2022 wurde ein Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi zum ersten Stein des Anstoßes.
2022 wurde ein Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi zum ersten Stein des Anstoßes.
IMAGO/Hartenfelser

Kassel - Der Antisemitismus-Eklat um die Documenta fifteen, der kürzliche Rücktritt der Findungskommission für die Künstlerische Leitung der Documenta 16: Die Weltkunstausstellung in Kassel steht vor großen Herausforderungen. "Unser Ziel muss es sein, zu zeigen, dass es in Deutschland weiterhin möglich ist, kritische Kunst zu präsentieren", sagte Geschäftsführer Andreas Hoffmann. "Wir müssen die Kunstfreiheit sicherstellen und gleichzeitig klar machen, dass die Documenta in einem Land mit einer Geschichte stattfindet – in dem Land, das die Shoah erfunden hat mit der grausamen Ermordung von sechs Millionen Juden", so Hoffmann. Es müsse in dieser in der Geschichte der Documenta einzigartigen Situation vor allem darum gehen, Vertrauen zurückzugewinnen. In der Rücktrittsbegründung der Findungskommission würden Zweifel daran deutlich, ob in Deutschland der Rahmen aktuell ausreichend gegeben sei, kritische Kunst zu präsentieren. "Offensichtlich gibt es den Vorbehalt der Zensur beziehungsweise der verunmöglichten Debatte", so Hoffmann.

Mit Blick auf die kommende Documenta betonte Hoffmann: "Eins ist klar: Es darf und wird keine Vorabprüfung der Kunst durch die Geschäftsführung oder Gremien geben. Bei Beiträgen, die sich als antisemitisch herausstellen oder andere Inhalte zeigen, die in den Bereich der gruppenspezifischen Menschenfeindlichkeit weisen, haben wir aber die Möglichkeit des unmittelbaren Dialogs, der Kontextualisierung und – aber das nur im Rahmen der strafrechtlichen Relevanz – Werke im Extremfall auch gegen den Willen der Künstlerischen Leitung aus der Ausstellung zu nehmen."

Bereits die Documenta fifteen im vergangenen Jahr war von einem Antisemitismus-Eklat überschattet worden. Nach erneuten Antisemitismus-Vorwürfen gegen ein Mitglied der Findungskommission für die Künstlerische Leitung der Documenta 16 war Mitte November zunächst dieses Mitglied und später die gesamte Findungskommission zurückgetreten.

Bericht mit Empfehlungen

Mitte Dezember war daraufhin seitens der Documenta und der Museum Fridericianum GmbH ein Abschlussbericht mit 22 Empfehlungen zur Organisationsentwicklung vorgelegt worden. Auf 46 Seiten betrafen die Empfehlungen die Führungsstruktur ebenso wie die Ablauf- und Aufbauorganisation. "Ziel der Organisationsentwicklung ist die Etablierung von wirkungsvollen Maßnahmen gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit bei vollständigem Schutz der Kunstfreiheit sowie die Erhöhung der Krisenresilienz und der Zukunftsfähigkeit der gemeinnützigen Documenta und Museum Fridericianum GmbH", hieß es.

Die Ereignisse auf der Documenta 15 hätten gezeigt, dass die Organisation der weltweit bedeutendsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst nicht über die geeigneten Instrumente, Strukturen und Verfahren verfügt habe, um der Situation adäquat zu begegnen, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende, Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne), laut Mitteilung. Für die Zukunft der Schau sei von zentraler Bedeutung, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen. Die zuständigen Gremien der Documenta würden daher "mit größter Umsicht dafür Sorge tragen, klare organisatorische Rahmenbedingungen für künftige Ausstellungen zu beschließen, die die Gewährleistung künstlerischer Freiheit für Kuratorium, sowie Künstlerinnen und Künstler unmissverständlich garantieren und gleichzeitig wirksame und effektive Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus implementieren." Hierfür biete der Abschlussbericht eine hervorragende Grundlage. "Sobald die Gremien der Documenta abschließend über die Empfehlungen der Organisationsuntersuchung beschlossen haben, wird der Findungsprozess für eine Künstlerische Leitung neu gestartet", kündigte Schoeller an. Dies sei für das erste Quartal 2024 vorgesehen.

Zu den Empfehlungen zählt die Beibehaltung der Findungskommission mit Anpassungen sowie die Implementierung zweier Verhaltenskodexe, die den Schutz der Menschenwürde sowie der Kunstfreiheit gewährleisten sollen. Ferner rieten die Verfasser des Berichtes, den Aufsichtsrat als Hauptgremium für die Überwachung zu betonen und zugleich von neun auf fünf Mitglieder zu verkleinern. Der Bund solle in dem Gremium einen stimmberechtigten Sitz erhalten. Gesellschafter soll er den Vorschlägen zufolge aber nicht werden. Entsprechende Forderungen waren im Zuge des Antisemitismus-Eklats im vergangenen Jahr aufgekommen. Darüber hinaus riet die Unternehmensberatung, einen wissenschaftlichen Beirat einzuführen. Er soll demnach aus sechs oder neun Personen aus dem künstlerisch-kuratorischen Bereich bestehen, die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat beraten und stimmberechtigt im Aufsichtsrat vertreten sein.

2027 nächste Ausgabe

Empfohlen wurde ferner eine "klare und verbindliche Aufgabenteilung zwischen Geschäftsführung und Künstlerischer Leitung der Ausstellung", die Entwicklung eines neuen und eindeutigen Organigramms der gGmbH sowie eine "eindeutige Definition eines sogenannten "Management Boards" bestehend aus Geschäftsführung, Künstlerischer Leitung und den Mitgliedern der zweiten Führungsebene".

Die Documenta gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst. Die 16. Ausgabe der Schau soll vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel stattfinden. (APA, 3.1.2024)