Illustration: Der größere Nanotyrannus attackiert einen jungen T. rex. Beide sehen aus wie mit mehrfarbigem Federflaum versehen.
Nanotyrannus (links) hat mit dem juvenilen T. rex ein Hühnchen zu rupfen. Doch mit der neuen Studie ist der Kampf darum, ob die Skelettfunde zu jungen Tyrannosauriern oder einer anderen Gattung gehören, noch nicht ausgefochten.
Raul Martin

In der Paläontologie kommt es durchaus auf die Größe an. Finden Forschende fossile Knochen, die anderen ähneln, aber kleiner sind, dann eröffnet das die Frage: Handelt es sich um eine eigene Art oder womöglich ein Jungtier? Oder könnte es sogar sein, dass man es mit einer ungewöhnlichen Variante wie Kleinwüchsigkeit zu tun hat, wie es auch einst für die ausgestorbene Menschenspezies des Homo floresiensis in Indonesien in Betracht gezogen wurde?

Was Dinosaurier angeht, führt dies insbesondere um den bekanntesten und besterforschten Vertreter, den Tyrannosaurus rex, zu hitzigen Debatten rund um die Grenzen dieser Art. Vor zwei Jahren wurde etwa die Hypothese veröffentlicht, dass die bisher gefundenen Exemplare in mehr als eine Spezies zu kategorisieren seien. Der Paläontologe Gregory Paul und sein Team schlugen daher Tyrannosaurus imperator und Tyrannosaurus regina als zwei weitere Artbezeichnungen vor, quasi ein royales Trio. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten.

An diesem Beispiel kann man in der Diskussion zwei Typen ausmachen: Die Splitter tendieren dazu, Unterschiede als Anlass für neue Artbezeichnungen aufzufassen. Die Lumper (vom Englischen "to lump (together)" für "zusammenlegen") tun das Gegenteil und fassen eher großzügig zusammen, weil eben nicht jedes Individuum exakt gleich aussieht.

Nano lässt sich nicht lumpen

Ein weiterer Streitpunkt, der noch mehr mit der Größe zu tun hat, ist der sogenannte Nanotyrannus. Bei manchen kleineren Fossilien, die T. rex zugeordnet wurden, lässt sich darüber debattieren, ob diese zu einem noch nicht ausgewachsenen Exemplar gehören oder eine eigene Spezies beziehungsweise Gattung repräsentieren. Vor vier Jahren wurde eine Studie veröffentlicht, die den Nanotyrannus-Fans den Garaus machen sollte und zugunsten des jugendlichen T. rex argumentierte.

Nun folgt die nächste Retourkutsche. Die Splitter Nicholas Longrich von der University of Bath in Großbritannien und Evan Saitta von der Universität Chicago in den USA schreiben im Fachblatt "Fossil Studies" über Nanotyrannus lancensis, den entfernten Cousin des T. rex. Er sei kleiner und habe – im Gegensatz zu den ikonischen Stummelärmchen des berühmten Dinos – etwas längere Arme.

Ihre Neuanalyse der strittigen Fossilien, von denen eines schon seit 1942 bekannt ist, soll die Frage endgültig zugunsten des Nanotyrannus klären: "Dies scheint das Ende der Hypothese zu sein, dass diese Tiere junge T. rex sind", wird Longrich in einer Aussendung der Universität Bath zitiert. Auch er habe einst zu den Nanotyrannus-Skeptikern gehört, "bis ich vor etwa sechs Jahren einen genauen Blick auf die Fossilien warf und überrascht feststellte, dass wir uns all die Jahre geirrt hatten".

Wachstumsringe bei Sauriern

Das stärkste Argument dürfte die Analyse der Wachstumsringe sein. Ähnlich wie bei Bäumen finden sich auch in den Knochen vieler Wirbeltiere bei genauem Hinsehen etwas Ähnliches wie Jahresringe. Sie entstehen abhängig von den Lebensphasen und Ernährungsbedingungen, eine interessante Studie rekonstruierte anhand der Stoßzähne eines Mammuts sogar dessen lebenslange Reiseroute. Die Dinosaurierknochen verrieten durch ihre nach außen hin dichteren Wachstumsringe, dass sie immer langsamer wuchsen.

Dies spricht den Paläontologen zufolge dafür, dass sie bereits am Ende ihres Größenwachstums angekommen waren. Junge Exemplare hingegen müssten sich noch in Phasen schnellen Wachstums befinden, in denen sie jährlich hunderte Kilogramm zunehmen sollten. Solch deutliche Resultate wie in seinen Analysen hatte Longrich nicht erwartet: "Als ich diese Ergebnisse sah, war ich ziemlich überwältigt."

