Der Mensch ist arm ausgestattet: Wir haben keine natürlich schimmernden Schuppen oder Federkleider, um zu beeindrucken. Dafür schmücken wir uns gern mit Glitzer. Manche weniger, andere mehr. Als ich mich mit anderen Hobbytänzerinnen zu einer Charleston-Tanzgruppe zusammenfand, war die Vorliebe für Glitzer schnell ein gemeinsamer Nenner. Zu Silvester tut es uns der Rest der Welt gleich. Jedes Schaufenster glänzt in Silber, Gold und tausenden Pailletten.
Ob dieses Faible vor allem kulturell geprägt ist oder eine biologische Komponente hat, ist unklar. Die Forschung hat sich hier bisher zurückgehalten. Der Psychologe Paul Silvia von der University of North Carolina lieferte immerhin Hinweise darauf, dass wir glänzende Objekte für attraktiver halten als matte. Eine Forschungsgruppe der Wirtschaftswissenschaften vermutete, dass uns Glitzerndes an Wasser erinnert, mit dem evolutionären Vorteil, dass es uns zu dieser lebenswichtigen Ressource führen kann. Das führt offenbar so weit, dass durstige Probanden im Experiment glänzende Oberflächen bevorzugten.
Mythos Elster
Während auch einige Fische erwiesenermaßen glänzende Muster bevorzugen, ist diese These mit Blick auf Elstern und andere Rabenvögel mehr Schein als Sein. Dass diese Glitzer besonders lieben, dürfte eher auf einzelne Tiere, meist junge, neugierige Vögel, zutreffen. Vielleicht haben manche von Menschen gelernt, dass es sich dabei um begehrenswerte Sammelobjekte handelt.
Denn Menschen schmücken sich seit tausenden Jahren mit glänzenden Materialien, von Perlmutt über Edelsteine bis hin zu Metallen. Den nachweisbaren Beginn aller Glitzerleidenschaft setzt Karina Grömer vom Naturhistorischen Museum Wien daher bei der Verarbeitung von Bronze, Gold und Co an. "Die ältesten Goldartefakte der Menschheitsgeschichte findet man in Europa", sagt die Archäologin, genauer gesagt im bulgarischen Warna. Sie sind etwa 6.500 Jahre alt und stammen aus dem Grab eines Mannes. Er wurde mit fast 1000 Goldobjekten bestattet. Das Skurrilste war ein Gegenstand, den Fachleute lange für eine Peniskappe hielten, der aber wohl doch ein anderes Objekt zierte.
Die Faszination für Gold verknüpft auch Grömer mit Lebenswichtigem: "Es glänzt wie die Sonne, ohne die Leben nicht möglich ist." Edelmetalle als Schmuck boten früher pragmatisch die Möglichkeit, Reichtum nicht nur zur Schau zu stellen, sondern auch bei sich zu tragen, ohne dass er heimlich gestohlen wurde, sagt Grömer. "Da ist man selbst sein eigener Tresor." Daneben verwittert das leicht formbare Metall im Gegensatz zu Kupfer oder Bronze nicht. Das bietet nicht nur bei Textilien den Vorteil, dass es Schweiß, Regen und Reinigung trotzt.
Historische Schätze
Von Gold in Kleidung zeugt auch der jüngste österreichische Goldschatz, der 2022 bei ÖBB-Bauarbeiten in Ebreichsdorf (Niederösterreich) geborgen wurde. Zu ihm gehört ein Gewebe aus Goldfäden, das sorgfältig aufbewahrt wurde. "Es muss so kostbar gewesen sein", schwärmt Grömer, die die metallenen Spuren des Textils selbst analysierte. Derartige Zierden waren lange Zeit nur bestimmten Würdenträgern und Edelleuten vorbehalten. Von golddurchwirkten Kleidern sei schon in der Bibel, antiken Erzählungen und Märchen die Rede gewesen, betont die Archäologin, als Sinnbild für das Höchste, Königliche, Göttliche.
