Verständnis ihrer Eigenschaften.

Supercomputer nötig

"Es ist noch sehr wenig verstanden, wie sich Moleküle unter der Beeinflussung von Licht bewegen", sagt Gonzáles. Um derartige Prozesse im Detail untersuchen zu können, benötigt sie weder Laborkittel noch Spektroskop. Als theoretische Chemikerin ist ihr Werkzeug der Computer und ihr Rüstzeug die Quantenmechanik, etwa die Schrödinger-Gleichung. "Die Schrödinger-Gleichung enthält alles, was man benötigt, um diese Systeme zu beschreiben", erklärt Gonzáles.

Einen Makel hat die 1926 vom österreichischen Physiker Erwin Schrödinger aufgestellte Gleichung jedoch: Sie zu berechnen ist keineswegs trivial. Und je komplexer das betrachtete Molekül, desto aufwendiger sind die Berechnungen. Mit herkömmlichen Rechnern kommt man nicht weit, deshalb nutzen die Wiener die Rechenpower von Supercomputern. Unter anderem auch jene des Vienna Scientific Cluster (VSC), eine Kooperation mehrerer österreichischer Universitäten. Bis zu 72 Stunden Rechenzeit am Stück sind hier möglich. Für noch längere Berechnungen hat Gonzáles auch eigene Computer.

Leticia González
Die Chemikerin Leticia González von der Universität Wien ist bei ihrer Erforschung der Wechselwirkung von Molekülen und Photonen auf die Rechenleistung von Supercomputern angewiesen.
Alexander Bachmayer

Häufig genutzte Photosensibilisatoren sind Metallkomplexe, also Verbindungen aus einem elektrisch geladenen zentralen Metallatom wie Eisen, Ruthenium oder Kobalt und anderen Molekülen oder Ionen. "Da brauchen die Berechnungen oft Wochen oder sogar Monate", erklärt die Chemikerin. Gonzáles vergleicht die Resultate der Berechnungen mit einem Film, in dem man den zeitlichen Ablauf der Bewegungen von Elektronen und Atomkernen beobachten kann. Ein kurzer Film freilich, denn die Bewegungen finden im Femtosekundenmaßstab statt – eine Femtosekunde ist eine Billiardstelsekunde. Und oft ist das doch lang genug, um beispielsweise die chemischen oder elektrischen Eigenschaften der simulierten Moleküle zu entschlüsseln.

Die Expertise von Gonzáles’ Forschungsgruppe kommt in unterschiedlichen Szenarien zum Einsatz. "Manchmal möchte jemand wissen, wie sich ein bestimmtes Molekül unter dem Einfluss von Licht verhält", sagt Gonzáles. "Manchmal benötigt jemand ein Molekül, das ganz konkrete Eigenschaften hat, zum Beispiel eines, das Licht einer bestimmten Wellenlänge absorbiert oder emittiert. Dann können wir herausfinden, welche funktionellen Gruppen so ein Molekül haben muss, damit es synthetisch hergestellt werden kann."

Energie umwandeln

Oft untersucht Gonzáles aber auch Prozesse, die sie ganz einfach interessieren – ureigene wissenschaftliche Neugier also, die Kardinaltugend jedes Forschergeistes. Im Rahmen des Exzellenzclusters "Materials for Energy Conversion and Storage" beteiligt sie sich an der Suche nach neuen Materialien für effiziente Energieumwandlung. Ein Ziel dabei ist es beispielsweise, den Prozess der Photosynthese synthetisch nachzubilden.

In der Natur initiiert ihn Chlorophyll, ebenfalls ein Photosensibilisator, durch Absorption von Licht. Allerdings warnt Gonzáles vor einer Verklärung der Natur. "Manche Sachen macht die Natur sehr effizient, andere nicht. Unser Ziel ist es, bestimmte Prozesse besser im Sinne von einfacher und effizienter zu machen, als sie in der Natur ablaufen."

Gesucht wird nach einem Protein aus Polymeren, mit einem Katalysator im Zentrum, der unter Lichteinfluss Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff umwandelt. Zur Übertreibung neigende Zeitgenossen haben die künstliche Photosynthese schon mal den "heiligen Gral der Energietechnik" genannt. Gonzáles ist da zurückhaltender. Für sie ist es Tagesgeschäft – die Erforschung der faszinierenden Interaktionen von Licht und Materie.

Aus welchem Stoff unsere Zukunft sein wird, wird González auch mit Kolleginnen und Kollegen wie dem Materialforscher Mark Miodownik vom University College London diskutieren, und zwar im Rahmen der Semesterfrage am 15. Jänner im Großen Festsaal der Uni Wien. (Raimund Lang, 6.1.2024)

Hinweis: Die "Semesterfrage" ist eine entgeltliche Einschaltung in Form einer Kooperation mit der Universität Wien. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim STANDARD.