Durch Kulturgüter wie die Wiener Sängerknaben oder die Salzburger Festspiele ist Österreich weltweit bekannt. Doch auch in unserem Nachbarland gibt es Aufführungen, mit denen Musikgeschichte geschrieben wird. Eine davon spielt sich aktuell in Halberstadt in der möglicherweise recht unscheinbar wirkenden Burchardi-Kirche ab. Dort wird nämlich bereits seit über 20 Jahren durchgehend das Stück "ORGAN²/ASLSP (as slow as possible)" von John Cage gespielt, welches insgesamt 639 Jahre dauern soll und somit das bis dahin längste Musikstück der Menschheitsgeschichte sein wird.

Diese extrem lange Spielzeit ist die Differenz der Zeitpunkte des Einbaus der ursprünglichen, aber heute nicht mehr erhaltenen Orgel im Jahr 1361 und des Endes des letzten Millenniums. Der Beginn der Aufführung war nämlich ursprünglich für das Jahr 2000 angesetzt, wurde aber dann auf 2001 verschoben. Das Stück besteht aus insgesamt acht Teilen, von denen jeder genau 71 Jahre lang gespielt wird. Bis zum Beginn des zweiten Teils dauert es also mittlerweile sogar schon weniger als ein halbes Jahrhundert, aber selbst dann wird erst ein Achtel der Aufführung vorbei sein.

Orgel in der Burchardi-Kirche
In der Burchardi-Kirche in Halberstadt wird bereits seit über 20 Jahren durchgehend das Stück "ORGAN²/ASLSP (as slow as possible)" von John Cage gespielt.
Foto: John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt

As fast as possible

Da im Februar der nächste Klangwechsel bevorsteht, habe ich ein wenig über das Thema gelesen und bin dabei auf das vermeintliche Gegenteil davon gestoßen: eine Version mit dem klingenden Namen "ASFSP (as fast as possible)", die stattdessen nur 37 Sekunden lang ist. Ich kann nicht mit Sicherheit beurteilen, ob das tatsächlich die kürzestmögliche Spielzeit ist, aber ich denke, dass die Grenzen des Möglichen damit noch nicht vollends ausgereizt sind. Da es keine vorgegebene Spielzeit gibt, habe ich mir überlegt, wie viel schneller die mehrere Jahrhunderte dauernde Version des Musikstücks abgespielt werden könnte, damit sie wirklich so kurz wie möglich dauert.

Um eine Antwort darauf geben zu können, benötigen wir zunächst einmal die kleinstmögliche Zeiteinheit. Diese erhalten wir, indem wir die größtmögliche Geschwindigkeit mit der kürzestmöglichen Strecke kombinieren. Ersteres ist die Lichtgeschwindigkeit im luftleeren Raum mit fast dreihundert Millionen Metern pro Sekunde beziehungsweise über einer Milliarde Kilometern pro Stunde. Letzteres ist die sogenannte Planck-Länge, welche nur 1,616 255 ⋅ 10⁻³⁵ Meter lang ist. Zum Vergleich: Die bisher höchste Geschwindigkeit eines Raumfahrzeugs mit ungefähr 568 800 Kilometer pro Stunde beziehungsweise 163 000 Meter pro Sekunde wurde von der Parker Solar Probe erreicht, und die Durchmesser von Atomen werden in Nanometern beziehungsweise 1 ⋅ 10⁻¹⁰ Metern angegeben.

Um daraus die kürzestmögliche Zeiteinheit zu ermitteln, lassen wir also Licht über eine Distanz der Planck-Länge reisen. Das Ganze dauert erwartungsgemäß nicht sonderlich lange und wird Planck-Zeit genannt: tₚ 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ Sekunden. Wir könnten nun versuchen, ein ähnliches Verhältnis wie das zwischen Planck-Zeit und Sekunde mit anderen Zeiteinheiten aufzustellen, um zumindest eine ansatzweise Vorstellung davon zu bekommen, wie unfassbar kurz das ist. Der Haken bei der Sache ist allerdings, dass wir in unserem Alltag schlicht und einfach keine gebräuchlichen Zeiteinheiten finden werden, mit denen das möglich ist. Eine Planck-Zeit ist nämlich im Vergleich zu einer Sekunde immer noch erheblich kürzer als eine Sekunde im Vergleich zum geschätzten Alter des Universums.

