Ein E-Auto inmitten einer apokalyptisch anmutenden Landschaft
Nickelgewinnung geht nur mit viel Chemie und Energie.
Illustration: Lukas Friesenbichler; Fotos: AFP (7), Imago (2), APA, Tesla

Es ist eine apokalyptische Szene, als tue sich im Paradies die Hölle auf: Eine Frau mit rosa Kopftuch stakst umgeben von toxischen Rauchschwaden durch einen Haufen brennenden Müll. Sie lächelt durch eine klaffende Zahnlücke in ihrem Mund. Viel sagt sie nicht über ihre Arbeit, nur dass es früher sogar schlimmer gewesen sei. "Da mussten wir noch länger arbeiten, jetzt sind es nur mehr acht Stunden am Tag." Die Frau setzt sich neben ein Mädchen mit einer Lippenspalte, das 13 Jahre alt sein soll, aber eher halb so alt wirkt. Als westlicher Besucher möchte man dem Elend ein Ende bereiten – oder zumindest einen Schuldigen finden: das chinesische Unternehmen zum Beispiel, das nur wenige Meter hinter den beiden Nickel verarbeitet. Doch so einfach ist es nicht in Morowali.

Morowali ist der Name eines Regierungsbezirks auf der indonesischen Insel Sulawesi. Die Gegend wirkt wie ein Straßendorf entlang einer mehrere Hundert Kilometer langen Teerstraße, an deren Rändern fast immer Häuser sind, die aber manchmal zu einer Stadt anschwellen. Der Ort liegt an der Ostküste von Sulawesi und war bis vor wenigen Jahren das, was man im Englischen "backwater" nennt – ein peripheres, wirtschaftlich unwichtiges Hinterland, in dem es außer Fischen und ein bisschen Muskatnuss nicht viel zu holen gab. Paradiesisch hätte man es nennen können, wenn man die Moskitos, die drückend-feuchte Hitze und das völlig Fehlen einer Infrastruktur ignorierte. Dann kamen die Energiewende, die Elektromobilität und die Chinesen.

Denn in Morowali gibt es Nickel. Viel Nickel. Es ist notwendig zur Herstellung von Batterien für E-Autos. Rund 22 Prozent der global bekannten Vorkommen lagern hier. Die New York Times nannte Indonesien deswegen schon einmal das "Saudi-Arabien des Nickels". 2013 wurde der Indonesia Morowali Industrial Park (IMIP) gegründet – ein Joint Venture aus den indonesischen Unternehmen PT Bintangdelapan Investama und PT Sulawesi Mining Investment sowie der chinesischen Shanghai Decent Investment, Tochter des Konzerns Tsingshan.

Viel Geld aus China

Der damalige indonesische Präsident Susilo Bambang Yudhoyono und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping einigten sich auf die Großinvestition: Rund 1,2 Milliarden US-Dollar stellte die China Development Bank bereit, damit chinesische Unternehmen Nickel abbauen können. Der Betrag ist um ein Vielfaches gestiegen. Mittlerweile siedelten sich sich 53 Unternehmen an, die Rede ist von 300.000 Arbeitern.

Große Kräne auf der Insel Sulawesi. 
Es ist nicht lange her, da war Morowali Niemandsland. Mit der Nachfrage nach Rohstoffen für die Energiewende im Westen hat sich das geändert.
Philipp Mattheis

Denn zwischen 2009 und 2020 hat das Land den Export von Nickel immer weiter erschwert, um größere Teile der Wertschöpfung im Land zu behalten. In der Folge hat China seinerseits Nickelverarbeitungswerke nach Indonesien verlagert. Rund 14 Milliarden US-Dollar investierte Tsingshan in Schmelzhütten vor Ort: Dort wird aus dem Nickelerz sogenanntes Nickel-1 gewonnen, mit dem die Batterien für Elektrofahrzeuge hergestellt werden. Eine Tochter von Tsingshan, der Batteriehersteller REPT, ist im Dezember an die Börse gegangen. Aber auch der weltgrößte Batteriehersteller CATL bezieht von Tsingshan Nickel. Und es geht immer weiter.