Die Modehistorikerin Silke Geppert von der Universität Mozarteum Salzburg unterstreicht: "Was glitzert, hat historisch mit Kostbarkeit, Herrschaft und Macht zu tun." Sie spricht von einer östlichen Prunktradition, die etwa in der noblen Bevölkerung des heutigen Syriens sowie unter mongolischen und islamischen Herrschern kultiviert wurde. Nachdem das Christentum Staatsreligion des Römischen Reiches geworden war und Byzanz unter Kaiser Konstantin zu Konstantinopel, seien an vielen europäischen Höfen Prunk und Glanz verstärkt zum Ausdrucksmittel geworden.
Dazu gehörte nicht nur Gold, sondern auch silbriger Glanz. Polierte Rüstungen konnten beim Feind blendend Eindruck schinden, sagt Geppert: "Zum Teil handelte es sich nur um Showrüstungen für besondere Feste, was spannend ist, weil Glitzer auch im Showbusiness eine Rolle spielt." Glänzende Herren sah man selbst in Jahrhunderten, in denen die Männermode eher auf Zurückhaltung ausgelegt war: "Mindestens bis zum Ersten Weltkrieg glitzert der Mann in seiner silbern oder golden verzierten Uniform."
Ein schillerndes Beispiel für royalen Glanz ist Kaiserin Elisabeth, die sich im Sternenkleid mit passendem Haarschmuck porträtieren ließ. Demokratisiert wurde das funkelnde Auftreten durch die Glasindustrie: Bijouterie-Manufakturen in Gablonz (Jablonec, heute Tschechien) sorgten für erschwinglichen Modeschmuck aus Glasperlen und Pailletten. Aus dieser böhmischen Region kam auch der Glasschleifer Daniel Swarovski, der in Tirol die gleichnamige Schmucksteinmarke gründete.
Luxus und Trash
In den Goldenen Zwanzigern kannte die Showwelt in Sachen Glitzer kein Halten mehr. In der Gemengelage aus afroamerikanischem Jazz und luftig-kurzen Kleidern wurde vor allem in den großen Tanztempeln der Metropolen geswingt und geglänzt. Die Abendmode passte sich an. Die Welt der Stars rückte in greifbare Nähe. "Ich will so ein Glanz werden", schreibt die Protagonistin im Roman "Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun in ihr Tagebuch und träumt vom mondänen Leben in Berlin. Die Filmdiven vor Farbfilmzeiten glänzten nicht ohne Grund: "Auf einer Palette zwischen Schwarz und Weiß sind Oberflächen ein wichtiger Ausdrucksträger im Kostüm", sagt Geppert.
Metall, Pailletten und anderes Glitzerwerk bringen eine besondere Dreidimensionalität in die Kleidung. Es hebt sie hervor, sorgt aber auch für Probleme: Die Applikationen können sich mit der Zeit lösen, sie reiben gegen andere Stoffe und beschädigen sie. Eine spezielle Herausforderung an Träger oder Trägerin. Auch Ginger Rogers und Fred Astaire, die als Tanzpaar durch die Filmwelt fegten, kämpften mit der Mode. Im 1936 veröffentlichten Film "Follow the Fleet" (in Österreich: "Die Matrosen kommen", Deutschland: "Marine gegen Liebeskummer") trug Rogers ein bodenlanges Kleid, so dicht mit funkelnden Perlen bestickt, dass die Tänzerin ihrem Partner mit schwerem Trompetenärmel versehentlich eine Ohrfeige verpasste. Dem Publikum fällt dies kaum auf, Astaire konnte sich aber gut daran erinnern.
Eine weitere Schwierigkeit: Der Grat zwischen Glamour und Trash ist schmal. Aber auch offensichtliche Künstlichkeit und Übertreibung wird gefeiert, nicht zuletzt in der Dragszene, die auf schillernde Outfits setzt. Ironie ist alles, wer sich zu ernst nimmt, hat verloren. "Das wusste schon Coco Chanel, die sich kettenweise Modeschmuck um den Hals gehängt hat, als Persiflage, die damit modern wurde", sagt Geppert.
Neuer Glanz in problematischem Plastik
War es bis dahin kleinteiliger Abfall aus der Glasproduktion, der als Glitzerstaub neues Leben eingehaucht bekam, trat danach das Plastik seinen Siegeszug an. Die Zukunft glänzte ab den 1960er-Jahren modisch in Silber, passend zur Technikeuphorie. Modeschöpfer Paco Rabanne entwarf die berühmten Metallkleider – die polierte Rüstung als Minikleid.