Zwei Dinosaurierschädel
Diese Schädel gehören den Studienautoren zufolge zu zwei verschiedenen Arten. Andere vermuten, dass es sich beim unteren Schädel (der nicht maßstabsgetreu, sondern wesentlich kleiner ist) um ein Jungtier handelt.
Nick Longrich

Modellrechnungen ergaben, dass Nanotyrannus maximal 900 bis 1.500 Kilogramm schwer wurde und nicht größer als fünf Meter. Dies stehe im Gegensatz zu den riesigen T.-rex-Vertretern, die bis zu acht Tonnen wiegen und mehr als neun Meter groß werden könnten. Damit würde Nanotyrannus nicht einmal ein Fünftel der Größe eines T. rex erreichen, schätzen die Autoren.

Von Dinos und Kätzchen

Darüber hinaus argumentiert Longrich, dass Jungtiere verwandter Spezies den ausgewachsenen Tieren in vielen typischen Merkmalen ähnlich seien. Das gelte für den ostasiatischen Tarbosaurus, den manche Fachleute ebenfalls in die Kategorie der Tyrannosaurier stecken. Der Studienautor greift zu einem anschaulichen Vergleich: Die Jungtiere der verschiedenen Tyrannosaurier hätten ein charakteristisches Aussehen, "so wie Kätzchen, die Katzen ähnlich sehen, während Welpen Hunden ähneln".

Nanotyrannus sehe aber überhaupt nicht wie ein T. rex aus. Er sei nicht nur wesentlich kleiner gewesen, sondern auch agiler und mit etwas längeren Armen ausgestattet, die auch als Waffen dienen konnten. "T. rex war groß und stark, aber dieses Tier setzte auf Geschwindigkeit."

Bei seinen Recherchen ist das Forschungsteam auch auf ein Exemplar eines jungen Tyrannosaurus gestoßen, der mit anderen nicht identifizierten Knochen in einer Museumskiste gelandet und vergessen worden sei. Ansonsten gibt es der Ansicht der Autoren zufolge aber keine bekannten Fossilien von T.-rex-Jungtieren. Dieses Exemplar habe einen Schädelknochen, der jenem eines erwachsenen Tieres ähnlich sehe und darin von Nanotyrannus abweiche. "Junge T. rex existieren, sie werden nur unglaublich selten gefunden, wie die Jungtiere der meisten Dinosaurier."

Einspruch der Lumper

Doch dies sehen nicht alle Experten so. Wie die Plattform "Live Science" berichtet, kritisiert etwa Thomas Carr vom Carthage College Wisconsin die Studie. Er kritisierte bereits das Modell von T. rex, T. regina und T. imperator, ist also ein Lumper. Er habe selbst mehr als zehnmal so viele Unterschiede zwischen juvenilen und adulten Tyrannosauriern entdeckt wie die neue Forschungsarbeit. Aber damit sei zu rechnen: "Die Autoren scheinen mit den Wachstumsvariationen bei Tyrannosauriern nicht ausreichend vertraut zu sein."

Der Paläontologe David Hone von der Queen Mary University of London gibt zu bedenken, dass die neue Studie einige alte Ideen aufgreife, die aber nicht an Überzeugungskraft gewonnen hätten – "und es gibt einige neue Ideen, die meistens auch nicht ganz überzeugend sind". Allerdings kann er sich gut vorstellen, dass es weitere Spezies in der Tyrannosaurus-Gattung gibt, obwohl derzeit in konservativer Betrachtungsweise mit dem T. rex nur eine gültig sei. Immerhin sei es "merkwürdig, dass Tyrannosaurus in seinem Ökosystem offenbar ein einzigartig großes Raubtier zu sein scheint".

Letztendlich wird die Debatte wohl nicht geklärt werden, bis es keine Nachweise für junge sowie erwachsene Exemplare von T. rex und Nanotyrannus gibt – und diese von weiten Teilen der Fachwelt auch als solche anerkannt werden. Auch wenn dieser Nachweis noch nicht erbracht ist, geben die Worte von Longrich und Saitta zu denken. Sie schreiben, dass es einfach schwierig ist, Dinosaurier angesichts ihrer meist unvollständigen Skelette zu unterscheiden. Somit werde ihre Vielfalt – und die anderer fossiler Arten – vermutlich unterschätzt. (Julia Sica, 5.1.2024)