Die mutmaßliche Meidlinger Schutzgeldbande griff den Wiener Handyshop mit Molotowcocktails an. Sie drohte dem Besitzer zudem sogar mit einem Erpresserbrief, dem zusätzlich eine Patrone beilag.
LPD Wien

Wer sich weigere zu zahlen, der werde gefoltert. Und zwar "auf höchstem Niveau". Diese Drohung schrieb ein 18-jähriger Tschetschene in kindlicher Schrift in sein blaues Notizbuch. Daneben kritzelte er noch "Eywa". Der Begriff kommt aus dem Arabischen und wird in der Jugendsprache wie "Jawoll" oder "Yeah" verwendet. Folgend listete der junge Mann die "Foltermethoden" genauer auf. "Zwei Komplizen schleppen den (sic!) Opfer in einen Wald und wird dann mit zwei Softairpistolen zerfetzt", lautet etwa Praktik eins. Gefolgt von "Muss Urin, Fäkalien trinken/essen". Methode drei blieb aus irgendeinem Grund frei.

Doch ist das alles ernst zu nehmen? Sind das die kranken Fantasien eines Volljährigen, die tatsächlich irgendwann Realität werden können? Oder verbirgt sich dahinter bloß die Angeberei eines Möchtegernkriminellen? Das lässt sich für Außenstehende in dieser Causa oft nicht mehr so klar beantworten.

Der Tschetschene soll nämlich einer der Drahtzieher hinter einer neunköpfigen, teils bewaffneten Jugendbande sein, die im September mehrfach einen Wiener Handyshop angegriffen hatte – mit Böllern, Molotowcocktails und einem bewaffneten Raubüberfall. Auch mit einem Erpresserbrief samt Patrone in einer Schachtel bedrohte sie einen afghanischen Geschäftsbetreiber. Mutmaßlich, um Schutzgeld zu erpressen. DER STANDARD berichtete. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der "imaginäre Anwalt"

Der tschetschenische Beschuldigte, der sich selbst den Decknamen "Friedrich_Einstein" verpasste, hatte laut seinen Notizen offenbar auch ein ausgefeiltes System im Sinn, um an Geld zu kommen. So vermerkte er in einer Art Buchhaltung unter "eventuelle Einnahmen" zum Beispiel "2k bis 3k", also 2000 bis 3000 Euro, von einer Person über einen "imaginären Anwalt" eintreiben zu wollen. Die Ermittler vermuten hinter der Anwaltsmethode jedoch keinen ausgedachten Privatspaß, sondern eine "regelmäßige Vorgehensweise" des 18-Jährigen. Möglicherweise sogar in Kooperation mit einem bosnischen Mitstreiter aus der mutmaßlichen Meidlinger Schutzgeldbande.

Indizien dafür liefert eine Polizeieinvernahme. Da gab ein mutmaßliches Opfer an, früher Straftaten begangen zu haben, weil er von den beiden jungen Männern zu Geldzahlungen erpresst worden sei.

Der Bosnier soll den Zeugen nach einem "Deal" plötzlich dazu gedrängt haben, ihm eine hohe Summe zu bezahlen. Davor habe dieser dem Zeugen schließlich mit "Typen" geholfen, die ihn angeblich immer wieder bestohlen hatten. Und diese Hilfe sei eben nicht "gratis" gewesen. Das geforderte Geld dürfte der Zeuge dann wohl auf zwielichtige Art und Weise aufgetrieben haben.

Doch dabei blieb es nicht. Bei der Geldübergabe sei der mutmaßlich Erpresste neuerlich von dem Duo bedroht worden. Diesmal allerdings mit einer Pistole. Die Burschen sollen noch mehr Geld gefordert haben. Angeblich, um frühere Anwaltskosten abzudecken. Aber weshalb? Als Grund sollen die Verdächtigen angegeben haben, dass der nunmehrige Zeuge den Bosnier verraten habe und dieser deshalb eine gewisse Zeit lang im Gefängnis gesessen sei. Das halten die Ermittler allerdings für ein geschickt vorgetäuschtes Druckmittel. Der Bosnier war zum damaligen Zeitpunkt nachweislich gar nicht in Haft.

Aber noch etwas in dieser Angelegenheit sticht ins Auge. Als der Zeuge angeblich ausgeraubt worden war, habe der Bosnier die Täter offenbar schnell ausfindig machen können. Vielleicht doch ein Stück weit zu schnell: "Ich glaube, dass er die Leute zu mir geschickt hat", gab der angeblich Geschädigte im Gespräch mit der Polizei zu Protokoll. "Als er die Täter dann hatte, waren es die Leute, die er kannte."

"Nein, Bro"

Die Methode erinnert an das, was sich dann im September nach den ersten drei Angriffen der mutmaßlichen Jugendgang auf den Meidlinger Handyshop abgespielt hatte. Diesmal wandte sich der 18-jährige Tschetschene, ein vermuteter Anführer der Gang, per Whatsapp mit einem Angebot an den afghanischen Geschäftsbetreiber.

"Brat" (Bruder Anm.) steht als Anrede am Anfang der Nachricht. "Ich habe mit meinen Leuten gesprochen, und es stehen vier gute Männer zur Verfügung, die deinen (sic!) Geschäft 24h bewachen könnten, wir werden diese Leute, die das bei dir machen, finden." Nachsatz: "Das natürlich nur, wenn du es willst, es würde sich für dich auszahlen."

Der Besitzer des Handyshops lehnte das Angebot ab. "Nein, Bro", teilte er dem Tschetschenen mit, bedankte sich aber für die angebotene Hilfe. Der junge Mann quittierte die Absage mit einem "Daumen hoch".

Von "Frieden" keine Spur

Wenige Tage später folgte der nächste Angriff: Ein anderer Verdächtiger aus der mutmaßlichen Schutzgeldgang warf einen brennenden Molotowcocktail direkt in das Handygeschäft. Verletzt wurde dabei glücklicherweise niemand. Danach erhielt der afghanische Besitzer einen Erpresserbrief. Das bedrohliche "Friedensangebot": 25.000 Euro oder Konsequenzen für das Geschäft und die Familie. Die Handschrift darauf ähnelt jener aus dem Folterbuch des Tschetschenen.

Gegen den U-Häftling stehen die Vorwürfe der schweren Erpressung, der Nötigung und der Bildung einer kriminellen Vereinigung im Raum. Ihm droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Bisher verweigerte der Verdächtige jede Aussage zur Causa.

Von der Jugendhilfe wird ein Gutachten angeregt. Es soll klären, ob der junge Mann an einer schwerwiegenden psychischen Störung leidet und im Falle einer Verurteilung in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen werden soll. (Jan Michael Marchart, 9.1.2024)