Runway Show mit Auto und Brautkleid
In China werden auch rosa Autos gekauft. Nicht nur zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten. Belächelt werden die E-Autos aus der Volksrepublik längst nicht mehr.
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Sie kamen auf leisen Sohlen – ohne heulende Motoren und röhrende Auspuffe. Aber nun sind sie da – und das ziemlich laut. Zumindest dort, wo die Musik für die Autobranche spielt. "Die IAA der Chinesen", "Showtime für BYD, Nio, SAIC, Xpeng", "die China-Kracher der IAA" – deutsche Medien überschlagen sich förmlich mit ihren Schlagzeilen anlässlich der großen Automesse in München. Die Botschaft ist schwer zu missverstehen: Die Chinesen kommen!

Das Auto, aus dem die Träume sind

Kein Zweifel: Chinesische Autobauer haben in München ihren großen Auftritt, plötzlich kommt man an den Namen, die einem noch gar nicht so recht über die Lippen wollen, nicht mehr vorbei. Mit der E-Mobilität fahren sie ins Rampenlicht. Beim großen Nachbarn Deutschland hat sich der Marktanteil der aus dem Reich der Mitte gelieferten Elektroautos im ersten Jahresviertel auf gut 28 Prozent mehr als verdreifacht. Weltweit verschieben sich die Gewichte gewaltig. BYD ist beim Absatz auf Platz eins, vor Tesla und VW. Auch hierzulande sind die Stromer aus China angekommen. Man sieht sie auf mächtigen Werbeplakaten prangen, in Autozeitungen werden sie wohlwollend besprochen. Wie machen die das? Wie kann es sein, dass ein Land, das lange als die Werkbank der Welt gegolten hat, so plötzlich auf der Überholspur ist? Von null auf 100 quasi in zehn Sekunden?

BYD ist so ein Beispiel, Dominator bei E-Autos in China und der einzige Player, der als Batteriehersteller begonnen hat. BYD wird 2023 nach Einschätzung von Fachleuten weltweit 2,5 Millionen Fahrzeuge produzieren und verkaufen. Das Auto, aus dem die Träume gebaut sind – BYD ist die Abkürzung für Build Your Dreams (gesprochen Bi-Wai-Di) –, will die Welt erobern. Atto 3, Tan, Hang, die ersten Modelle sind in Österreich schon zu haben, weitere folgen noch heuer. Bald wollen die Chinesen mit einem kompakten E-Auto anrollen. In Österreich zum Preis von 30.000 Euro. Es soll abzüglich Förderungen bei der magischen 25.000-Euro-Grenze landen. Ein E-Auto für die kleinere Geldbörse – vielleicht für den Massenmarkt. Während die Konkurrenz noch heftig darum strampelt, ein solches Modell ins Rennen schicken zu können. VW will erst 2025 E-Autos für unter 25.000 Euro anbieten.

Auch E-Autos wollen in Szene gesetzt sein. Ob hier ein Männchen vom Mars im Anrauschen ist, ist nicht ganz einfach auszumachen.
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Klasse statt Masse

Lange wurden chinesische Autos in Europa bestenfalls belächelt. Sie fielen bei Sicherheitstests durch und blamierten sich nicht selten bei der Qualität. Ist das also ein harmloses Strohfeuer, oder muss man damit rechnen, dass die Chinesen nachhaltig Erfolg haben werden? Für Deutschland mit seiner gewichtigen Autoindustrie und damit für die heimischen Zulieferer ist das eine enorm wichtige Frage. Die Chinesen können nicht mehr nur Masse, sondern auch Klasse, urteilt Jürgen Pieper, Analyst beim deutschen Bankhaus Metzler. "Die Modelle sind gut", sagt er anerkennend. Sehr gut sogar. Die Chinesen hätten mittelfristig gute Chancen, die Deutschen zu überrunden, meint er. Ausreichend Finanzmittel und Durchhaltevermögen hätten sie.

Influencerin bei der Auto-Show 2023 in Shanghai
Ein Handy ist nicht genug – auf der Automesse in Schanghai drängeln sich Influencerinnen vor coolen Fahrzeugen und beglücken ihre Follower mit Liveübertragungen.
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Enttäuschendes deutsches Angebot

Nicht dass die deutschen Autobosse nichts nach München mitgebracht hätten. Mercedes-Chef Ola Källenius stellt für 2025 ein "Ein-Liter-Auto der Elektromobilität" in Aussicht, mit einem Stromverbrauch halb so hoch wie jener der heutigen Fahrzeuggeneration. BMW, Audi, VW, die großen Autobauer, haben in München natürlich auch E-Autos im Gepäck. Analyst Pieper sieht das deutsche Angebot aber skeptisch. Vor allem die jüngere Kundschaft fühle sich von den Stromern aus China angesprochen, sagt er. "Teilweise sind die Autos moderner als die der Europäer." Die E-Modelle der deutschen Konkurrenz überzeugen ihn nicht, zudem dauere die Entwicklung zu lange. Chinas Hersteller schaffen das Vielfache in der halben Zeit. Was bei den Deutschen herauskomme, seien teilweise Modelle wie "abgelutschte Bonbons".