Ein Schlagwort rückt Glitzer neuerdings in ein schlechtes Licht: Mikroplastik. Wenn die schillernden Partikel in Make-up und Nagellack für Wassertiere zur Gesundheitsgefahr werden und tausend Jahre brauchen, bis sie verrotten, drückt das beim Glitzerexzess auf die Stimmung. Im Herbst 2023 setzte die EU ein Verbot von losem Glitzer aus Plastikpartikeln durch, weitere Produkte folgen.
Heute ist daher für viele Bioglitter das Mittel der Wahl, wenn ein bombastischer Auftritt ansteht – zum Trotz aller Glitzerhasser, die gegen den schwer loszuwerdenden Flitter wettern. Eine Alternative zu Plastik ist Staub aus einer Mineralstoffkategorie mit dem Namen Mica. Doch die Bergungsbedingungen sind hochproblematisch, das Material wird oft durch Kinderarbeit gewonnen. Das nachhaltigste Material dürfte beschichtete Zellulose sein.
Beliebte Farben
Noch immer sind Gold und Silber die beliebtesten Farben. Zwar sind Silber und beispielsweise Platin optisch schwierig zu unterscheiden. Doch visuell hat die Edelmetallfarbe laut Geppert einen Vorteil gegenüber Gold: "Goldener Modeschmuck schaut oftmals billig aus und hält nicht sehr lange, was bei silbernen Varianten seltener der Fall ist."
Bei einem der deutschen Glitzer-Marktführer, der fränkischen Sigmund Lindner GmbH, machen Gold- und Silberglitzer die Hälfte bis zwei Drittel des Volumens aus. Die US-amerikanische Konkurrenz Glitterex meldet besonders hohe Nachfrage für silbernen Flitter. Die entsprechende Reportage in der "New York Times" sorgte für unerwartetes Aufsehen, das auch als "The Great Glitter Conspiracy" zusammengefasst wird: In welche Industrie das meiste Glitter wandert, wollte eine Vertreterin partout nicht verraten – nur, dass damit sicher niemand rechne und der Kunde nicht wolle, dass das Geheimnis herauskommt. Damit sorgte sie freilich für noch größeres Interesse und Spekulationen, von militärischem Nutzen bis hin zur Lebensmittelindustrie.
Eine Recherche für den Podcast "Endless Thread" ergab, dass es sich bei der ominösen Anwendung wohl um Farblack für Boote handelt. Dieser müsse für den Glitzereffekt so dick aufgetragen werden, weil das Wasser das Material beeinträchtigen kann. Fraglich bleibt, ob das Rätsel damit tatsächlich gelöst ist. Das Ergebnis blieb vom Unternehmen unkommentiert.
Was gegen Glitzer hilft
Die Nachfrage bei Joe Coburn, der in Deutschland in einem Glitzer-Familienunternehmen gearbeitet hatte, zeigt jedenfalls, dass Glitzer ein überraschend lukratives Geschäft war, zumindest, bevor die Konkurrenz den Preis drückte. "Mein Vater verglich die Gewinnspannen mit Kokain", erzählt Coburn im Podcast – immerhin werde die Substanz grammweise für viel Geld verkauft. Auf der Plattform Reddit teilte Coburn außerdem Tipps, um frisch verteilten Glitzer einzufangen: Klebeband hilft, oder Druckluft, wenn entsprechende Apparate zur Verfügung stehen.
Für Glitzerliebhaber darf es auch im Alltag manchmal eine Prise Schimmer sein. "Letztens sind mir wieder ältere Damen mit Glitzerschuhen aufgefallen, die aussahen, als wollten sie bei diesen kurzen Tagen mehr Licht in die Welt bringen", sagt Modehistorikerin Geppert. Das sei so ähnlich wie zu Silvester seine Hoffnungen allegorisch per Feuerwerk zu den Göttern zu schicken.
Im grauen Haar der Damen und Herren zeigen sich im Übrigen ebenfalls silbern glänzende Strähnen. Somit hat der Mensch doch eine natürliche Glitzerquelle – es besteht also auch in dieser Hinsicht Hoffnung, zumindest im Alter zu glänzen. Sonst müssen wir eben noch in fortgeschrittenem Alter zum Charleston-Tanzen Glitzerkleider überwerfen. (Julia Sica, 31.12.2023)