"24 Stunden Musik", sagt Syafaat sarkastisch – er meint die Baustelle hinter seinem Haus, deren Lärm Unterhaltung anstrengend macht. Früher hätten er und seine Freunde sich hier auf der Veranda getroffen. "Seit die Baustelle da ist, will keiner mehr kommen." Nicht weit davon an der Küste sieht man ein Beton-und-Stahl-Gerüst. Türme ragen hoch in den Himmel, die nachts beleuchtet sind. Das Kraftwerk soll Strom für die Minen und Schmelzhütten schaffen. Betrieben werden soll es mit Kohle. Vor fünf Jahren baute Syafaat sich hier ein Haus für seine Frau und seinen Sohn – nichts Spektakuläres, aber komfortabel genug für eine Familie. Es liegt zwischen dem Meer und einer Straße, der einzigen, die durch diesen Teil der Insel führt. Öffnet man die Haustür, blickt man auf einen zur Hälfte kahl rasierten Hügel. "Das wurde in den vergangenen zwei Jahren abgeholzt", sagt er. "Und es geht weiter." Die Dauerlärmbelästigung ist das geringste Problem des 41-Jährigen und vieler anderer Dorfbewohner.

Batterientreiber Nickel

Syafaat hat einen Rechtsstreit mit der Nickelmine am Laufen. Es geht um einen Stall für seine 50 Kühe. Er liegt nicht weit vom Minengelände entfernt, wo hektisch Lkws auf und ab fahren. Baracken für die Arbeiter reihen sich aneinander. Zum Streitobjekt führt ein kleiner Weg durch Gestrüpp und Palmen. Der hölzerne Freiluftstall steht dort seit zwei Jahren. Genutzt hat er ihn nicht, die Minengesellschaft kam dazwischen. Die Kühe, sagt Syafaat, laufen jetzt irgendwo auf den ehemaligen Reisfeldern herum. Die Bewässerung für diese musste aufgegeben werden. Die Nickelminen brauchten eine Straße.

Versprochene Entschädigungen, die nie gezahlt wurden, Enteignungen, Rechtsstreits sind an der Tagesordnung in Morowali, dem größten Nickelabbaugebiet der Welt. Der daraus entstandene Frust addiert sich zu den gewaltigen Umweltschäden, die der Abbau verursacht.

Nickel braucht man zur Herstellung von Stahl – und neuerdings vor allem von Batterien, integralem Bestandteil von Elektrofahrzeugen. Für eine Li-Ionen-Batterie sind die Metalle Nickel, Lithium, Kobalt, Grafit und Mangan nötig. Man kann also sagen: ohne Nickel keine Energiewende. Und weil die Umstellung von Verbrennermotoren auf E-Autos im Westen beschlossen ist und China diesen Markt dominieren will, steigt die Nickelnachfrage: Die internationale Energiebehörde IEA geht von einer Verzehnfachung bis ins Jahr 2030 aus. Lag der globale Verbrauch 2018 bei 65.000 Tonnen erwartet man 2030 925.000 Tonnen.

Eine Frau steht auf einer Müllhalde. 
Früher musste sie noch länger arbeiten, sagt sie: "Jetzt sind es nur mehr acht Stunden am Tag."
Philipp Mattheis

Was das bedeutet, kann man in Morowali beobachten. Den ganzen Tag über sieht man sie: junge Männer mit gelben Helmen auf kleinen Motorrädern. Irgendwo ist immer gerade Schichtende oder Schichtbeginn. Sie sind kaum älter als 30 Jahre, die Körper zierlich und zäh. Viel zu tun gibt es nach Feierabend nicht in dem islamisch geprägten Ort. Alkohol ist verboten. Die Vergnügungen beschränken sich auf Kaffeetrinken, Handyspiele und Besuche von "Massage Spas" – Bretterbudenbordellen alle 100 Meter.