BYD-Österreich-Manager Danijel Dzihic bewirbt seine Produkte als "elektrische Christbäume": Chinas Kunden erwarten ein digitales Rundumerlebnis im Auto. In den Autos sei "einfach alles drinnen", verspricht Dzihic.

Chinas Autoindustrie habe tatsächlich kräftig aufgeholt, bestätigt der deutsche Experte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM). Laut seinem "Innovationsreport" haben chinesische Automobilhersteller im globalen Ländervergleich erstmals bessere Karten bei der Innovation als deutsche. Ihre Stärke: E-Mobilität, Konnektivität. Zwar finden sich einzelne deutsche Autobauer an der Spitze, aber alles in allem hätten die Chinesen die Deutschen überholt. Sie punkten bei Reichweite und Ladeleistungen und seien "mittlerweile auch in puncto Innovation und Qualität mindestens auf Augenhöhe mit den Mitbewerbern aus Deutschland und den USA", lautet Bratzels Urteil. Die deutschen Modelle seien teilweise nur noch teurer, keineswegs aber qualitativ besser.

Eine Frage des Preises

Um rund 41 Prozent liege der Durchschnittspreis chinesischer E-Modelle in China unter dem Preis in Deutschland, rechnet Experte Ferdinand Dudenhöffer vor. Zwar wollten Chinas Autobauer in westlichen Ländern höhere Preise als am Heimmarkt durchsetzen. Auch der Markteintritt – Import, Handel, Werbung – koste Geld. Dennoch bleibe ein Kostenvorteil. Analyst Pieper schätzt ihn auf zehn Prozent.

Niedrigere Kosten, Innovationsfreude: Um das Gesamtbild zu verstehen, hilft ein Blick auf Chinas dirigistische Wirtschaftspolitik. Im Kampf gegen die Luftverschmutzung in den Großstädten schrieb Peking den Herstellern 2017 eine Quote für den Verkauf von E-Autos vor. Ausländische Autobauer konnten die staatliche Förderung nur nutzen, wenn die Wagen in Kooperation mit chinesischen Partnern gebaut wurden. Ein Schachzug, von dem BYD und Co profitierten.

Auto mit Enten-Aufdruck
Chinas Jugend gilt als besonders technikaffin. Ob dieses Auto ernst zu nehmen ist? Diese beiden Frauen dürften sich noch nicht ganz sicher sein.
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Staatsdoktrin Innovationsfreude

Viele nutzten ihre Chance. Vor gut zwanzig Jahren stellte etwa Gründer Wang Chuanfu für seine BYD-Gruppe den Plan vor, den angeschlagenen staatlichen Autobauer Xian Qinhuan Automobile zu kaufen. Bis dahin hatte man Batterien produziert, vor allem für Mobiltelefone von Siemens, Nokia, Motorola. Nun stieg man, zeitgleich mit Tesla, ins Autogeschäft ein. Für BYD-Aktionäre, die dachten, sie hätten in einen langweiligen Batterieproduzenten investiert, dürfte das abenteuerlich gewesen sein.

Aber Wang Chuanfu machte seine Hausaufgaben und setzte anfangs auf das bewährte Modell vieler ostasiatischer Hersteller: Man zerlegte japanische und amerikanische Produkte und versuchte, die Technologien abzukupfern. Bei der Batterieherstellung habe man etwas gelernt, erzählte Wang Chuanfu einmal: Scheinbar harmlose Probleme bei kleinen Teilen von Zulieferern summierten sich – Handys funkten nicht. BYD kümmerte sich also um die gesamte Lieferkette von den Lithium- und Nickelminen bis zur fertigen Batterie. Mittlerweile umfasst das alles, von Rohstoffen bis zu Computerchips – und zählt zur Weltklasse. Eine Erfolgsgeschichte, die außerhalb Chinas wenige kennen. Wang zählt heute zu den wirklich Reichen Chinas.

Laut chinesischem Horoskop soll das Jahr des Hasen aber allen Wohlstand bringen. Der leise Mümmler gilt in China übrigens nicht als hasenfüßig, sondern als sanft – und ziemlich clever. (Regina Bruckner, 10.9.2023)