Gastbeitrag: Andrea Sydow

Junger Mann mit offenem Gesichtsausdruck sitzt in einer Gruppe
Konzentriert zuhören, den richtigen Moment für die richtigen Themen wählen: Verständnis füreinander ist gar nicht so schwer.
Getty Images/vgajic

Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass eine Kampf-, Flucht- oder Schreckstarre-Reaktion im Körper einer Person einsetzt, sobald sie sich in einer Begegnung nicht sicher fühlt. Bevor wieder ein gutes Gespräch stattfinden kann, muss dieser Stress-Notfallmodus harmonisiert werden. Somit kann der Teil des Gehirns, der absichtsvoll und reflektiert denkt, das Gespräch in die Hand nehmen. Es ist der Teil des Gehirns, der zur Vernunft mahnt. Der beschwichtigend einschreitet, bevor Emotionen dazu treiben könnten, ausfällig zu werden oder jemanden gar körperlich anzugehen. Mit etwas Vorkenntnis, gutem Willen und Übung kann jeder diesen Teil des Gehirns bewusst mit ins Boot holen. Hier liegt der Schlüssel für den Zusammenhalt.

Studien belegen die positiven Auswirkungen von Körperkontakt auf das Immunsystem. Ein herzlicher Handschlag reicht, und der Körper schüttet das Wohlfühlhormon Oxytocin aus. Ein Hormon, welches das Gefühl zwischenmenschlicher Verbundenheit stärkt und wie ein Immunbooster wirkt.

Dauernder Zwischenfunk

Allerdings erkennt die Hirnforschung auch, dass Unterbrechungen und permanente Ablenkung bei einem Gespräch zum Beispiel durch Handys und andere Bildschirme für den Körper purer Stress sind. Er schüttet Stresshormone wie Adrenalin und Kortisol aus, und ein Gefühl der Trennung setzt ein. Platzt jemand unangekündigt ins Büro und möchte dringend sein Thema loswerden, ohne zu fragen, ob es ein guter Moment ist, führt das ebenfalls zu Stress. Entwertungen und Negativität tun ihr Übriges und versetzen jedes Nervensystem in Alarmbereitschaft. Die Konzentrationsfähigkeit gerät in die Abwärtsspirale, und der kollegiale Zusammenhalt ist angeschlagen.

Diese subtilen Vorgänge sind durch die Hirnforschung bekannt. Werden diese Erkenntnisse im Berufsalltag berücksichtigt, ist es möglich, den Zusammenhalt zu stärken und die Verbindung mit Kolleginnen, Kunden und Vorgesetzten bewusster zu pflegen. Dabei hilft es, drei einfache Dinge zu bedenken:

1. Fragen, ob es ein guter Moment ist, über ein bestimmtes Thema zu sprechen. Werden die kollegialen Grenzen auf diese Weise respektiert, fühlt sich die Person sofort sicherer und wertgeschätzt.

2. Konzentriert, mit Augenkontakt und ohne Ablenkungen zuhören. Blicken Menschen einander wohlwollend in die Augen, erhält jeder vom anderen ein positives Signal der Sicherheit, und der Körper schüttet Dopamin aus – ein weiteres Wohlfühlhormon. Um konzentriert zuhören zu können, redet nur einer, und der andere hört dabei zu. Derjenige, der zuhört, tut es so konzentriert, dass er wiederholten könnte, was gesagt wurde. Hören Kollegen und Kolleginnen einander auf diese Weise zu, aktivieren sie den Teil ihres Gehirns, der für die Verarbeitung von Informationen und das Gedächtnis zuständig ist. Sie regulieren somit den Teil des Gehirns, der sie zu emotional reagieren lassen würde.

3. Aufmerksam auf Dinge achten, die man an seinen Kolleginnen und Kollegen schätzt, und dieses zu äußern. Damit sind einfache Gesten gemeint, bei denen sich jeder unterstützt fühlt. Diese bewusst wahrzunehmen und dann auch anzusprechen stärkt nicht nur den Zusammenhalt im Büro. Der auf positive Erlebnisse gerichtete Fokus erlaubt, mehr Anlässe zur Wertschätzung wahrzunehmen und das eigene lösungsorientierte Denken zu beflügeln.

Jeder dieser drei Schritte ist für die meisten weder neu noch weltbewegend. Aufmerksam und wertschätzend zuzuhören ist eines der wertvollsten Werkzeuge im alltäglichen Miteinander. (Andrea Sydow, 15.1.2024)