Im Oktober erfolgte der Startschuss zu einer bemerkenswerten Rally an den Aktienmärkten – angetrieben von der Erwartung, die Notenbanken würden bereits im Frühjahr 2024 die hohen Leitzinsen wieder merklich absenken – zunächst in den USA die Fed, in weiterer Folge auch die Europäische Zentralbank (EZB). Daraufhin stieg das markbreite US-Börsenbarometer S&P 500 neun Wochen in Folge, insgesamt erzielte der Aktienindex im Vorjahr einen weit überdurchschnittlichen Anstieg um 26 Prozent. Eine Euphorie, die auch Europas Märkte erfasste – bis zur kalten Dusche, die nach dem Jahreswechsel erfolgte.

Der EZB-Tower in Frankfurt bei Nebel.
Stochern im Nebel – noch zeichnet sich nicht ab, wann die EZB tatsächlich die Zinsen senken wird.
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Denn nun sieht es eher danach aus, als hätten sich jene, die auf sehr rasche Zinssenkungen gesetzt haben, wahrscheinlich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt. Zumindest sprechen die Ende der Vorwoche veröffentlichten Inflationsdaten in den USA und der Eurozone nicht für baldige Absenkungen. Zwar ist die US-Teuerung im November minimal auf 3,1 Prozent gesunken, aber die von Währungshütern vielbeachtete Kerninflation, bei der Energie und Nahrung wegfallen, lag mit vier Prozent noch immer beim Doppelten des Zielwerts von zwei Prozent Teuerung.

Starker Jobmarkt

Dazu kommt, dass der US-Arbeitsmarkt keine Schwäche zeigt. Einerseits wurden im Dezember mehr Stellen geschaffen als erwartet, zudem stiegen die Löhne im Jahresvergleich um durchschnittlich 4,1 Prozent. Für Volkswirt Christian Scherrmann vom Vermögensverwalter DWS verdeutlichen diese Zahlen, "dass es die US-Notenbank wohl nicht eilig haben wird, die Zinsen in naher Zukunft zu senken".

Hinweise darauf waren knapp nach dem Jahreswechsel ausgeblieben, als die Protokolle der Fed-Sitzung im Dezember veröffentlicht wurden. Darin hieß es zwar, bei der Inflationsbekämpfung habe man "klare Fortschritte" erzielt. Aber auch: Die restriktive Ausrichtung soll zunächst beibehalten werden, bis die Inflation eindeutig und nachhaltig zurückgehe. Dann sei man bereit, die Zinsen zu senken – der Zeitpunkt dafür bleibe aber unsicher.

Rückschlag in Eurozone

Einen Rückschlag bei der Teuerung verzeichnete die Eurozone, wo die Inflation ihren Abwärtstrend im Dezember nicht nur gestoppt hat, sondern um einen halben Prozentpunkt auf 2,9 Prozent geklettert ist. Vor allem höhere Energiepreise trugen zu dem deutlichen Anstieg bei, die Kerninflation, in der diese ausgeklammert sind, sank gleichzeitig auf 3,4 Prozent. Allein, auch in der Eurozone beträgt das Inflationsziel zwei Prozent.

Entsprechend zurückhaltend hinsichtlich der Zinsentwicklung zeigen sich viele Volkswirte, zumal im Jänner ein weiterer Anstieg der Teuerung droht. Denn Deutschland – das Land hat fast 30 Prozent Gewicht in der Inflationsberechnung der Eurozone – erließ wegen der Budgetnöte Preisbremsen und hob die Umsatzsteuer in der Gastro wieder von sieben auf nunmehr 19 Prozent an. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, betont daher: "Für eine Entwarnung an der Inflationsfront ist es zu früh. Die EZB sollte nicht dem Druck der Märkte nachgeben, die eine erste Zinssenkung bereits für April erwarten."

Geduldige EZB

Ähnlich sieht das Volkswirt Alexander Krüger von der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, der die Erwartung bald sinkender Zinsen als voreilig einstuft, denn: "Bei 2,9 Prozent zeigt sich, die Inflation weiter ernst zu nehmen." Da neue Preisüberwälzungen drohten, steht aus seiner Sicht "ein Inflationsrückgang mit viel Tamtam" nicht bevor. Auch der Blick auf die Kernrate mahne weiter zur Vorsicht. "Die EZB wird weiter geduldig sein, statt den Inflationssieg zu früh zu erklären", erwartet Krüger.

An den Aktienbörsen ist der steile Aufwärtstrend heuer bereits abgerissen. Und für variable und neu zu vergebende Kredite bedeutet das, dass es wohl noch länger dauern wird, bis diese billiger werden. Was nicht bedeutet, dass heuer keine Zinssenkungen mehr folgen – aber eben später, als noch Ende des Vorjahres erwartet wurde. (Alexander Hahn, 9.1.2024)