Obwohl wir uns vermutlich eher schwer damit tun, uns die Zeiteinheit vorzustellen, wissen wir nun immerhin, was wir haben möchten. Als Nächstes wandeln wir die Spielzeit des Stücks ebenfalls in Sekunden um, damit wir besser mit den beiden Zeiteinheiten rechnen können. Dazu überlegen wir uns Folgendes: Eine Minute dauert 60 Sekunden, also dauert eine Stunde 60 ∙ 60 = 3 600 Sekunden und ein Tag 24 ∙ 3 600 = 86 400 Sekunden. Ein Jahr hat somit ungefähr 365,25 ∙ 86 400 = 31 557 600 Sekunden1 und 639 Jahre demnach ungefähr 639 ∙ 31 557 600 = 20 165 306 400 Sekunden. In wissenschaftlicher Notation ist die Spielzeit des Stücks: tₐₛₗₛₚ = 2,016 530 64 ⋅ 10¹⁰ Sekunden.

Jetzt haben wir alles beisammen, um herauszufinden, wie viel schneller das Stück gespielt werden müsste, um in eine Planck-Zeit hineinzupassen. Dafür ermitteln wir zunächst den sogenannten Skalierungsfaktor, indem wir das Verhältnis der Soll- zur Ist-Größe aufstellen, das heißt, wir teilen die gewünschte durch die ursprüngliche Zeitspanne und kommen somit auf:

tₚ : tₐₛₗₛₚ = 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ s : 2, 016 530 64 ⋅ 10¹⁰ s 2,67340346 ⋅ 10⁻⁵⁴

Das Ergebnis ist jene Zahl, mit der wir die Spielzeit des Stücks multiplizieren müssten, um auf die Planck-Zeit zu kommen. Leider sagt sie uns aber noch nicht direkt, wie viel schneller es gespielt werden muss, damit das passiert.

Erhöhte Wiedergabegeschwindigkeit

Dafür benötigen wir einen ähnlichen Wert, wie wir ihn auch bei den Videoeinstellungen auf Plattformen wie Youtube finden. Angenommen, wir möchten ein zehn Minuten langes Video in der Hälfte der Zeit schauen. Um die Spielzeit zu halbieren, multiplizieren wir sie mit dem Skalierungsfaktor ein Halbes, aber das bedeutet natürlich nicht, dass wir das Video halb so schnell abspielen. Um das durch eine Änderung der Wiedergabegeschwindigkeit zu erreichen, machen wir das Gegenteil, das heißt, wir erhöhen sie auf das Doppelte beziehungsweise multiplizieren wir sie mit dem Faktor zwei:

Doppelte Wiedergabeschwindigkeit, Screenshot von YouTube
Doppelte Wiedergabegeschwindigkeit.
Youtube

Um das Gleiche für das Orgelstück zu bewerkstelligen, müssen wir also lediglich den Kehrwert des Verhältnisses bilden, das heißt Zähler und Nenner vertauschen oder vereinfacht gesagt "den Bruch umdrehen":

tₐₛₗₛₚ : tₚ = 2, 016 530 64 ⋅ 10¹⁰ s : 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ s 0,374 055 025 ⋅ 10⁵⁴ = 3,740 550 25 ⋅ 10⁵⁵

Das Stück müsste also mehr als sage und schreibe 37 Nonilliarden Mal so schnell abgespielt werden, um der Angabe ASFSP, zumindest theoretisch, gerecht werden zu können. (Johannes C. Huber, 2.2.2024)