Von den chinesischen Arbeitern bekommt man nichts zu sehen. Die chinesischen Angestellten leben abgeschirmt von der lokalen Bevölkerung auf einem umzäunten Gelände. Dort gibt es chinesische Restaurants, Wäschereien, Karaokebars – und keinen Grund, die Fabrik zu verlassen. Der Morowali-Industriepark verfügt zudem über einen eigenen Flughafen. Dröhnende Lkws bringen ihre Ladung auf Schiffe oder direkt in die gewaltigen Hüttenwerke: rotbraune Erde, aus der in einem langwierigen Prozess das Nickel-1 gewonnen wird. Dieses wird auf Schiffe verladen, Richtung China gebracht und in sogenannten Mega-Factorys in Batterien verarbeitet. Auch hier scheint die Volksrepublik uneinholbar in Führung: China verfügt derzeit über 77 Prozent der globalen Kapazitäten zur Herstellung von Batterien. Weit abgeschlagen folgen Polen, Ungarn, die USA und Deutschland.

Aufwendige Produktion

"Europäische Batterienhersteller gibt es eigentlich nicht. Das hat man aufgegeben, weil es zu kapitalintensiv ist", sagt Jochen Siebert von der Unternehmensberatung JSC aus Singapur. "China dominiert den Markt. Im Falle eines Konflikts in der Taiwanstraße würden europäische Autohersteller blank dastehen."

Die Ursprünge dieser Entwicklung liegen weit zurück. Schon in den 1980er-Jahren gab Deng Xiaoping die Devise aus: "Der Nahe Osten hat Öl, China hat seltene Erden." China begann so, der größte Produzent von seltenen Erden zu werden. Gleichzeitig schlossen westliche Staaten ihre Minen wegen der hohen Umweltbelastung. Selten nämlich ist zumindest Nickel nicht, im Gegenteil: In der Erdkruste zählt es zu den am fünfthäufigsten vorkommenden Metallen. Das Problem ist nur: Nickel findet man selten allein, sondern meist mit anderen Stoffen wie Zink, Kobalt, Kupfer, Eisen oder Arsen.

Zwischen kleinen Häusern sind Wäscheleinen - behängt mit bunter Wäsche - gespannt.
Morawali liegt an der Ostküste von Sulawesi. Es wuchert - unkontrolliert und ohne Regeln.
Philipp Mattheis

Das silbern schimmernde Metall zu filtern und zu verfeinern ist die eigentliche Herausforderung. Dies geht nur unter massivem Einsatz von Chemikalien und Energie. Die Kraftwerke in Morowali verbrauchen sechs Millionen Tonnen Kohle im Jahr. Und selbst im chinesischen Staatskapitalismus wird der Preis in Form von Umweltschäden langsam zu hoch. Nach 2010 begann China vermehrt, außerhalb der Staatsgrenzen Rohstoffe abzubauen, vor allem Kobalt im Kongo und Nickel in Indonesien.

Die Überraschung kam im Frühjahr 2023. Als sich der Vorhang nach zwei Jahren strikter Zero-Covid-Politik in China wieder lüftete, überschwemmte Peking plötzlich den Markt mit Elektrofahrzeugen aus heimischer Produktion. Exportierte das Land 2018 600.000 Autos, waren es 2022 2,6 Millionen. Im selben Zeitraum verfünffachte sich die Produktion von Elektrofahrzeugen. Zwar hat Tesla einen globalen Marktanteil von über 50 Prozent. An zweiter Stelle aber folgt der chinesische Hersteller SAIC. In China dominiert BYD das Geschäft. Bis 2025 will China jedes Jahr sieben Millionen E-Fahrzeuge herstellen und 54 Prozent des globalen Marktanteils besitzen.

Schwere Hautreizungen

Die Luft ist dick und trüb. Der aufgewirbelte Staub kann sich mit toxischen Metallen vermischen und so Atemwegserkrankungen bis hin zu Lungenkrebs verursachen. Überall liegt Müll herum. Vor allem aber beschäftigt die Menschen in Morowali das Wasser. Mit den Unternehmen kam zwar ein gigantischer Wirtschaftsaufschwung. Nur sind sich viele nicht sicher, ob der nicht mehr Schlechtes als Gutes brachte.

Amit ist 43 Jahre alt, klarer Blick und gerade Haltung. Er war lange Fischer. Den Job hat er aufgegeben. Die Fangquoten gingen massiv zurück, als die Fabriken kamen. Jetzt betreibt er eine Art Wassertaxi für Leute, die schnell zu den Häfen müssen, auf denen die nickelhaltige Erde für die Schmelzereien entladen wird. Sein Sohn turnt auf ihm herum. "Es reizt die Haut", sagt er. "Wenn wir uns duschen, juckt danach der ganze Körper." Das Meerwasser ist rotbraun gefärbt, genauso wie das Wasser der Flüsse. Wie viele Leute in Morowali Arbeit gefunden haben, weiß niemand genau. Statistiken gibt es nicht. Jemand erzählt, die Unternehmen würden bis zu tausend Bewerbungen am Tag bekommen. Und genauso wuchert Morowali auch: unkontrolliert, ohne Regeln und vor allem ohne Regulationen.

Amit (Mi.) gab seinen Job als Fischer auf. Mit den Fabriken blieben Fische aus - und andere Jobs kamen.
Kobalt
Philipp Mattheis

Wut auf die Chinesen gibt es – aber dabei geht es in erster Linie um Gehälter. Als sich herumsprach, dass chinesische Arbeiter mehr verdienen als indonesische, kam es zu Protesten in Morowali. Die chinesischen Unternehmen lassen ihre Arbeiter seitdem nicht mehr vom Firmengelände. Jabir, ein aufgeweckter 29-Jähriger, reißt eine Muskatnuss vom Baum: "Deswegen sind die Holländer hierhergekommen und haben Kriege geführt, verrückt nicht?" Er hat sich mit anderen dafür eingesetzt, dass sein Dorf frei von Minen und Schmelzereien bleibt – das einzige in der Region. Auf seinem Grundstück, auf dem er Bananen, Nelken und Muskatnüsse anbaut, bekommt man eine Ahnung, wie Morowali früher ausgesehen hat: Hühner laufen herum, bald beginnt dichter Urwald. Ein idyllisches, aber auch entbehrungsreiches Leben. "Wir haben nichts gegen die Chinesen, wir haben nichts gegen die Nickelminen", sagt er. "Aber all das muss geordnet stattfinden, wir brauchen Regeln und Vorschriften, an die sich alle halten."

Die Hoffnung lebt

Auch wenn Morowali derzeit wie ein tropischer Albtraum aussieht, gibt es Hoffnung – selbst auf der Müllhalde, wo Menschen Plastikflaschen sortieren. Davis ist ein junger Mann mit einer modischen Brille. Er hat Recyclingtechnik studiert und vor einigen Monaten die Leitung der Müllhalde übernommen. Stolz zeigt er auf einen gepressten Ziegel aus Plastik – das Resultat der vorher aussortierten Plastikflaschen, die vom Papier und anderen Resten befreit gepresst wurden. Bezahlt wurde die Pressmaschine von der Stadtverwaltung, um das Müllproblem besser zu bekämpfen. Ziel ist es nun, dass die Nickelunternehmen sich finanziell daran beteiligen. Eine zumindest kleine Besserung.

Denn der Nickelboom, hinter dem die hohe Nachfrage im Westen nach vermeintlich sauberer Energie steckt, ist nicht per se schlecht. Aber ohne verantwortungsbewussten Abbau der Rohstoffe wird er zu einem Desaster für Mensch und Umwelt. (Philipp Mattheis aus Morowali, 7.1.2024)